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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0094

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Der Bildbefund der 1620er und frühen 30er Jahri

als potente Auftraggeber von Bildnissen spielten die
Mitglieder des Haager Hofes, die sich der Porträtma-
lerei nicht zuletzt als Mittel zur Demonstration ihres
Herrschaftsanspruchs bedienten.3 Aber auch die bür-
um ihrer neu erworbenen politischen und gesellschaft-
lichen Stellung Ausdruck zu verleihen.
Es gibt kaum einen niederländischen Figurenma-
ler, der im Laufe seiner Karriere kein einziges Porträt
schuf. Anders als Bilder, die für den freien Markt an-
gefertigt wurden, boten Porträts den Künstlern als
Auftragsarbeiten eine kalkulierbare Einnahmequelle.
Die hohe Nachfrage in den Städten führte dazu, dass
sich viele Meister allein auf die Porträtmalerei spezia-
lisierten und sich auf diese Weise ein festes Einkom-
men sicherten. Darüber hinaus wurde Künstlern wie
Michiel van Miereveld und Gerard van Honthorst
durch ihre Tätigkeit als Porträtmaler für den Ora-
nierhof der soziale und wirtschaftliche Aufstieg er-
möglicht.3 4
Die Beliebtheit der Porträtmalerei beim zeit-
genössischen Publikum und die von den begabten
Künstlern des 17. Jahrhunderts auf diesem Gebiet
erbrachten Leistungen finden bei den Kunsttheore-
tikern der Zeit bekanntlich keinen entsprechenden
Wiederhall.5 In deren Augen war die Historienmale-
rei die würdigste und dem Maler zu höchstem Ruhm
gereichende Form der Kunst.6 Für die Geringschät-
zung der Gattung Porträt symptomatisch ist schon
Karel van Manders viel zitiertes Diktum von der
Porträtmalerei als einem »sijd-wegh der Consten«7.
Van Manders Ansicht nach bot die Auftragslage in
den Niederlanden zu wenig Gelegenheiten für die
Maler, ihre Fähigkeiten auf dem Gebiet figürlicher


Kompositionen unter Beweis zu stellen. Das Streben
nach Gewinn oder auch nur die Notwendigkeit, den
eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, habe zur Fol-
ge, dass viele Künstler sich ausschließlich der Her-
stellung von Porträts widmeten. Noch bei Autoren
wie Samuel van Hoogstraten und Gerard de Lairesse
nimmt die Historienmalerei den wichtigsten Platz
in der Hierarchie der Gattungen ein; die Porträt-
malerei spielt dementsprechend eine untergeord-
nete Rolle.8 * Zwar kam Bildnissen insofern ein hoher
Rang zu, als sie im Idealfall ebenso wie die meisten
Historien die Darstellung würdiger, verdienstvoller
und damit vorbildhafter Persönlichkeiten beinhalte-
ten.4 Dennoch blieb die Gattung aus Sicht der nie-
derländischen Kunsttheoretiker hinter dem hohen
Anspruch und den künstlerischen Anforderungen
zurück, die in formaler und inhaltlicher Hinsicht an
den Historienmaler gestellt wurden. Wesentlich zur
geringen Wertschätzung der Porträtmalerei trug die
Auffassung bei, dass die Maler auf die genaue Na-
turnachahmung im Sinne sklavischen Kopierens
beschränkt und an festgelegte Konventionen sowie
die Wünsche der Auftraggeber gebunden waren.10
Allein die Behandlung eines gehobenen Stoffes im
Historienbild ermöglichte es den Künstlern aus
Sicht der Kunsttheoretiker, ihre Erfindungsgabe im
Sinne des Konzeptes der inventio sowie die Fähig-
keit zur richtigen Auswahl (electio) unter Beweis zu
stellen.11 Aus heutiger Perspektive allerdings bewie-
sen die Maler innerhalb des vorgegebenen Rahmens
ikonographischer und formaler Konventionen aus-
gesprochenen Erfindungsreichtum hinsichtlich der
Belebung traditioneller Darstellungsmuster und der
Entwicklung neuer Gestaltungsmöglichkeiten.

3 Zur höfischen Porträtmalerei vgl. jüngst Bauer 2003; Spliet-
hoff 2003.
4 Vgl. Haak 1984, S. 216f., 332-335; Judson / Ekkart 1999, S.
28, 30-33, 35-38.
5 Haak 1984, S. 98; Jongh 1986, S. 26; Jongh 1997, S. 32f.;
Ford 1990, S. 119-125.
6 Vgl. u.a. Ellenius 1960, S. 75f.; Mander / Miedema 1973,
Bd. 2, S. 345f.; Brenninkmeyer-de Rooij 1984, bes. S. 63,
64f.; Mai 1987/88; Gaehtgens 1996, bes. S. 16-18; Czech
2002, S. 183-185,264-274.
7 Mander / Miedema 1994-1999, Bd. 1, S. 383 (fol. 281r, Z.
18). Insgesamt zu van Manders Einschätzung der Porträtma-
lerei vgl. ebd., S. 383 (fol. 281r, Z. 9-33).
8 Hoogstraten 1678; Lairesse 1740. Zur Beurteilung der His¬
torien- und Porträtmalerei durch van Hoogstraten und de
Lairesse vgl. Czecfi 2002, bes. S. 55, 182-185, 264-272, 290,
296; Vries 1998, bes. S. 109-113.

9 Vgl. Raupp 1984, S. 91f.; Woodall 1990, S. 34; Woodall
1997, S. 76-78; Marschke 1998, S. 29-49. Vgl. auch Junius /
Aldrich / Fehl 1991, S. 128-131; Hoogstraten 1678, S. 78.
10 Vgl. Haak 1984, S. 98; Jongh 1997, S. 32f. Lairesse 1740, Bd.
2, S. 5, äußert mit Blick auf die Porträtmalerei sein Unver-
ständnis darüber, »hoe iemand zyne vryheid kan verlaaten
om zieh tot een slaaf te maaken.«
11 Zum inventio-Begriff vgl. u.a. Lee 1940, S. 210-217; Mander /
Miedema 1973, Bd. 2, S. 462, Nr. V 2f; Miedema 1981, S. 139-141;
Brenninkmeyer-de Rooij 1984, S. 64; Gaehtgens / Fleckner
1996, passim. Zur Forderung nach Auswahl der schönsten Teile
des Naturvorbildes (electio) vgl. u. a. Lee 1940, S. 203-210; Em-
mens 1968, S. 59-62, 89f.; Mander / Miedema 1973, Bd. 2,
S. 435f., Nr. II 14f; Miedema 1981, S. 22, 40, 120f., 123; We-
ber 1991,S.129-133.
 
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