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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0294

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Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

ausgeführte, unverbunden nebeneinander liegende
Farbfelder und Striche, so dass die Bestandteile des
Kostüms ihren Objektcharakter erst in Relation zur
Gesamtkomposition erhalten. Dies ist etwa bei Hals’
Porträt eines jungen Mannes in gelbgrauem Rockb in
Dresden (Gemäldegalerie Alte Meister) [Kat. 222, Taf.
48] von ca. 1633 und dem Porträt Willem Coenraetsz.
Coymans (1623-1678)6 7 (Washington, National Gallery
of Art) [Kat. 224] von 1645 der Fall.8 9 Für weibliche
Bildnisse lässt sich ein vergleichbares Gestaltungs-
prinzip erst in den vierziger Jahren beobachten. Em
eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die im Bildnis einer
stehenden Frau von ca. 1643/45 (Edinburgh, National
Gallery of Scotland) [Kat. 223, Taf. 48] nahezu
abstrakte Umsetzung der Hände.l> Die eine Hand
steckt in einem weißen, in groben Pinselstrichen an-
gedeuteten Handschuh und hält ein Taschentuch, das
nur durch seine Einbindung in den Bildkontext als
solches zu erkennen ist.
Die Behandlung der Kleidung vieler Bildnisse der
dreißiger und vierzigerJahre weist Analogien zur Glie-
derung des Farbauftrags In den Kostümen der in den
zwanziger Jahren geschaffenen Tronien des Meisters
auf: Wie schon für die Tronien zu beobachten [Kat.
203, Taf. VI, 42, Kat. 211, Kat. 217, Taf. 46], sind auch
für die Gestaltung der Kleidung der Porträts in ihrem
Nebeneinander erfasste, breite, teilweise zackige und
in verschiedene Richtungen verlaufende Striche und
Farbfelder in zum Teil pastosem Farbauftrag charakte-
ristisch - selbst wenn die Kostüme der Tronien insge-
samt meist in noch breiterer Manier gegeben sind, als
dies bei den betreffenden Porträts der Fall ist. Die Wie-
dergabe der Gesichter, insbesondere der männlichen
Auftraggeber, zeichnet sich in den dreißiger und mehr
noch in den vierziger Jahren im Gegensatz zu früheren
Porträts vielfach durch eine lockerere, weniger detail-

gebundene und stärker an der Fläche orientierte Pin-
selführung aus.10 Allerdings entfaltet der Einsatz des
Pinsels oftmals kein ebenso hohes Maß an Eigendyna-
mik wie in Hals’ Tronien. Erst ungefähr ab der zwei-
ten Hälfte der fünfziger und vor allem in den sechziger
Jahren entstehen Porträts, deren Ausführung insgesamt
einen Abstraktionsgrad erreicht, der zuvor ausschließ-
lich Hals’ Tronien und Genrebildern vorbehalten war
[Kat. 225-226, Taf. 48],11
Claus Grimm beschreibt das hier skizzierte Ver-
hältnis zwischen Hals’ Bildnissen und seinen Genre-
bildern bzw. Tronien wie folgt:
»Im auftragsgebundenen Porträt entwickelt Hals seine Virtuosität
mit Zurückhaltung. Er geht in kleinen Stufen voran und erreicht
seine fulminanten Ausbrüche erst in den spätesten Bildern. In der
freieren Gattung der Genrebilder, vor den >anonymen< Modellen
entwickelt Hals bereits vierzig Jahre früher eine improvisato-
rische Freiheit ohnegleichen. In den Darstellungen halbfiguriger
Kinder, Musiker und Volkstypen kommt Hals sehr schnell zu
optischen Effekten, die er in einer zweiten Entwicklungslinie erst
nach und nach aus den konventionellen Bildnisdarstellungen her-
ausholt. [...] Die Genremalerei scheint für Hals ein Experimen-
tierfeld gewesen zu sein, aus dem er die Anregungen zur weiteren
Durchdringung seiner Porträts geschöpft hat.«12
Es kann hier nicht genauer verfolgt werden, inwiefern
sich die Art der malerischen Gestaltung bestimmter
Bildnisse von Hals im Einzelnen auf seine Tronien
beziehen lässt bzw. von diesen profitierte. Dies sei
ausführlicheren Analysen zu Stil und Maltechnik des
Meisters überlassen.13 Fest steht jedoch, dass Hals’
Tronien den Ausgangspunkt für die Anwendung ei-
ner rauen, den Eigenwert des Farbauftrags in hohem
Maße betonenden Manier im Einfigurenbild markie-
ren und sich eine vergleichbare Behandlung der Far-
be nach und nach auch m den Porträts des Meisters
durchsetzte.14 Anhand von Tronien >gewöhnte< Hals

6 Zur Zuschreibung des Bildes an Hals vgl. Slive 1970/74, Bd.
1, S. 30, 124, 162, Bd. 2, Pl. 141, Bd. 3, Kat. Nr. 90; Grimm
1989, Kat. Nr. 65, S. 275; Kat. Dresden 2005, Bd. 2, Kat. Nr.
902, S. 298.
7 Zur Identifizierung des Dargestellten vgl. Kat. Washington
/ London / Haarlem 1989/90, Kat. Nr. 61, S. 304, dort auch
weitere Literatur. Zum Stil des Bildes vgl. Grimm 1989, S. 194.
8 Vgl. u.a. auch Slive 1970/74, Bd. 2, Pl. 256, Bd. 3, Kat. Nr.
167; Kat. Washington / London / Haarlem 1989/90, Kat.
Nr. 48, S. 268f, Kat. Nr. 52, S. 280f, Kat. Nr. 62f., S. 306.
9 Vgl. auch Kat. Washington / London / Haarlem 1989/90,
Kat. Nr. 65, S. 312f.
10 Vgl. Slive 1970/74, Bd. 1, S. 117f.; Grimm 1989, S. 183-194.
Für besonders frei behandelte Gesichter in Bildnissen der
dreißiger und vierzigerJahre vgl. u.a. Slive 1970/74, Bd. 2,

Pl. 140, 143, 228, 235, 238, Bd. 3, Kat. Nr. 92, 86, 148, 151,
154; Kat. Washington / London / Haarlem 1989/90, Kat.
Nr. 50, S. 273-275, Kat. Nr. 59, S. 298f., Kat. Nr. 61, S. 304f.
11 Für weitere Beispiele vgl. z. B. Slive 1970/74, Bd. 2, Pl. 323,
325, 336, Bd. 3, Kat. Nr. 210, 212, 219; Kat. Washington /
London / Haarlem 1989/90, Kat. Nr. 73, S. 332f., Kat. Nr.
76, S. 340-343, Kat. Nr. 80, S. 350f., Kat. Nr. 82, S. 354f., Kat.
Nr. 84, S. 358f. Vgl. außerdem Slive 1970/74, Bd. 1, S. 182,
194-210; Grimm 1989, S. 194-196.
12 Grimm 1989, S. 103. Vgl. auch ebd., S. 177; Stukenbrock
1993, S. 30; Atkins 2003, S. 301.
13 Christopher Atkins schloss kürzlich eine Dissertation mit
dem Titel »The Master’s Touch: Frans Hals’s Rough Manner«
(Newark, Rutgers University) ab. Vgl. Atkins 2003, S. 304.
14 Vgl. Grimm 1989, S. 177-199, bes. S. 199.
 
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