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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0134
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Verbreitung und Formen der Tronie

der Europa [Kat. 412] (Privatbesitz) und der Jungen
Frau bei der Toilette in Ottawa (National Gallery of
Canada) [Kat. 411, Taf. 87].33 Es handelt sich also um
ein verfügbares Modell, nicht um eine Auftraggebe-
rin. Gestützt wird diese Annahme auch dadurch, dass
Willem de Leeuw noch zu Lebzeiten Rembrandts ei-
nen Reproduktionsstich nach dem Stockholmer Bild
anfertigte.34 Denn im 17. Jahrhundert fanden Bildnis-
se bürgerlicher Frauen in der Regel keine Verbrei-
tung im Medium der Druckgraphik.35
Die Tronie in Buenos Aires war hinsichtlich des
Beleuchtungsschemas und Kostüms wohl vorbildlich
für die Darstellung der Protagonistin in der wahrschein-
lich etwas später entstandenen Historie in Ottawa.36 37
Offenbar nutzte Rembrandt Tronien also noch zu Be-
ginn der dreißiger Jahre, um malerische Effekte und
Lichtverhältnisse zu studieren.
Wie die Bilder in Stockholm und Buenos Aires
lässt sich auch das Brustbild einer jungen Frau mit
Schleier (Amsterdam, Rijksmuseum) [Kat. 419, Taf.
XVII, 88] aufgrund des dargestellten Modells als
Tronie klassifizieren. Die junge Frau kehrt in meh-
reren größeren Kompositionen wieder: Die großen,
hervortretenden Augen, die kräftige Nase, die Form
der Lippen und das Doppelkinn mit Grübchen zeich-
nen z.B. Rembrandts Bellona von 1633 in New York
(Metropolitan Museum of Art) [Kat. 420] und seine
ArtemesiaF von 1634 in Madrid (Prado) [Kat. 426]
aus.38 Letztere weist besonders große Übereinstim-
mungen mit der Tronie hinsichtlich der Verteilung
von Licht und Schatten im Gesicht auf.
In der älteren Forschung wollte man in dem Ams-
terdamer Bild Rembrandts Frau Saskia erkennen.39
Die Tronie zeigt jedoch nur sehr allgemeine Gemein-
samkeiten mit den Zügen Saskia van Uylenburghs,
wie der Vergleich mit Rembrandts Silberstiftzeich-
nung (Berlin, Kupferstichkabinett) von 1633 [Kat.
465] bezeugt.40 Man könnte allenfalls von einer Art
Familienähnlichkeit sprechen, aber kaum von der
porträtgenauen Darstellung ein und desselben Mo-
33 RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A47, S. 149, Kat. Nr. A49,
S. 164, Kat. Nr. A64, S. 272. Vgl. auch Kat. Edinburgh /
London 2001, Kat. Nr. 19, S. 88, Kat. Nr. 20, S. 90.
34 RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A49, S. 164.
35 Vgl. Slive 1970/74, Bd. 1, S. 29; Grimm 1989, S. 32; Kat.
Washington / London / Haarlem 1989/90, Kat. Nr. 5, S.
143; Dickey 2004, S. 20.
36 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A50, S. 170, Kat. Nr.
A64, S. 272. Die Autoren des RRP datieren die Historie um
1632/33.
37 Zur Deutung der Figur vgl. RRP 1982—2005, Bd. 2, Kat. Nr.

dells. Die oftmals typisierten Züge von Rembrandts
weiblichen Heldinnen, etwa der Bellona in New
York, der Artemesia im Prado, der Flora in St. Pe-
tersburg (Eremitage) [Kat. 427, Taf. 91] und der Flora
in London (National Gallery) [Kat. 428, Taf. 91],41
lassen darauf schließen, dass der Meister bestimmte
weibliche Idealtypen entwickelte, die auf einem oder
auch mehreren Modellen basierten. Die Flora in der
Eremitage gehört zwar deutlich einem anderen Ge-
sichtstyp an als die übrigen Figuren. Dennoch scheint
nicht ausgeschlossen, dass Saskia für dieses wie auch
die anderen genannten Bilder eine Rolle als Vorbild
spielte: Rembrandt könnte die Züge seiner Frau für
verschiedene Figurentypen als Gestaltungsgrundlage
genutzt, die Gesichter aber jeweils abgewandelt ha-
ben. Hieraus würde sich auch die Ähnlichkeit erklä-
ren, die viele Tronien mit Saskias Aussehen aufwei-
sen.
Ebenfalls beachtenswert ist in diesem Zusammen-
hang allerdings der Hinweis Stephanie Dickeys, dass
in der Werkstatt Hendrick van Uylenburghs neben
dessen Cousine Saskia vermutlich auch Saskias Ver-
wandte bzw. andere Familienmitglieder van Uylen-
burghs Modell standen.42 Dies könnte ein Grund für
die Übereinstimmungen im Aussehen unterschied-
licher Modelle sein, die im Werk Rembrandts und
seiner Schüler auftauchen. Eine Zeichnung Rem-
brandts von Saskias Schwester Titia van Uylenburgh
(Stockholm, Nationalmuseum) [Kat. 467] belegt,
dass Verwandte der Frau des Malers in dessen Um-
feld verkehrten. Die Ähnlichkeit mancher Tronien
mit Saskia könnte also auch damit erklärt werden,
dass eine ihrer Schwestern für die Gemälde als Mo-
dell gedient hat.
Dass Rembrandt bei der Schöpfung von Tronien
auf Personen seines Umfelds als Modelle zurückgriff,
bezeugt das viel zitierte, 1637 aufgenommene Inven-
tar des Leeuwardener Malers und Kunsthändlers
Lambert Jacobsz. Darin wird eine Tronie genannt,
für die Hendrick van Uylenburghs Frau, Maria van
A94, S. 509f., Bd. 3, S. 776; sowie jüngst Kat. Edinburgh /
London 2001, Kat. Nr. 31, S. 110-112.
38 RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A70, S. 328, Kat. Nr. A94,
S. 509. Für weitere Beispiele vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat.
Nr. A75, S. 360.
39 RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A75, S. 360.
40 Vgl. Kat. Edinburgh / London 2001, Kat. Nr. 25, S. 98.
41 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A93, S. 498f.; Kat. Ber-
lin / Amsterdam / London 1991/92a, Kat. Nr. 23, S. 190f.;
sowie oben, Anm. 38.
42 Dickey 2002, S. 26. Vgl. ebenso Schwartz 2006, S. 50.
 
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