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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0111

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3

Möglichkeiten der Unterscheidung von Porträt und Tronie

3.1 Voraussetzungen
Anhand der von Rembrandt, Lievens und Hals in
den zwanziger und frühen dreißiger Jahren geschaf-
fenen Tronien können sowohl Kriterien zur Abgren-
zung von der Gattung Porträt entwickelt als auch
Schwierigkeiten aufgezeigt werden, die sich bei der
Unterscheidung beider Bildkategorien ergeben.
Das Frühwerk von Rembrandt und Lievens bie-
tet hierfür eine besonders günstige Ausgangslage,
weil die Porträtmalerei während der Leidener Zeit
praktisch keine Rolle in ihrem Schaffen spielte. Von
Rembrandt ist weder ein konventionelles Bildnis in
zeitgenössischer Kleidung aus dieser Periode erhal-
ten, noch ist auch nur ein einziger Porträtauftrag do-
kumentiert, den er in Leiden ausführte.1 Offensicht-
lich begann der Meister erst während seiner Tätigkeit
in Amsterdam mit der Produktion von Bildnissen.
Lievens malte zwar 1628/29 em Porträt des Constan-
tijn Hwygens (1596-1687) (Amsterdam, Rijksmuse-
um) [Kat. 291, Taf. IV].2 Dies ist jedoch das einzige
bekannte Bildnis in zeitgenössischer Kleidung von
seiner Hand, das in der Leidener Zeit entstand.3
Schriftliche Belege für weitere Porträtaufträge sind
nicht erhalten. Die Tatsache, dass beide Künstler sich
in ihren frühen Schaffensjahren offensichtlich nicht
bzw. nur in geringem Maße mit der etablierten Form
des Porträts in modischer Kleidung und den damit
verbundenen Darstellungskonventionen auseinander-
setzten, spricht klar gegen die Annahme, es könnte
sich bei den Brustbildern und Halbfiguren in Phan-
tasietracht um Bildnisse handeln. Dass die Werke, wie
vermutet, als Teil eines eigenständigen Bildtyps zu
begreifen sind, der sich funktional von der Gattung
1 Vgl. u.a. Bauch 1960, S. 168,180; Tümpel 1986, S. 57; Blan-
kert 1997/98a, S. 42; Veen 1997/98, S. 69.
2 Zur Datierung des Bildes vgl. Schneider / Ekkart 1973, S.
309-311, Kat. Nr. 243, S. 333f. Ekkarts Datierung in die Jah-
re 1628/29 wird von der jüngeren Forschung übernommen,

Porträt unterscheidet, kann durch die im Folgenden
durchgeführte Analyse verifiziert werden.
Anders als bei den Leidener Künstlern stellt sich die
Situation im Werk von Frans Hals dar, da dieser in den
zwanziger Jahren neben Tronien auch eine große Zahl
konventioneller Porträts schuf. Die Zugehörigkeit der
oben behandelten Kopfstücke und Halbfiguren des
Malers zur Gruppe der Tronien lässt sich also nicht wie
bei Rembrandt und Lievens schon aus dem spezifischen
Entstehungskontext der Werke erschließen. Umso ent-
scheidender für ihre Erfassung als eigene Bildgruppe, die
nicht der Gattung Porträt angehört, ist es somit, die Dif-
ferenzen zwischen beiden Bildkategorien aufzudecken.
Zunächst wird untersucht, in welcher Weise die
in Leiden und Haarlem geschaffenen Tronien sich
hinsichtlich ihrer unmittelbar ablesbaren äußeren
Merkmale von Porträts unterscheiden, um dann zu-
sätzliche Abgrenzungskriterien zu behandeln, die
sich aus den Entstehungsbedingungen der Werke
ergeben. Die ermittelten Kriterien können anschlie-
ßend für die Beurteilung später entstandener Tronien
- auch anderer Künstler - fruchtbar gemacht wer-
den. Zu beachten ist dabei, dass es sich um kunsthis-
torische Ordnungs- und Unterscheidungskriterien
handelt. Es wird also vorerst aus der Sicht des Kunst-
historikers argumentiert und nicht so sehr die Per-
spektive der Künstler eingenommen. Methodisch ist
dies notwendig, um den Untersuchungsgegenstand
der Studie zu definieren. Da die ermittelten Kriterien
auf der Analyse der künstlerischen Praxis basieren,
spiegeln sie freilich Charakter, Eigenarten und spezi-
fische Qualitäten von Tronien und geben damit auch
Auskunft über die Zielsetzungen und künstlerischen
Interessen der Maler, die Tronien schufen.
vgl. Kat. Braunschweig 1979, Kat. Nr. 17, S. 68; Sumowski
1983-1994, Bd. 3, Kat. Nr. 1286; Ekkart 1991b, S. 53-56;
Gutbrod 1996, S. 68.
3 Vgl. Ekkart 1976/77b, S. 36.
 
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