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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0267

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1

Der Einfluss der Porträtmalerei auf den Bildtyp Tronie

Eines der zentralen Anliegen der vorliegenden Stu-
die ist die Untersuchung des wechselseitigen Ver-
hältnisses von Porträt und Tronie. Wurde in Teil III
der Versuch unternommen, die Bildgruppe der im
17. Jahrhundert in den Nördlichen Niederlanden ge-
schaffenen Tronien im Vergleich und in Abgrenzung
zur Porträtmalerei zu erfassen und zu beschreiben
sowie zu ermitteln, welche Maler sich mit der Bild-
aufgabe beschäftigten, so soll nun analysiert werden,
inwiefern Porträt und Tronie voneinander profi-
tierten und welche Beeinflussungen, Abhängigkeiten
oder Verschmelzungen der Werkkategorien sich im
Laufe des 17. Jahrhunderts ergaben.
Ein Einfluss der Porträtmalerei auf Gestaltung und
inhaltliche Implikationen von Tronien ist besonders
dann zu vermuten, wenn Letztere ihrem Erschei-
nungsbild nach Ähnlichkeit mit Bildnissen aufwei-
sen. Aus diesem Grund werden in den folgenden
Kapiteln in erster Linie jene Tronien in den Blick
genommen, die sich durch besonders viele formale
Übereinstimmungen mit Porträts auszeichnen. Zu
den entsprechenden Merkmalen gehören eine auf-
rechte Haltung der dargestellten Figur, deren Wen-
dung und Blick zum Betrachter, ein ernster Ge-
sichtsausdruck und zurückhaltende Gestik bzw.
porträttypische Posen. In funktionaler Hinsicht ist
demgegenüber grundsätzlich von der Differenz der
Bildformen auszugehen: Übernimmt eine in der Art
einer Tronie gestaltete Figur die Funktionen eines
Porträts, ist sie nicht als Tronie, sondern als Bildnis
konzipiert. Als Ausnahme sind allenfalls bestimmte
Künstlerdarstellungen anzusehen, die je nach Kon-
text entweder als Porträts oder als Tronien verstan-
den werden konnten.1

1.1 Tronien ohne signifikante Attribute oder
Kennzeichen als >Phantasieporträts<
Die meisten porträthaft wirkenden Tronien gleichen
hinsichtlich ihrer Kostümierung und des dargestell-
ten Figurentypus dem Personal auf Historienbil-
dern. Sie erinnern an Herrscher und Herrscherinnen,
Helden und Heldinnen aus der antiken Geschichte,
Bibel und Mythologie oder entsprechen ihrem Aus-
sehen nach der Darstellung von Gelehrten, Philo-
sophen, Aposteln, Prophetinnen, Sibyllen und ande-
ren Protagonisten aus Geschichte und Literatur. Was
die Tronien von den Figuren der Historienbilder je-
doch unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie weder in
einen narrativen Kontext eingebunden noch in eine
bestimmte Handlung, Bewegung oder Affektartiku-
lation involviert sind. Vielmehr nehmen die Darge-
stellten für Porträts charakteristische Posen ein und
blicken ernst zum Betrachter. Die Werke vermitteln
somit den Eindruck, als seien es fiktive Bildnisse je-
ner Figuren, die in der Regel Historien- oder unter
Umständen auch Genrebilder bevölkern.2 Gleichzei-
tig bieten die mehrfigurigen Kompositionen jedoch
kein Vorbild für die porträthafte Präsentation der
Dargestellten im Einfigurenbild - in dieser Hinsicht
müssen daher Porträts als entscheidende Anregung
gedient haben.
Es wurde bereits ausführlich behandelt, welch
enge formale Übereinstimmungen zwischen Tronien
und Porträts bestehen können. Offensichtlich profi-
tierten Troniemaler bei der Schöpfung ihrer Werke
von der Porträtmalerei, indem sie allgemeine Gestal-
tungsmittel dieser Gattung übernahmen. Ob hieraus
abgeleitet werden darf, dass die entsprechenden Tro-
nien als fiktive >Porträts< bzw. >Phantasiebildnisse<
intendiert waren, wird im Folgenden zu untersuchen

1 Vgl. unten, Kap. III.1.9, S. 173f., 176, Kap. IV.2.2.1, S. 281f.

2 Vgl. oben, Kap. III.4.1, S. 218f.
 
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