Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0135
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Entwicklung nach 1630

123

Eyck, Modell stand: »Noch een deine oostersche
vrouwen troni het conterfeisel van H. Ulenburgs
huijsvrouwe nae Rembrant.«43 Um ein Porträt (bzw.
die Kopie nach einem Porträt Rembrandts) handel-
te es sich bei der genannten orientalischen Frauen-
Tronie< sicher nicht: Erstens spricht der Bildbefund
der dreißiger Jahre dagegen, dass Rembrandt in die-
ser Zeit offizielle Auftragsporträts weiblicher Per-
sonen in Phantasiekostümen malte; zweitens wäre
die Kopie zunächst sicher im Besitz der Familie van
Uylenburgh oder van Eyck geblieben und nicht an
einen Kunsthändler verkauft worden, wenn sie in der
Folge eines Porträtauftrags entstanden wäre;44 und
drittens ist unwahrscheinlich, dass sich eine menno-
nitische Frau wie Maria van Eyck in reicher orienta-
lischer Tracht hätte darstellen lassen.45
Was Rembrandts Darstellungen Saskias in Phan-
tasietracht angeht, so ist nicht immer leicht zu be-
antworten, ob es sich um Tronien oder um Bildnisse
handelt.46 Zum einen ist häufig schwer zu entschei-
den, welche Figuren Saskias Physiognomie wirklich-
keitsgetreu wiedergeben und in welchen Fällen Rem-
brandt ihre Züge lediglich als Grundlage für eine
verallgemeinerte Darstellung benutzte. Zum anderen
fragt sich, ob Rembrandt seine Frau in jenen Wer-
ken, die mit einiger Sicherheit Saskias individuelles
Aussehen zeigen, nur als Modell für phantasievolle
Tronien verwandte oder ob sie als offizielle Bildnisse
der Ehefrau des Malers intendiert waren.
In der aktuellen Forschung herrscht hinsichtlich
zweier Bilder der dreißiger Jahre zu Recht Konsens
darüber, dass es sich bei der Dargestellten tatsäch-
lich um Saskia handelt. Dies betrifft das Brustbild
der lächelnden Saskia in Dresden (Gemäldegalerie
43 Straat 1928, S. 73, Nr. 20 (Inv. Lambert Jacobsz., Leeu-
warden 3.10.1637). Vgl. auch Strauss / Meulen 1979, Dok.
1637/4, S. 144.
44 Im 17. Jahrhundert ließen Auftraggeber ihre Bildnisse häu¬
fig vervielfältigen, um die Kopien an Familienmitglieder
oder Freunde weiterzugeben. Vgl. Strauss / Meulen 1979,
Dok. 1654/13, S. 318, Dok. 1662/3, S. 497f., Dok. 1668/7, S.
579; Jongh 1986, S. 24f.; Loughman / Montias 2000, S. 84;
Goosens 2001, S. 80; Ekkart 2007/08, S. 60. Als Handels¬
ware wurden Bildnisse jedoch in der Regel nicht eingesetzt,
vgl. Kat. Haarlem 1979, S. 27f.; Loughman / Montias 2000,
S. 42; Montias 2002a, S. 88; Ekkart 2007/08b, S. 57. Selbst
wenn Rembrandt im privaten Umfeld mit der Möglichkeit
experimentiert haben sollte, ein Bildnis der Maria van Eyck
in Phantasietracht zu malen (vgl. unten, Kap. IV.2.2.3, S.
29lf.), wurde die Kopie des Bildes sicher als Tronie weiter-
verkauft.

Alte Meister) [Kat. 421, Taf. 89] und die Halbfigur
Saskias mit rotem Federbarett in Kassel (Gemälde-
galerie Alte Meister) [Kat. 422, Taf. XXIII, 89].47
Für das Brustbild der lächelnden Saskia kann aus-
geschlossen werden, dass die Zeitgenossen darin
ein Porträt sahen, da das Gemälde mehrere Merk-
male vereint, die für ein Bildnis ungewöhnlich oder
nicht zulässig waren: Hierzu gehören das Lächeln
der jungen Frau, bei dem der Mund geöffnet ist und
die Zähne sichtbar werden,48 die auf starke Helldun-
kel-Kontraste abzielende Lichtregie, bei der große
Teile des Gesichts im Schatten liegen, und die aus-
gesprochen freie Malweise.49 Gleichzeitig bietet sich
das Gemälde geradezu dafür an, als Reflexion auf
Rembrandts damalige Lebenssituation gelesen zu
werden. Das Lächeln der frisch verheirateten Saskia
gewinnt besondere Aussagekraft, wenn man nicht
den Betrachter, sondern den Maler des Bildes - also
den Ehemann der Dargestellten - als ihr Gegenüber
und damit den Adressaten ihres Blicks und Lächelns
versteht.50 Van Mander erwähnt, dass »een lachende
mond« auf »amoureusheyt«,51 also Verliebtheit, hin-
deute. Möglicherweise thematisierte Rembrandt in
dem Bild das Verhältnis zu seiner jungen Ehefrau,
die ihm, dem Künstler, als Muse diente, indem sie
ihn zur Schöpfung einer phantasievollen Tronie in-
spirierte. Es kann hier nicht näher untersucht wer-
den, welche Rolle der in der Antike wurzelnde, in
Kunst und Literatur des 17. Jahrhunderts verbreite-
te Topos, die Kraft der Liebe befähige den Künstler
zu besonderen Leistungen, bei der Entstehung des
Dresdner Bildes spielte.52 Fest steht, dass sich dem
zeitgenössischen Betrachter entsprechende Implikatio-
nen nur dann erschlossen, wenn er die Dargestellte
erkannte.53 War dies der Fall, ist dennoch nicht davon
45 Zum letzten Argument vgl. Dudok van Heel 1980, S. 108. Zur
Ablehnung luxuriöser Tracht durch mennonitische Auftraggebe-
rinnen vgl. auch Mortier 1989/90, S. 49f.; Kat. Washington /
London / Haarlem 1989/90, Kat. Nr. 47, S. 264; Winkel 2001,
S. 59f.; Kat. Edinburgh / London 2001, Kat. Nr. 122, S. 214.
46 Vgl. Dickey 2003, bes. S. 20.
47 RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A76, S. 363, 365, Kat. Nr.
A85, S. 437; Kat. Kassel 1996, Bd. 1, Kat. Nr. GK 236, S.
23 lf., dort auch weitere Literatur zum Kasseler Bild; Kat.
Edinburgh / London 2001, Kat. Nr. 21, S. 92.
48 Vgl. oben, Kap. II.3.2, S. 102.
49 Vgl. Dickey 2002, S. 39.
50 Vgl. Kat. Edinburgh / London 2001, Kat. Nr. 21, S. 92.
51 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 164 (fol. 24v), Str. 25.
52 Vgl. Raupp 1984, S. 195f.; Dickey 2002, S. 20, 29f., 31, 40.
53 Zur Frage, inwiefern die Zeitgenossen Saskia erkannten, vgl.
jüngst Dickey 2002, S. 28f.
 
Annotationen