Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0112

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
100

Der Bildbefund der 1620er und frühen 30er Jahre

3.2 Formale Unterscheidungskriterien
Die vorangehende Untersuchung hat ergeben, dass die
Porträtmalerei im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts an
bestimmte ikonographische, motivische und stilistische
Konventionen gebunden war, von denen die Künstler
nicht abwichen. Werden diese Konventionen in Einfi-
gurenbildern durchbrochen und Motive bzw. Gestal-
tungsweisen eingesetzt, die nicht zum feststehenden
Repertoire des im fraglichen Zeitraum geltenden Codes
gehören, kann als bewiesen gelten, dass es sich bei den
entsprechenden Werken nicht um Porträts handelt.
Für die bis in die frühen dreißiger Jahre geschaf-
fenen, als Tronien beurteilten Gemälde von Lievens
und Rembrandt ist festzustellen, dass sie sich durch
die Phantasietracht der Dargestellten deutlich von den
untersuchten Porträts in zeitgenössischer Tracht un-
terscheiden. Diese Beobachtung allein reicht als Ab-
grenzungskriterium gegenüber der Gattung Porträt
allerdings nicht aus, da die Kleidung der Dargestellten
im portrait historie und Kostümporträt ebenfalls nicht
mit derjenigen konventioneller Porträts übereinstimmt,
sondern wie die Tracht von Tronien den Kostümen der
Figuren auf Historien- oder Genrebildern ähnelt.
Dennoch kann die Kostümierung von Tronien in
bestimmten Fällen als Unterscheidungsmerkmal die-
nen, und zwar dann, wenn sie mit den gattungsspe-
zifischen Anforderungen der Porträtmalerei nicht
vereinbar ist. Die Kostüme von Rembrandts und
Lievens’ Tronien können ausgesprochen stark vari-
ieren, wobei das Spektrum von einer äußerst reichen
Ausstaffierung bis hin zu einem einfachen braunen
Gewand reicht. Viele der Tronien Lievens’ tragen ein
schlichtes, meist einfarbiges und als >unspezifisch<
zu beschreibendes Gewand ohne Accessoires oder
Schmuckelemente [vgl. z. B. Kat. 279, Taf. II, Kat. 298,
Taf. 63, Kat. 303, Taf. 63]. Und auch bei Rembrandt
kommt eine solche Zurückhaltung bei der Gestaltung
der Kleidung vor: Sein Bärtiger alter Mann mit Kappe
(Kingston, Agnes Etherington Art Centre, Queen’s
University) [Kat. 395, Taf. V, 84] erscheint in einem
einfachen schwarzen Gewand, bei dem der Maler der
Durchbildung des Stoffes oder anderer Kostümde-
tails keine Aufmerksamkeit widmete.

Wie gezeigt wurde, verlangten die repräsentative
und die exemplarische Funktion von Porträts eine
der postulierten Würde des Dargestellten angemes-
sene Ausstattung und damit verbunden die sorgfältige
Schilderung der Einzelheiten der Kleidung - sei es im
konventionellen Bildnis, im portrait historie oder im
Kostümporträt. Eine Abweichung von dieser Regel
war nur möglich, wenn die Verkörperung einer mit
bestimmten inhaltlichen Vorstellungen verbundenen
Rolle im portrait historie ein schlichteres Gewand er-
forderte, wie z.B. bei der Darstellung eines Auftragge-
bers als Hirte [Kat. 3, Abb. 13, S. 96] oder Apostel.4 In
diesem Fall müsste die vom Porträtierten eingenom-
mene Rolle allerdings durch entsprechende Kennzei-
chen oder Attribute kenntlich gemacht sein, was auf die
behandelten Brustbilder und Halbfiguren von Lievens
und Rembrandt nicht zutrifft. Wenn ein Einfigurenbild
in begrenztem Ausschnitt keine Attribute oder sons-
tiges Beiwerk aufweist, kann ein besonders einfaches,
nur summarisch angegebenes Gewand im Untersu-
chungszeitraum also als Indiz für seine Zuordnung zur
Bildaufgabe Tronie gewertet werden. In künstlerischer
Hinsicht diente der Verzicht auf ein aufwendiges Kos-
tüm dazu, die gesamte Aufmerksamkeit auf das Gesicht
der dargestellten Figur zu lenken.
Was den Einsatz bestimmter Attribute und Mo-
tive anbetrifft, die zum Standardrepertoire der Por-
trätmalerei gehörten, fällt auf, dass diese bei der Dar-
stellung der Tronien des Untersuchungszeitraumes
keine Anwendung fanden: Die Figuren halten weder
Handschuhe oder Fächer noch stützen sie sich auf
Tisch oder Stuhl, und auch die Kombination von
Säule und Vorhang ist kein für Tronien der zwanzi-
ger und frühen dreißiger Jahre gebräuchliches Ele-
ment.5 Das Fehlen von Attributen sagt freilich nichts
darüber aus, ob ein Bild als Porträt zu betrachten ist
oder nicht: Zum einen weisen Bildnisse in zeitgenös-
sischer Tracht sehr häufig keinerlei Beiwerk auf, zum
anderen ist spätestens mit der Einführung des Kos-
tümporträts in den dreißiger Jahren damit zu rech-
nen, dass auch bei der Herstellung von Porträts in
Phantasietracht auf Attribute verzichtet wurde.
Kommen wir zurück zu der Frage, inwiefern das
Kostüm von Tronien zur Abgrenzung gegenüber Por-

4 Durch Mander / Miedema 1994-1999, Bd. 1, S. 363 (fol.
276r, Z. 12-18), ist bezeugt, dass Cornelis Ketel Bildnisse
von Künstlern und Kunstliebhabern in Gestalt der 12 Apos-
tel malte.

5 Bei der Gestaltung von Bildnissen in Phantasietracht wurden
entsprechende Beigaben demgegenüber durchaus verwendet.
Vgl. z.B. Honthorsts Porträt von Elizabeth Stuart mit Kro-
ne und "Zepter (unbekannter Besitz) [Kat. 240], auf dem die
Dargestellte vor einer Säule mit Vorhang erscheint.
 
Annotationen