Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0293

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2

Der Einfluss des Bildtyps Tronie auf die Porträtmalerei

Nachdem die Frage behandelt worden ist, inwiefern
der Bildtyp Tronie von der Gattung Porträt profi-
tierte, soll nun umgekehrt untersucht werden, in wel-
cher Weise sich die Verbreitung von Tronien in den
Nördlichen Niederlanden auf die Porträtmalerei aus-
wirkte. Dabei ist festzustellen, dass Tronien nicht nur
die künstlerische Gestaltung konventioneller Porträts
in erheblichem Maße beeinflussen konnten. Vielmehr
führte die Etablierung des Bildtyps sogar zur Ausprä-
gung einer spezifischen Form des bürgerlichen Por-
träts, dessen Wertschätzung eng mit der Beliebtheit
und dem zeitgenössischen Verständnis von Tronien
verbunden war.
2.1 Die Gestaltung konventioneller Porträts
in >Tronie-Manier<
Als eines der wesentlichen Charakteristika von Tro-
nien wurde die Art und Weise ihrer künstlerischen
Gestaltung mit Blick auf die Oberflächenbehand-
lung der Bilder, den Einsatz von Licht und Schat-
ten, aber auch die veristische Darstellungsweise der
Modelle herausgestellt. Tronien boten den Künstlern
in dieser Hinsicht die Möglichkeit zu experimen-
tieren und Grenzen auszuloten. Dementsprechend
zeichnen sich die Werke häufig durch ausgesprochen
variablen, kontrastreichen oder freien Farbauftrag,
forcierte Lichteffekte sowie vielfach eine besonders
schonungslose Schilderung der physiognomischen
Eigenarten der Dargestellten aus und unterscheiden
sich dadurch in der Regel von den gleichzeitigen
Porträts der betreffenden Maler. Die anhand der

Produktion von Tronien gewonnenen Erfahrungen
wirkten sich jedoch interessanterweise bei einer Rei-
he von Künstlern früher oder später auch auf die
Gestaltung ihrer Bildnisse in zeitgenössischer Tracht
aus. In besonderem Maße gilt dies für jene hollän-
dischen Maler, die sich im 17. Jahrhundert als erste
mit dem Bildtyp der Tronie beschäftigten, also für
Hals, Lievens und Rembrandt.
Frans Hals
Es wurde bereits festgestellt, dass die von Frans Hals
vor 1630 geschaffenen Bildnisse nicht den Grad der
skizzenhaft-freien Ausführung der in den zwanzi-
ger Jahren entstandenen Tronien des Malers errei-
chen.1 Sie sind in einer Weise gemalt, die zwar die
Zusammensetzung der Bildelemente aus einzelnen
Pinselstrichen nicht leugnet, gleichzeitig aber - an-
ders als dies bei Hals’ Tronien der Fall ist - eine dif-
ferenzierte Modellierung von Gesichtern, Händen
und Kleidungsstücken sowie eine im Vergleich ge-
nauere Wiedergabe von Einzelheiten, insbesondere
der Tracht, beinhaltet.2 In den dreißiger Jahren löst
sich Hals bei der Produktion männlicher Bildnisse
von dieser noch relativ detailgenauen zugunsten einer
vereinfachteren Darstellungsweise. Zu einer malerisch
besonders freien Vortragsweise gelangt er dabei insbe-
sondere in seinen kleinformatigen Porträts, die häufig
als Stichvorlagen verwendet wurden,3 aber Slive zu-
folge auch als »little cabinet pieces designed for pri-
vate enjoyment«4 konzipiert gewesen sein könnten.5
Vor allem die Kleidung der Auftraggeber oder Teile
davon zerlegt der Meister in diesen, aber auch in vie-
len seiner lebensgroßen Bildnisse von nun an in grob

1 Vgl. oben, Kap. II.2.4, S. 92f., Kap. II.3.2, S. 101, 104f.
2 Vgl. Grimm 1989, S. 199.
3 Vgl. Slive 1970/74, Bd. 1, S. 125—127. Zu Porträtstichen nach
Werken von Frans Hals vgl. außerdem Grimm 1989, S. 30-
47.
4 Slive 1970/74, Bd. 1, S. 162. Vgl. auch ebd., S. 30.

5 Vgl. z. B. Slive 1970/74, Bd. 2, PI. 141,140, Bd. 3, Kat. Nr. 90,
92; Kat. Washington / London / Haarlem 1989/90, Kat.
Nr. 48, S. 268f., Kat. Nr. 50, S. 273-275. Grimm 1989, S. 137,
zieht auch die Möglichkeit in Betracht, dass es sich bei ei-
nigen skizzenhaft ausgeführten, kleinformatigen Bildnissen
um Vorstudien für Gruppenbildnisse handelt.
 
Annotationen