Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0017
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
1 Einführung in den Untersuchungsgegenstand

Im März des Jahres 2005 verkaufte der Londoner
Kunsthändler Johnny van Haeften auf der Euro-
pean Fine Art Fair (TEFAF) in Maastricht das Ge-
mälde eines Bärtigen alten Mannes mit Barett und
brokatverziertem Mantel [Kat. 302, Abb. 1] für 4,13
Millionen Euro an einen niederländischen Privat-
sammler.1 Die Ende der 1620er Jahre von Jan Lievens
geschaffene Tafel zeigt das Brustbild eines nachdenk-
lich blickenden Greises mit langem weißen Bart vor
neutralem Hintergrund. Die Kleidung des Alten
entspricht nicht der zeitgenössischen Mode des 17.
Jahrhunderts, sondern gleicht vielmehr den Kostü-
men der Figuren auf niederländischen Historienbil-
dern dieser Zeit. Das runzelige Gesicht des Mannes
ist starker Beleuchtung von links ausgesetzt, so dass
die Züge der Figur durch ein markantes Spiel von
Licht und Schatten belebt werden. Kopfbedeckung
und Mantel sind in gedeckten Farben gehalten und
versinken zu großen Teilen im Dunkeln. Der Greis
ist weder mit Attributen noch mit sonstigem Bei-
werk ausgestattet.
Aufgrund der lebensnahen Auffassung des dar-
gestellten Modells könnte man vermuten, dass es
sich bei dem Gemälde um ein Porträt handelt; die
forcierte Beleuchtung, der stellenweise recht locke-
re Farbauftrag und die fehlende ikonographische
Festlegung der Figur könnten aber auch Indizien
dafür sein, dass wir es mit einem Studienkopf zu
tun haben, der nicht für den Verkauf gedacht war.
Keine der beiden Annahmen trifft zu. Vielmehr ist
das Bild als Tronie zu beurteilen, die von Lievens als
selbständiges Kunstwerk geschaffen wurde. Damit
gehört das Gemälde einem Bildtyp an, der sich in
den Nördlichen Niederlanden des 17. Jahrhunderts
großer Beliebtheit erfreute. Dass ein solches Werk
noch heute ein attraktives Kaufobjekt darstellt, be-
zeugt die hohe Summe, für die der neue Besitzer das


Abb. 1 Jan Lievens, Bärtiger alter Mann mit Barett und
brokatverziertem Mantel, Niederlande, Privatbesitz [Kat. 302]

Gemälde erwarb. Johnny van Haeften hatte es zuvor
im Sommer 2004 bei Sotheby’s in London für 1,65
Millionen Pfund ersteigert.2
In der holländischen Malerei des 17. Jahrhun-
derts begegnen zahllose Darstellungen, die wie das
Gemälde von Lievens eine einzelne Figur in phan-
tasievollem bzw. fiktivem Kostüm und reduziertem
Bildausschnitt - als Kopf, Brustbild oder Halbfigur
- zeigen und den Eindruck erwecken, nach dem le-
benden Modell gemalt zu sein. Die Figuren zeichnen

1 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag, 12. März 2005, Nr.
60, S. 53.

2 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag, 10. Juli 2004, Nr.
158, S. 47. Vgl. auch Kat. London 2004, Kat. Nr. 7, S. 18-22.
 
Annotationen