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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0337

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1

Zur inhaltlichen Bedeutung und exemplarischen Funktion von Tronien

Die große Zahl erhaltener Tronien lässt auf ein leb-
haftes Interesse der Zeitgenossen an derartigen Bil-
dern schließen. Wie aber ist dies zu erklären - sieht
man einmal von den vergleichsweise günstigen Preisen
der Werke ab?1 Aus welchen Gründen erwarb man
Tronien und hängte sie auf? Welche Inhalte und Vor-
stellungen waren mit ihnen verbunden? Und welche
Interessen verfolgten die Künstler bei ihrer Produk-
tion? Allgemeingültige, auf alle Formen von Tronien
zutreffende Antworten auf diese Fragen lassen sich
aufgrund der Heterogenität des Bildtyps nur bedingt
geben. Bedeutung, Funktion und Wirkung der Werke
hängen von dem jeweils repräsentierten Figurentyp
und dessen Darstellungsweise ab und können dem-
entsprechend stark differieren. Ohne für jede einzelne
der möglichen Erscheinungsformen der Bildaufgabe
ein Erklärungsmodell liefern zu wollen, geht es daher
im Folgenden in erster Linie darum, generelle Ver-
ständnisweisen und Bewertungsnormen von Tronien
sowie mit ihrer Anfertigung verbundene künstlerische
Interessen in exemplarischer Weise anhand besonders
verbreiteter Tronietypen aufzuzeigen.
Das künstlerische Interesse an Tronien und die
zeitgenössische Wertschätzung der Bilder hing mit
verschiedenen Eigenschaften der Werke zusammen,
die sich gegenseitig nicht ausschließen, hier jedoch
jeweils gesondert behandelt werden sollen. Dabei
werden die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung
für die Beurteilung und Interpretation von Tronien
fruchtbar gemacht. Erkenntnisleitend ist in diesem
Zusammenhang und im Hinblick auf die Themen-
stellung der Arbeit unter anderem auch die Frage, in
welcher Weise die von den Zeitgenossen an Porträts
angelegten Bewertungsmaßstäbe die Rezeption von
Tronien beeinflussten.
1 Zu den Preisen von Tronien vgl. oben, Kap. III.5.1, S.
232-239.
2 Zur Interpretation einfiguriger Genrebilder vgl. oben,
Kap. II.1.7, S. 73, 76, Anm. 269.

Tronien mit identitäts- oder bedeutungsstiftenden
Attributen können entweder als bestimmte biblische,
historische, mythologische oder literarische Figuren
identifiziert und in entsprechender Weise interpre-
tiert werden, oder sie lassen sich unmittelbar mit
bestimmten Inhalten der Genremalerei verknüpfen.2
Weitaus schwieriger zu beantworten ist die Frage
nach dem Bedeutungshorizont von Tronien ohne
eine solche ikonographische Festlegung. Da zudem
die Zuordnung einfiguriger Historien- und Genre-
bilder in knappem Bildausschnitt zur Bildaufgabe
Tronie in weiten Teilen diskutabel ist, konzentriert
sich die folgende Untersuchung auf die Interpreta-
tion jener Werke, denen keine oder mit Blick auf den
jeweiligen Tronietyp keine >signifikanten< Attribute
beigegeben sind.
Es wurde bereits dargelegt, dass eine große Zahl je-
ner Tronien, die motivisch mit der Historienmalerei
in Verbindung gebracht werden können, von den
Künstlern offensichtlich nicht von vorneherem auf
eine bestimmte Identität festgelegt wurde.3 Ana-
log verzichteten die Maler bei der Schöpfung von
Tronien, die ihrem Aussehen nach dem anonymen
Bildpersonal der Genremalerei entsprechen, auf eine
genauere Rollenbestimmung der Figuren, indem
sie keine Attribute beifügten. Trotz dieser >ikono-
graphischen Offenheit waren Tronien - abhängig
vom jeweils dargestellten Figurentyp - in bestimm-
ter Weise inhaltlich konnotiert.4 Zum Spektrum der
unterschiedlichen Figurentypen, welche die Bildauf-
gabe Tronie umfasst, gehören unter anderem Typen
wie orientalische Herrscher, Gelehrte oder Philo-
sophen, Prophetinnen oder Sibyllen, Soldaten, Jäger,
junge Prinzen, Fürstinnen, Kurtisanen, Mönche,
3 Vgl. oben, Kap. IV.1.2.
4 Vgl. Wetering 1999/2000, S. 21.
 
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