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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0215

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3

Überblick zu Verbreitung und Erscheinungsformen holländischer Tronien

3.1 Die Tronieproduktion in den künstlerischen
Zentren der Nördlichen Niederlande
Um die Schwerpunkte der Verbreitung von Tro-
nien aufzuzeigen, wird im Folgenden dargelegt, zu
welcher Zeit und in welchen Städten holländische
Maler Tronien schufen. Zu diesem Zweck werden
Erkenntnisse der vorangehenden Kapitel rekapitu-
liert, aber auch Künstler einbezogen, die noch keine
Erwähnung fanden. Deren Tronien werden dort, wo
es zur Vervollständigung des bislang entworfenen
Bildes der holländischen Troniemalerei notwendig
erscheint, kurz in den Blick genommen. Da nicht
alle Künstler genannt werden können, die im Laufe
ihres Lebens die ein oder andere Tronie schufen, be-
schränkt sich der Überblick auf eine Auswahl reprä-
sentativer Beispiele von Meistern, für die gesichert
ist, dass sie Tronien im strengen Sinne malten, also le-
bensnah geschilderte Kopfstücke mit oder ohne At-
tribute sowie ebenfalls individualisierte Brustbilder
und Halbfiguren ohne identitäts- oder bedeutungs-
stiftende Attribute oder Kennzeichen. Intendiert
ist die Ermittlung der wichtigsten Produzenten des
Bildtyps sowie räumlicher und zeitlicher Verdich-
tungen hinsichtlich des Auftretens von Tronien.

Leiden
Wie wir bereits gesehen haben, bildete das Schaffen
von Lievens und Rembrandt den Auftakt der Tronie-
produktion in Leiden. Fortgesetzt wurde diese Praxis
hier in den dreißiger Jahren von Schülern und Nachfol-
gern Rembrandts, etwa von Gerard Dou (1613-1675),
Isaac de Jouderville (um 1612/13-1645/48) und Karel
van der Pluym (1625-1672),1 aber auch von Jacques de
Rousseaux (1600-1638), dessen Tronien sich stärker an
Werken Lievens’ orientieren.2 Gerard Dou, der bedeu-
tendste Künstler unter den genannten Meistern, malte
bis um 1645 Tronien. Wie schon erwähnt, interessierten
sich auch einige seiner Schüler bzw. Nachfolger, wie
z.B. Jacob van Spreeuwen und Johannes van Staveren,
für die Bildaufgabe.3 Dous berühmtester Lehrling, der
Leidener Feinmaler Frans van Mieris d.Ä. (1635-1681),
gehört zu den wenigen namhaften Künstlern, die noch
in der zweiten Hälfte der Sechziger jahre Tronien pro-
duzierten. Van Mieris nutzte vielfach die eigenen Züge
für Brustbilder in Phantasietracht [Kat. 345, Taf. 74, Kat.
347, Taf. XVI, 74],4 malte aber auch Tronien, die nicht
zwingend eine Selbstdarstellung beinhalten. Beispiele
hierfür sind der Mann in orientalischem Kostüm in Den
Haag (Galerie Willem V.) [Kat. 349, Taf. 75] von 1665
und der 1667 datierte, im zweiten Weltkrieg zerstörte
Soldat (ehemals Dresden, Gemäldegalerie Alte Meis-
ter) [Kat. 350, Taf. 75] - beide wurden nach demselben
Modell gemalt und zeigen ein für Porträts unzulässiges
Mienenspiel mit weit aufgerissenen Augen.5

1 Zu den Tronien Karel van der Pluyms vgl. Bredius 1931b, S.
251, Abb. 10; Sumowski 1983-1994, Bd. 4, Kat. Nr. 1592b,
1593.
2 Vgl. oben, Kap. III.1.5, S. 149, Anm. 247. Zu den Tronien
von Rousseaux vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 4, S. 2501f. u.
Kat. Nr. 1675, 1675b, 1676, 1679-1686, Bd. 6, Kat. Nr. 2431;
Kat. Leiden 2005/06, Kat. Nr. 63-66, S. 198-203.
3 Vgl. oben, Kap. III.1.3, S. 131, Anm. 101.
4 Vgl. z.B. Naumann 1981, Bd. 2, Kat. Nr. 38, PI. 38, Kat. Nr.
41, PI. 41.

5 Vgl. Naumann 1981, Bd. 2, Kat. Nr. 61, Pl. 61, Kat. Nr. 68,
PI. 68. Die von Naumann 1981, Bd. 1, S. 127-130, vorgenom-
mene Identifizierung des dargestellten Modells als van Mieris
selbst überzeugt im Vergleich mit der Zeichnung eines gesi-
cherten Selbstporträts des Meisters (Velinpapier, 19,7 x 13,7
cm, 1667, London, British Museum, Naumann 1981, Bd. 1,
Abb. 103) kaum, zumindest wandelte van Mieris die eigenen
Züge zugunsten verallgemeinernder Typisierung ab. Zur Be-
urteilung des Mannes in orientalischem Kostüm als Tronie vgl.
auch Kat. Leiden 1988, Kat. Nr. 26, S. 133-135; Kat. Den
Haag / Washington 2005/06, Kat. Nr. 34, S. 166-168.
 
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