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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0363

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3

Tronien als Demonstrationsstücke künstlerischer Kreativität
und persönlichen Stils

3.1 Zu Stellenwert und zeitgenössischer
Wertschätzung der künstlerischen Gestaltung
und >schilderachtigen< Qualitäten von Tronien
Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Tro-
nien und anderen niederländischen Figurenbildern
des 17. Jahrhunderts besteht in ikonographischer
Hinsicht darin, dass Erstere vielfach nicht auf ei-
nen genau definierten >Inhalt< festgelegt sind. Zwar
schließen Tronien, wie in Kapitel V.l und 2 gezeigt
wurde, bestimmte Interpretationsangebote an den
Betrachter ein, inwieweit er diese jedoch jeweils
annahm, konnte von unterschiedlichsten Faktoren
abhängen. Hierbei dürften persönliche Vorlieben,
intellektuelle Interessen, Bildungsgrad oder auch
Kontakte zu Künstlern und Kunstkennern eine Rol-
le gespielt haben. Es stand einem Käufer frei, einer
von ihm erworbenen Tronie eine fiktive Identität
zuzuschreiben. Jedoch lassen die Einträge in Inven-
tarlisten wie auch die in Kapitel IV. 1.2 behandelten
Beschreibungen von Carei Martens, Constantijn
Huygens und Cornelis de Bie darauf schließen, dass
die Zeitgenossen Tronien prinzipiell als anonyme
Phantasiefiguren ohne Konkretisierung mit Blick
auf eine bestimmte Rolle auffassten. Darüber hinaus
erweist sich der Versuch, inhaltliche Konnotationen
zu ermitteln, in vielen Fällen als wenig ergiebig oder
aber diese sind - wie erwähnt - in ihrer Komplexi-
tät äußerst eingeschränkt. Offensichtlich bestand die
Attraktivität der Werke also keineswegs ausschließ-
lich und sicher nicht einmal primär in der Vermitt-
lung bestimmter Bedeutungsgehalte.
Wie gezeigt wurde, konnten Tronien als Demons-
trationsstücke künstlerischen Könnens fungieren,
indem sie die Fähigkeit eines Malers zur Affekt- und
Charakterdarstellung vor Augen führten. Im Fol-
genden soll gezeigt werden, dass die Werke auch aus
anderen Gründen als Manifestationen der künstleri-
schen Virtuosität ihrer Schöpfer betrachtet wurden
und hierin einer der Hauptgründe für ihre Wertschät-

zung durch das zeitgenössische Publikum sowie für
das Interesse der Künstler an der Bildaufgabe lag.1
Nicht so sehr das dargestellte Sujet, sondern vielmehr
die Art seiner Gestaltung scheint einen wesentlichen
Reiz von Tronien ausgemacht zu haben.
Im Verlauf der bisherigen Untersuchung wurde im-
mer wieder betont, dass die Maler von Tronien beson-
dere Aufmerksamkeit auf die künstlerisch-ästhetische
Gestaltung der Bilder richteten. Relevant sind hierbei
in erster Linie vier Aspekte, die das Erscheinungsbild
von Tronien insgesamt oder teilweise prägen: Erstens
legten viele Künstler gesteigerten Wert auf eine be-
sonders differenzierte Oberflächenbehandlung der
Werke, indem sie die Stofflichkeit unterschiedlicher
Materialien anschaulich Wiedergaben und sie gerade
in der Gegenüberstellung optisch erfahrbar machten;
zweitens wurde häufig eine effektvolle bzw. beson-
ders kontrastreiche Beleuchtung gewählt; drittens
zeichnen sich Tronien in der Regel durch eine ve-
ristische Darstellungsweise aus, die Idealisierungen
vermeidet und stattdessen äußerste Lebensnähe bzw.
die Veranschaulichung eines spezifischen Charakters
anstrebt; viertens geben die Werke Auskunft über die
individuelle Malweise ihrer Schöpfer, indem sie de-
ren Art der Pinselführung oftmals deutlich erkenn-
bar vor Augen führen. Ergänzend ist darauf hinzu-
weisen, dass mit diesen Merkmalen gelegentlich ein
ausgesprochen experimenteller Charakter der Werke
einhergeht. All dies spricht dafür, dass der Einsatz
der künstlerischen Mittel und die Art der malerischen
Umsetzung der Figuren eine hervorgehobene Rolle
bei der Darstellungsabsicht der Maler spielten.
Anhaltspunkte dafür, welche künstlerischen In-
teressen die Maler von Tronien verfolgten, inwiefern
das Publikum die formal-ästhetischen Qualitäten der
Werke schätzte und welche Bewertungsmaßstäbe ihm
1 Vgl. auch Vries 1989, bes. S. 191, 198.
 
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