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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0037
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Der Begriff >tronie<

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ob es sich bei einem entsprechend bezeichneten Bild
um eine Tronie oder um ein Porträt handelt.160 Dies
bedeutet jedoch nicht, dass die beiden Termini aus-
tauschbar waren. Vielmehr beziehen sie sich auf ei-
nen jeweils anderen Aspekt eines Bildes. Der Begriff
>tronie< charakterisierte in erster Linie den Darstel-
lungsgegenstand als solchen und nicht die Art und
Weise, wie das Bild hergestellt worden war. Bei der
Bezeichnung eines Werkes als >conterfeytsel< lag der
Akzent dagegen auf der naturgetreuen Wiedergabe
des Sujets. Diese spielte für die Darstellungsabsicht
eines Porträts eine.entscheidende Rolle, da die Memo-
rialfunktion nur durch das Erreichen von Ähnlichkeit
erfüllt werden konnte.161 Bei Tronien besaß die Über-
einstimmung des Dargestellten mit dem Modell dem-
gegenüber keine Bedeutung für die Bildaussage.
Tatsächlich lässt sich feststellen, dass die in den In-
ventaren verzeichneten >conterfeytsel< ausgesprochen
häufig durch die Nennung des Namens der darge-
stellten Person oder einen anderen Verweis auf ihre
Identität als Porträts identifiziert werden können.162
Bei Bildern, die als >tronien< aufgeführt werden, ist
dies dagegen vergleichsweise selten der Fall. Charak-
terisierende Zusätze lassen vielmehr darauf schließen,
dass der Begriff >tronie< bevorzugt für die Bezeich-
nung von Figuren eingesetzt wurde, bei denen die
Identität der Dargestellten nicht von Belang war, d. h.
für Köpfe, Brustbilder und gelegentlich Halbfiguren
anonymer, fiktiver oder historischer Figuren.163

Bei der Beurteilung der Inventareinträge ist zu
berücksichtigen, dass der Sprachgebrauch der Ver-
fasser der Verzeichnisse unter Umständen variier-
te.164 Außerdem dürfte sich in bestimmten Fällen

bereits für die Zeitgenossen die Schwierigkeit ergeben
haben, zwischen anonymen Modellen in Phantasie-
tracht und historisierten Bildnissen zu unterscheiden,
wenn sie mit dem Entstehungskontext der Werke
nicht vertraut waren.165 In diesem Fall entsprechen
die Bezeichnungen in den Quellen somit nicht un-
bedingt der ursprünglichen Intention des jeweiligen
Künstlers.

Resümierend ist festzuhalten, dass das Wort >tro-
nie< im 17. Jahrhundert keinen hinsichtlich Form, In-
halt und Funktion fest umrissenen Bildtyp bezeich-
nete. Doch steht der zeitgenössische Sprachgebrauch
nicht im Widerspruch zur Verwendung des Begriffs für
Einfigurenbilder, zu deren wesentlichen Kennzeichen
es gehört, dass sie trotz formaler Gemeinsamkeiten mit
Porträts dieser Gattung nicht zuzurechnen sind. Viel-
mehr gebrauchte man für die von der aktuellen For-
schung als Tronien betrachteten Werke niederländischer
Maler bereits im 17. Jahrhundert vornehmlich das Wort
>tronie<. Die Übernahme dieses Quellenbegriffs in die
kunsthistorische Fachterminologie ist damit gerecht-
fertigt und insofern sinnvoll, als sie eine übergreifende
Bezeichnung für die hier zu untersuchende Bildauf-
gabe ermöglicht.

160 Vgl. hierzu Hirschfelder 2001/02, S. 85.
161 Vgl. unten, Kap. II.2.2, S. 83, Anm. 17, S. 84f.
162 Vgl. Hirschfelder 2001/02, S. 86.
163 Hierzu konnten natürlich auch gemalte Kopfstudien zählen,
die zur Werkvorbereitung dienten. Aufgrund der Kenntnis des
Werkes von Frans Floris ist z. B. davon auszugehen, dass es sich
bei >tronien<, als deren Schöpfer der Maler in den Inventaren

genannt wird, um Studien handelt. Vgl. z. B. GPI 1994—2003,
N-2352, Nr. 0008 (Inv. Margarita van Haelewijn, Amsterdam,
27.5.1645): »Twee tronien, van Frans Floris f. 42:—:—.« Vgl.
auch unten, Kap. II. 1.6, S. 60, Anm. 162. Zu Floris’ CEuvre
vgl. Velde 1975, 2 Bde.
164 Vgl. hierzu unten, Kap. III.5.1, S. 232.
165 Schwartz 1989, S. 114.
 
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