Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0364

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
336

Bedeutung, Funktion und Wertschätzung von Tronien

hierfür zur Verfügung standen, liefert in erster Linie
die zeitgenössische Kunstliteratur und -theorie. Aber
auch die Malerei selbst bietet einige interessante Be-
lege für die mit der Produktion von Tronien verbun-
denen Intentionen der Maler. Welche Erkenntnisse
sich in beiderlei Hinsicht gewinnen lassen, wird im
Folgenden anhand der vier genannten, für die Gestal-
tung von Tronien wesentlichen Aspekte dargelegt.
Was den ersten Punkt betrifft, so kann man Philips
Angels Lof der schilder-konst (Leiden 1642) ent-
nehmen, dass die überzeugende Visualisierung von
Stofflichkeit als Mittel verstanden wurde, um dem
Betrachter ästhetischen Genuss zu bereiten: Angel
fordert, dass ein Maler »recht onderscheyt weet te
maeken van Zf de, Fluwelen, Wollen, en Linde-Lae-
ckenen« und betont, wie wichtig es sei, dass »een
prijs-waerdig Schilder dese verscheydenheden op ‘t
aengenaemste voor yders ooge (door zijn Penceel-
konst) behoorde te können voorstellen onderscheyt
maeckende tusschen de schrale ruyge Laecken-achtigheyt,
en de gladde Satijne effenheyt [.. .].«2
Gerade Tronien in reicher Kostümierung boten
den Malern Gelegenheit, ihre Fähigkeit unter Be-
weis zu stellen, Materialien wie Samt, Pelz, Brokat,
Leinen, Juwelen, Perlen, Metalle verschiedener Art
und dergleichen mehr in ihrer Darstellung zu unter-
scheiden.3 In diesem Zusammenhang ist nochmals zu
betonen, dass die kostbare Ausstattung der Figuren
sicher schon für sich genommen das Interesse und
die Neugier der Zeitgenossen auf sich zog, da sie aus
fremdartig wirkenden, erfundenen, exotischen und/
oder altmodischen Elementen bestand.4 Schon van
Mander würdigte die Darstellung auffallender Kos-
tümierungen mit aufwendigem Kopfputz als Mittel,
um beim Betrachter ästhetisches Vergnügen auszu-
lösen. Dies wird z.B. in seiner Beschreibung eines

Bildes des Malers Aert Claesz. van Leyden deutlich,
das den Durchzug durch das rote Meer zeigt:
»Daer is oock tot Haeriem by H. Goltzius, een roode Zee van
Aertgen, in Oly-verwe / doch seer bedorven wesende: en is
wonder uytnemende / van verscheyden cleedinghen / hooft ver-
cieringhen / hoeden / tulbanden / en hulselen / seer versierlijck
om sien.«5
Jüngere Autoren, wie z.B. van Hoogstraten und
Lairesse, widmeten der Beschreibung unterschied-
licher Kostüme in ihren Traktaten längere Passagen
oder ganze Kapitel.6 Die ausführliche Auseinanderset-
zung mit antiker oder fremdländischer Kleidung lässt
darauf schließen, dass die zeitgenössischen Kunstlieb-
haber dafür sensibilisiert waren, die Darstellung inter-
essanter Kostüme im Figurenbild zu goutieren.
Kommen wir auf die optischen Effekte von Kunst-
werken zurück, die besonderen Eindruck auf den zeit-
genössischen Betrachter machten, so ist festzustellen,
dass hierzu neben der differenzierten Darstellung von
Stofflichkeit auch der überzeugende Einsatz von Licht
und Schatten gehörte. Schon van Mander widmet der
Behandlung »van de reflecty / reverberaty / teghen-
glans oft weerschijn«7 in seinem Schilder-boek ein eige-
nes Kapitel. Philips Angel zufolge spielt die gekonnte
Verteilung von Licht und Schatten eine wichtige Rol-
le bei der Aufgabe, die Kunstliebhaber für ein Werk
einzunehmen:
»Het wel schicken van dagen en schaduwen by een, is een van de
principaelste hooft-banden daer een goet Schilder mede verciert
dient te zijn, om de wel-standigheyt die de selve onse Konst aen
brenght Want wy moeten door schijn eyghentlijcke kracht
(so noem ick het) het ghesichte der Konst-beminders, door een,
eendrachtelijcke goede orderen der ‘tsamen-voeginghe van licht
en schaduwen, overweldighen en in nemen.«8

2 Angel 1642, S. 55. Vgl. hierzu auch Sluijter 1991, S. 182f.;
Sluijter 1993, S. 50-56. Für eine Übersetzung von Angels
Lof der schilder-konst vgl. Angel / Hoyle / Miedema 1996.
3 Vgl. z.B. Kat. 43, Taf. 8, Kat. 102, Taf. 20, Kat. 194, Taf. XIV,
39, Kat. 245, Taf. 52, Kat. 402, Taf. IX, 85. Liedtke 2001b, S.
244; W. Liedtke in Kat. New York / London 2001, Kat. Nr.
74, S. 388, hebt die virtuose Oberflächenbehandlung als we-
sentliche Eigenschaft der Tronien Vermeers hervor. Zum ho-
hen Stellenwert der »stofuitdrukking« in der holländischen
Kunst vgl. Vries 1991, S. 226.
4 Vgl. oben, Kap. III.3.2, S. 210-215, Kap. IV.2.2.4, S. 294f.
Mit Blick auf Rembrandts Orientalentronien wird diese Ein-
schätzung geteilt von Bahre 2006, S. 136-138.
5 Mander / Miedema 1994-1999, Bd. 1, S. 208 (fol. 237v, Z.
34-37). Vgl. auch van Manders Kommentar zu einem Stich
Lucas van Leydens, der die Bekehrung des Paulus zeigt: »De

naeckten en tronien zijn seer verscheyden / lieflijck / en gloe-
yende ghedaen: elck beeldt is verscheyden van cleedinghe / en
de hoofden met verscheyden wonderlijcke Mutsen / tulbanten
/ en hulselen gheciert.« Mander / Miedema 1994-1999, Bd.
1,S. 111 (fol. 213r, Z. 6-9).
6 Hoogstraten 1678, S. 147-153; Lairesse 1740, Bd. 2, S.
331-340. Dies hängt u.a. natürlich auch mit dem hohen Stel-
lenwert zusammen, der dem decorum in der zeitgenössischen
Kunsttheorie eingeräumt wurde.
7 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 183 (fol. 29r). Für das
gesamte Kapitel vgl. ebd., S. 183-203 (fol. 29r—34r). Zur Re-
flexion des L ichts auf Gesichtern vgl. insbes. ebd., S. 191 (fol.
31r), Str. 27, S. 199 (fol. 33r), Str. 51.
8 Angel 1642, S. 39f. Vgl. hierzu Sluijter 1991, S. 183; ders.
1993, bes. S. 47-50.
 
Annotationen