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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0093

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2

Erscheinungsformen des holländischen Porträts zwischen 1615 und 1633

2.1 Problemstellung
Bei der Herstellung einer Tronie richtete sich das
Augenmerk des Künstlers ebenso wie beim einfigu-
rigen Porträt in reduziertem Ausschnitt auf die Dar-
stellung einer einzelnen Figur ohne Einbindung in
einen narrativen Kontext sowie auf die naturgetreue
Wiedergabe der individuellen Physiognomie des
Modells. Diese grundsätzliche Gemeinsamkeit von
Porträt und Tronie bedingt vielfältige visuelle Ver-
flechtungen beider Bildformen, die mit fortschrei-
tender Entfaltung des Bildtyps der Tronie deutlich
zunehmen und zu Abgrenzungsschwierigkeiten
führen können. Da beide Gruppen sich jedoch funk-
tional grundsätzlich voneinander unterscheiden, ist
es notwendig, Kriterien für die richtige Klassifizie-
rung der Werke zu entwickeln. Es fragt sich, ob und
aufgrund welcher äußeren Merkmale sich Tronien
von Porträts abgrenzen lassen. Um in dieser Hin-
sicht eine Ausgangsbasis für die weitere Untersu-
chung zu schaffen, wird ein Vergleich von Porträt
und Tronie anhand des Bildbefunds der zwanziger
und frühen dreißiger Jahre vorgenommen. Hierfür
ist zunächst die Analyse der zu dieser Zeit üblichen
Erscheinungsweisen und Darstellungskonventionen
der Porträtmalerei erforderlich. Die genannte Peri-
ode bietet sich insofern als Untersuchungszeitraum
an, als in der entsprechenden Phase der Entwicklung
eine umfassendere Ausdifferenzierung des Bildtyps
der Tronie und ihre Produktion durch eine Vielzahl
unterschiedlicher Künstler noch bevorstand.
Für die Untersuchung des Entwicklungsstandes,
auf dem sich die Porträtmalerei kurz vor und wäh-
rend der Produktion der ersten Tronien durch Hals,

Rembrandt und Lievens befand, ist es sinnvoll, auch
Bildnisse in den Blick zu nehmen, die in den Jah-
ren vor 1620, also etwa ab 1615, geschaffen wurden.
Das Ende des Untersuchungszeitraumes wird nicht
von Rembrandts Umzug nach Amsterdam und Lie-
vens’ Abreise nach England, sondern von der Zeit
um 1632/33 markiert, da Gerard van Honthorst in
den frühen dreißiger Jahren Formen des Porträts am
Haager Hof einführte, die für unsere Fragestellung
von besonderer Bedeutung sind.
Ehe wir uns dem Bildbefund des Untersuchungs-
zeitraumes zuwenden, ist in einem kurzen allgemei-
nen Überblick zu klären, unter welchen Vorausset-
zungen Porträts in der Republik der Vereinigten
Niederlande im 17. Jahrhundert gemalt wurden, mit
welchem Spektrum unterschiedlicher Formen zu
rechnen ist, vor allem aber, welche Funktionen Por-
träts zu erfüllen hatten und inwiefern diese das Er-
scheinungsbild der Bildnisse bestimmten.
2.2 Die Funktionen der Porträtmalerei
Mit dem ökonomischen Aufschwung der Städte
und dem damit verbundenen Wohlstand und sozi-
alen Aufstieg ihrer Bürger erlebte die holländische
Porträtmalerei im 17. Jahrhundert eine beispiellose
Blüte und entfaltete eine Fülle unterschiedlicher For-
men und Ausdrucksmöghchkeiten.1 Porträts wurden
ausschließlich von Angehörigen der höheren Gesell-
schaftsschichten in Auftrag gegeben, zu denen neben
dem Adel das städtische Patriziat, aber auch Kaufleu-
te, Handwerker und andere Personen der gehobenen
Mittelschicht zählten.2 Eine besonders wichtige Rolle

1 Die folgenden Ausführungen stützen sich, wenn nicht anders
vermerkt, auf Slive 1970/74, Bd. 1, S. 21-31, 39-71, 112-140;
Kat. Sarasota 1980/81; Haak 1984, S. 98-104; Briels 1987,
S. 28-52; Kat. Haarlem 1988; Jongh 1986; Jongh 1993a;
Raupp 1984; Raupp 1995b; Slive 1995, S. 246-261; Kat. Rot¬

terdam 1995; Briels 1997, S. 31-49; Woodall 1997; Tiet-
hoff-Spliethoff 1997/98; Marschke 1998; Ekkart 2002/03
Kat. Amsterdam 2002/03; Ekkart 2007/08b.
2 Jongh 1986, S. 18; Briels 1997, S. 32.
 
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