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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0018

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14

Einleitung

sich meist durch besonders freien und effektvollen
Einsatz der künstlerischen Mittel aus, z.B. eine raue
Malweise und forcierte Beleuchtung. Darüber hinaus
verzichteten die Maler häufig darauf, den Dargestell-
ten Attribute beizugeben, die diese als bestimmte his-
torische, biblische, mythologische oder allegorische
Figuren ausweisen oder sie an einen bestimmten
Kontext der Genremalerei bmden würden. In vie-
len Fällen erinnern die Gemälde formal an Porträts,
die Identität des dargestellten Modells spielte für die
Bildaussage einer Tronie jedoch keine Rolle. Hin-
sichtlich der Figurentypen können die Bilder stark
variieren. So gehören z.B. Greise und Greisinnen,
Orientalen, Soldaten, Bauern, lachende Kinder und
junge Frauen zum Spektrum des Bildtyps [Kat. 394,
Taf. V, Kat. 284, Taf. IV, Kat. 417, Taf. XVII, Kat.
381, Taf. IV, Kat. 366, Taf. 78, Kat. 203, Taf. VI, Kat.
64, Taf. 12],
In der heutigen Forschung werden die Bilder Tro-
nien genannt, weil das Wort >tronie< im 17. Jahrhun-
dert soviel wie >Kopf<, >Gesicht< oder >Miene< bedeu-
tete.3 Als Bezeichnung für Kunstwerke begegnet es
insbesondere in Sammlungsinventaren dieser Zeit.
Der Begriff verweist auf das wesentlichste Merkmal
der Werke: die Beschränkung des Bildgegenstands
auf den Kopf einer Figur. Zwar werden auch Halbfi-
guren zum Bildtyp der Tronie gezählt. In der Form
der maximalsten Reduktion eines Figurenbildes
aber zeigen Tronien lediglich einen Kopf. Ein schö-
nes Beispiel hierfür ist Frans Hals’ Lachender Junge
im Mauritshuis (Den Haag) [Kat. 203, Taf. VI]. Die
Konzentration auf das menschliche Gesicht ist hin-
reichende Voraussetzung, um ein niederländisches
Gemälde des 17. Jahrhunderts als Tronie zu klassi-
fizieren, sofern es sich nicht um ein Porträt handelt.
Diese formale Zuordnung rechtfertigt sich schon
deshalb, weil sich Tronien als >Kopfstücke< von an-
deren Einfigurenbildern der niederländischen Male-
rei deutlich unterscheiden.
Wie die vorliegende Studie erweisen wird, kom-
men Tronien im GEuvre sehr vieler niederländischer
Figurenmaler des 17. Jahrhunderts vor. Bedeutende
Maler wie Rembrandt, Jan Lievens, Frans Hals, Ja-
cob Backer, Gerard Dou, Govaert Flinck, Ferdinand
3 Zur zeitgenössischen Verwendung des Wortes >tronie< vgl.
unten, Kap. 1.4.
4 Zur Forschungslage vgl. das folgende Kapitel. Zeitgleich
zum Entstehen der vorliegenden Studie arbeitete Franziska
Gottwald (Kingston, Kanada) an einer von Prof. Dr. Werner
Busch (FU Berlin) betreuten Dissertation mit dem Titel

Bol, Willem Drost, Pieter de Grebber, Salomon de
Bray, Adriaen van Ostade und viele andere beschäf-
tigten sich mit dem Bildtyp. Ein großer Teil der in
den Nördlichen Niederlanden geschaffenen Tronien
wurde für den Verkauf auf dem freien Markt pro-
duziert. Damit handelt es sich im Gegensatz zu flä-
mischen Tronien, die in der Regel als Studienköpfe
für werkvorbereitende Zwecke konzipiert waren,
um selbständige Kunstwerke.
Zwar sind Tronien als Phänomen der hollän-
dischen Malerei in den letzten 25 Jahren verstärkt
ms Blickfeld der Forschung getreten.4 Doch existiert
bislang keine umfassende Studie, die sich mit Fra-
gen nach Genese, Verbreitung und Formen sowie
Funktion und Bedeutung von Tronien beschäftigen
und die Tronie-Forschung damit auf eine gesicher-
te Grundlage stellen würde. Auch wurde noch keine
überzeugende Definition des Bildtyps Tronie vorge-
legt. Diesen Desiderata widmet sich die vorliegende
Arbeit.
Eine besondere Schwierigkeit bei der Beschäfti-
gung mit Tronien besteht in ihrer Abgrenzung gegen-
über anderen Bildformen. Obwohl Tronien nicht die
gattungsspezifischen Funktionen der Porträtmalerei
erfüllten, weisen sie zum Teil enge formale Überein-
stimmungen mit Bildnissen auf. Es fragt sich also,
aufgrund welcher Kriterien die Bilder von Porträts
unterschieden werden können. Des Weiteren ist bis-
her nicht geklärt, wo die Grenze zwischen Tronien
und einfigurigen Historien- und Genrebildern zu
ziehen ist. Damit besteht kein Konsens darüber, wel-
che Einfigurenbilder überhaupt als Tronien eingestuft
werden sollten und welche Gründe für eine entspre-
chende Klassifizierung ausschlaggebend sind. Eine
umfassende Auseinandersetzung mit dem Bildtyp
der Tronie, wie sie in dieser Studie angestrebt wird,
erfordert also die Definition des Untersuchungsge-
genstandes sowohl in Abgrenzung von einfigurigen
Porträts als auch von anderen Einfigurenbildern. In
dieser Hinsicht wird zunächst ein analytischer Zu-
griff gewählt, der nach kunsthistorischen Ordnungs-
und Unterscheidungskriterien sucht. Deren Ermitt-
lung ist die Voraussetzung für die Beschreibung von
Wesen, Charakter und Funktionen der Bildaufgabe
»Das Tronie. Die Genese einer Gattung der Malerei«, vgl.
Kunstchronik, 52, 1999, S. 548. Beide Arbeiten entstanden
ohne nennenswerten gegenseitigen Austausch oder die
Vereinbarung einer genauen Aufgabenteilung. Methodische
Vorgehensweise und Ergebnisse von Frau Gottwald sind mir
daher unbekannt.
 
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