Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0099
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erscheinungsformen des holländischen Porträts 1615—1633

87

lyse der Darstellungskonventionen jedoch nur dann
von Bedeutung, wenn ihr Erscheinungsbild von dem
Code abweicht, der für eine Kerngruppe sicher zuge-
schriebener Bilder eruiert werden kann. Solange ihr
Aussehen diesem Code entspricht, verändern falsch
zugeschriebene bzw. falsch datierte Werke nicht den
allgemeinen Befund, da sie sich von ihm nicht als
Ausnahmen abheben.
Wesentlich für die folgende Untersuchung ist em
Ausschlussverfahren: Um den anschließenden Ver-
gleich mit Tronien durchführen zu können, muss
festgestellt werden, ob im fraglichen Zeitraum sicher
datierbare Porträts entstanden, deren Gestaltungs-
weise sich von den gängigen Darstellungskonven-
tionen unterscheidet und einem Code folgt, der sich
nicht anhand der Mehrheit der Porträts verifizieren
lässt. Tatsächlich ermöglichte es die anhand des publi-
zierten und im RKD dokumentierten Bildmaterials
durchgeführte Sichtung einer großen Zahl von Por-
träts, bestimmte Darstellungsnormen und stereotype
Formen der Anwendung des Codes zu ermitteln, die
im Untersuchungszeitraum Geltung besaßen. Zu-
nächst sollen in einem kurzen Überblick die wich-
tigsten der berücksichtigten Porträtmaler vorgestellt
werden.
Wie erwähnt, spielten Hof, Adel und Regierung eine
wichtige Rolle als Auftraggeber für Porträts.42 Dem-
entsprechend waren Den Haag, der Sitz des Statthal-
ters und der Generalstaaten, und das nahe gelegene
Delft in den zwanziger Jahren wichtige Zentren der
Porträtmalerei. Eine besonders hohe Reputation ge-
noss der in Delft ansässige Porträtspezialist Michiel
Jansz. van Miereveld (1567-1641) [Kat. 340-344,
Taf. 72, 73].43 Zu seinen Kunden zählten neben den
Mitgliedern des Hauses von Oranien-Nassau und
weiteren adligen Familien die Patrizier Delfts und
anderer Städte der Nördlichen Niederlande, aber
auch ausländische Auftraggeber, die die Republik

besuchten. Um die große Nachfrage nach seinen
Porträts zu befriedigen, unterhielt van Miereveld
eine produktive Werkstatt mit einer großen Zahl von
Mitarbeitern. Einer seiner bedeutendsten Konkur-
renten war der in Den Haag tätige Porträtmaler Jan
Anthonisz. van Ravesteyn (ca. 1572-1657) [Kat. 375,
376, Taf. 79, Kat. 377, 378].44 Die in der älteren For-
schung geäußerte Annahme, van Ravesteyn sei em
Schüler van Mierevelds gewesen, wird heute mit der
Begründung, dass sein Frühwerk keine Ähnlichkeit
mit dem Stil des Älteren zeige, zurückgewiesen.45
Die späteren, ab ca. 1610 entstandenen Porträts van
Ravesteyns sind dagegen deutlich von van Miere-
veld beeinflusst und von dessen Werken nicht immer
leicht zu unterscheiden.
Ernsthafte Konkurrenz im Bereich der hö-
fischen Porträtmalerei erhielten van Miereveld und
van Ravesteyn erst mit der Rückkehr Gerard van
Honthorsts (1592-1656) aus England im Jahr 1628.46
Honthorst übernahm schon bald Porträtaufträge
für das seit 1621 im holländischen Exil lebende böh-
mische Königspaar, Friedrich V. von der Pfalz und
Elizabeth Stuart, und dessen Hofstaat, sowie für
den niederländischen Statthalter Frederik Hendrik,
seine Frau Amalia van Solms und ihren Hof [Kat.
231-232, Taf. 50, Kat. 233-234, Kat. 235, Taf. 51,
Kat. 236, Kat. 237, Taf. 51, Kat. 238-240]. Im Jahr
1637 löste Honthorst van Miereveld schließlich of-
fiziell als Hofmaler ab und verlegte seine Werkstatt
von Utrecht nach Den Haag. Im Unterschied zu sei-
nem Vorgänger schuf Honthorst neben Porträts in
zeitgenössischer Kleidung auch eine große Zahl von
Bildnissen in phantasievoller Kostümierung für seine
adligen Auftraggeber.47
Eher bürgerlich geprägt war die Auftragslage in
der Metropole Amsterdam, die Porträtmalern nichts-
destoweniger einträgliche Arbeitsmöghchkeiten bot.
Von ca. 1614 bis zu seinem Tod im Jahr 1624 war
der 1576 geborene Cornelis van der Voort führender

42 Zu den folgenden, auf die Porträtmalerei des Zeitraumes 1615—
1633 bezogenen Ausführungen vgl. allgemein und soweit nicht
anders vermerkt Bauch 1960, S. 38N-4; Wassenbergi-i 1967;
Haak 1984, S. 182-184, 216-218, 221-222, 224, 229-235,
273-276, 319, 323, 326f., 339f.; Kat. Haarlem 1986, Kat.
Nr. 16, S. 114f., Kat. Nr. 21-24, S. 131-144; Kloek 1993/94,
S. 24-31; Kat. Amsterdam 1993/94, S. 310-314, 583-601;
Slive 1995, S. 246-252; Briels 1997, S. 31-43; Tieti-ioff-Spli-
eti-ioff 1997/98; Buijsen 1998a; Turner 2000; Kat. Amster-
dam 2002/03; Ekkart 2002/03, S. 29-33; Spliethoff 2003;
Ekkart 2007/08a, bes. S. 25-40.
43 Zu van Miereveld vgl. Havard 1894; Bredius 1908; R. Ek¬

kart in DA 1996, Bd. 21, S. 485f.; Ekkart 2007/08a, S. 26f.
Allgemein zur Porträtmalerei in Delft vgl. Liedtke 2001a, S.
43-54.
44 Zu van Ravesteyn vgl. Ekkart 1991a; Buijsen 1998a, S. 230-
237; Ekkart 2007/08a, S. 27f.
45 Ekkart 1991a, S. 9; Buijsen 1998a, S. 230. Die frühere Auf-
fassung vertritt noch Slive 1995, S. 248.
46 Zu van Honthorsts Tätigkeit für das böhmische Königspaar
und den Oranierhof in den ersten Jahren nach seiner Rück-
kehr aus England vgl. Judson / Ekkart 1999, S. 28-33.
47 Vgl. Meyere 1993/94, 25-27; Judson / Ekkart 1999, S. 45;
sowie unten Kap. II.2.5, S. 95.
 
Annotationen