Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0295

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Einfluss des Bildtyps Tronie auf die Porträtmalerei

267

sein Publikum gleichsam an die stark individuali-
sierte Malweise seiner Werke. Wie Christopher At-
kins deutlich machen kann, wurde die Tatsache, dass
Hals’ Bildnisse nicht nur Auskunft über die jeweils
dargestellte Person, sondern auch über die spezi-
fische Machart der Werke und damit ihren Schöpfer
gaben, von den Auftraggebern des Meisters nicht
nur akzeptiert, sondern auch besonders geschätzt.15
Atkins zeigt, dass Hals’ raue Malweise von zeitge-
nössischen Autoren als Zeichen der künstlerischen
Virtuosität des Meisters bewertet wurde.16 Weiter
belegen frühneuzeitliche Etikettebücher, dass »an m-
formed appreciation of painters’ handling signified
cultural sophistication.«17 Ließen sich Auftraggeber
also in Hals’ rauer Manier porträtieren, demonstrier-
ten sie Atkins zufolge auf besonders eindrückliche
Weise ihr Kunstverständnis und dabei vor allem die
Fähigkeit, die Kunstfertigkeit zu erkennen, mit der
Hals seine - nur scheinbar mühelos gemalten - Bil-
der in rauer Manier schuf.18 * Durch diesen Beweis
ihrer Kunstkennerschaft erhoben die Dargestellten
Anspruch auf die Zugehörigkeit zur kulturellen Eli-
te der virtuosi-liefhebbersy* Wie wir sahen, setzte
sich Hals’ freie Malweise für Bildnisse allerdings
erst durch, nachdem sie sich in der Praxis durch die
Verbreitung seiner Tronien und Genrebilder als Mar-
kenzeichen des Meisters etabliert hatte. Insbesonde-
re in seinen späten Bildnissen, die den persönlichen
Stil des Meisters exemplifizieren und unmittelbar als
Werke von seiner Hand erkannt werden konnten,
realisierte Hals eine Möglichkeit innovativer künst-
lerischer Gestaltung, die er seinem Publikum bereits
in den zwanziger Jahren anhand von Tronien vorge-
führt und damit das Interesse an den entsprechenden
malerischen Qualitäten seiner Bilder geweckt hatte.
Jan Lievens
Die Beeinflussung oder Prägung der Bildnisse eines
Künstlers durch seine Tronien lässt sich auch für
Jan Lievens aufzeigen. Anders als bei Hals gehören
Bildnisse nicht zu den ersten Werken, die von sei-
ner Hand erhalten sind. Vielmehr sahen wir, dass die
Produktion von Tronien und Historien Lievens’ frü-

he Schaffens] ahre in Leiden dominierte. Als Lievens
im Jahr 1637 das Bildnis des angeblich 116-jährigen
Petrus Egidius de Morrion (Budapest, Szepmüveszeti
Müzeum) [Kat. 314, Taf. XVIII, 67] malte,20 konnte
er auf die Schöpfung einer großen Zahl von Tronien
zurückblicken, die wie das Porträt Morrions grei-
se Männer zum Bildgegenstand haben. Schon Hans
Schneider erfasste den engen künstlerischen Zusam-
menhang, der zwischen dem Porträt und Lievens’
Tronien von Greisen besteht:
»Alles, was Lievens beim Malen seiner zahllosen Greisenköpfe
nach beliebigen >schönen< Modellen erlernt hat, scheint nunmehr
im Bildnis dieses einen Mannes sublimiert zu sein. Auch ohne
die Unterschrift, wodurch der Dargestellte seines hohen Alters
halber einen Kuriositätswert bekommt, wird der unbefangene
Beschauer durch die künstlerische Behandlung getroffen, die eine
mit solchen Modellen offenbar ganz besonders vertraute Hand
verrät.«21
Tatsächlich könnte man das Bildnis Morrions für
eine Tronie halten, trüge es nicht die Beschriftung
mit dem Namen des Dargestellten. Kompromisslos
schildert Lievens die Zeichen des Alters, zu denen
das hängende Augenlid, das Doppelkinn, die krum-
me Haltung und das schüttere Haar des Alten ge-
hören. Sein Gesicht ist locker gemalt, die schlichte
Kleidung, Haar und Bart sind sehr vereinfacht, zum
Teil nur andeutend wiedergegeben und zeigen starke
Transparenzen. Der Vergleich mit Tronien wie Lie-
vens’ Bärtigem alten Mann in Schwerin (Staatliches
Museum) [Kat. 303, Taf. 63] oder seinem Bärtigen
alten Mann im Profil nach links in Leipzig (Muse-
um der Bildenden Künste) [Kat. 310] offenbart, wo
der Ursprung von Lievens’ Erwerb der Fähigkeit zur
Charakterdarstellung und des souveränen Umgangs
mit der Farbmaterie liegt, die sich im Porträt Morri-
ons manifestieren.
Zwar schuf Lievens in der Folge eine Reihe von
Porträts, die eher an van Dycks eleganten Bildnis-
stil anknüpfen und keine Prägung durch Lievens’
Tronien aufweisen.22 Doch finden sich auch immer
wieder Werke, die auf beeindruckende Weise Lie-
vens’ langjährige Tätigkeit als Troniemaler verraten.
Hierzu gehören insbesondere das Porträt Sir Robert

15 Vgl. hierzu unten, Kap. V.3.1, S. 341f.
16 Atkins 2003, S. 283-292.
17 Atkins 2003, S. 298.
18 Vgl. hierzu Atkins 2003, bes. S. 292—300. Zur Bewertung der
rauen Manier durch die Zeitgenossen vgl. unten, Kap. V.3.1,
S. 340, Anm. 34.

19 Zum Konzept des virtuoso (bzw. >liefhebber<) vgl. unten,
Kap. IV.2.2.4, S. 302-304.
20 Vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 3, Kat. Nr. 1288, dort auch
weitere Literatur.
21 Schneider / Ekkart 1973, S. 46.
22 Vgl. Schneider / Ekkart 1973, S. 72.
 
Annotationen