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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0136
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Verbreitung und Formen der Tronie

auszugehen, dass das Gemälde als Porträt der Bür-
gersfrau Saskia verstanden wurde, sondern vielmehr
als reizvolle Tronie, zu deren Schöpfung der Meister
von seiner Gattin angeregt worden war. Als Tronie
war das Bild auch dann interessant, wenn man Saskia
nicht identifizierte. Somit stand es unterschiedlichen
Interpretationen des Betrachters offen. Allerdings
besteht auch die Möglichkeit, dass Rembrandt das
Gemälde für den persönlichen Gebrauch und nicht
mit der Absicht schuf, es zu verkaufen.
Im Gegensatz zu der Dresdner Tronie hebt sich
die Halbfigur Saskias in Kassel aufgrund äußerer
Merkmale nicht deutlich von der Gattung Porträt
ab. Ihre formale Gestaltung ist in jeder Hinsicht mit
deren Regeln und Konventionen kompatibel. Auch
in der Malweise zeigt sie keine vergleichbar starken
Freiheiten wie Rembrandts Tromen aus dieser Zeit.
Vielmehr sind viele Partien, wie z.B. das bestickte
Hemd und der Schmuck Saskias, äußerst sorgfäl-
tig, bis in kleinste Details hinein ausgeführt.54 Rem-
brandt begann um 1633/34 mit der Arbeit an dem
Bild, vollendete es aber erst Anfang der vierziger
Jahre.55 Danach blieb es offensichtlich noch längere
Zeit in seinem Besitz, bis der Meister es wohl im Jahr
1652 an Jan Six verkaufte.56 Augenscheinlich malte
Rembrandt das Bild zunächst für den eigenen Ge-
brauch und nicht primär zu Verkaufszwecken.
Es wäre schwer vorstellbar, dass Rembrandt von
seiner Frau kein einziges repräsentatives Porträt
geschaffen haben sollte. Da Bildnisse in zeitgenös-
sischer Kleidung von Saskia jedoch nicht erhalten
sind, ist anzunehmen, dass der Meister sie stattdessen
in phantasievoller Tracht darstellte. Demnach wäre
das Kasseler Gemälde als Kostümporträt Saskias
anzusehen, das sowohl Memorial- als auch Reprä-
sentationsfunktionen erfüllte.57 Rein formal spricht
jedenfalls nichts gegen diese Vermutung. Ebenso
könnte es sich bei der Darstellung Saskias mit Blu-
me (Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister) [Kat.
54 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A85, S. 429. Das Kos-
tüm Saskias greift auf Vorbilder des 16. Jahrhunderts zurück
und kann um 1530 datiert werden, Winkel 2005, S. 64; dies.
2006, S. 248.
55 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A85, S. 439.
56 Strauss / Meulen 1979, Dok. 1652/7, S. 289, Dok. 1658/18, S.
422-425; RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A85, S. 437, Nr. 5.
57 Auch in RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A85, S. 436f., wird
das Gemälde als Porträt Saskias und nicht als Tronie beur-
teilt.
58 Vgl. Kat. Berlin / Amsterdam / London 1991/92a, Kat. Nr.
23, S. 191. Zur Identifizierung der Dargestellten als Saskia
vgl. RRP 1982-2005, Bd. 3, Kat. Nr. 142, S. 400.

436], die allerdings erst 1641 entstanden ist, um ein
Werk mit Bildnisintention handeln.58 In jedem Fall
stellen Bildnisse Saskias eine Ausnahme innerhalb der
Gattung Porträt dar: Zum einen entstanden sie wahr-
scheinlich nicht als Auftragswerke, zum anderen muss
damit gerechnet werden, dass sie besonderen Aussa-
gewert mit Blick auf Rembrandts Selbstverständnis als
Künstler besaßen.
Die von Rembrandt bis um 1640 geschaffenen, ano-
nymen Einzelfiguren in knappem Bildausschnitt
und Phantasietracht, deren Haltung, Mimik und
Blickrichtung den Konventionen der Porträtmalerei
entsprechen, können nicht alle aufgrund des darge-
stellten Modells als Tromen eingestuft werden. Dies
gilt insbesondere für das Brustbild eines Orientalen
in München (Alte Pinakothek) [Kat. 417, Taf. XVII,
88] von 1633 und die Halbfigur eines Mannes in rus-
sischem Kostüm in Washington (National Gallery of
Art) [Kat. 430, Taf. X, 91] von 1637.
Das Münchner Bild schließt typologisch an
Rembrandts frühere Tronien von Orientalen an. Zu-
dem nimmt der Meister ein Darstellungsschema auf,
das vielfach für die Bildnisse orientalischer Herr-
scher in Porträtbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts
verwendet wurde.’’4 * Paolo Giovios Elogia virorum
bellica virtute illustriumK von 1575 z.B. enthält eine
Reihe gedruckter Porträts orientalischer Fürsten, auf
denen die Dargestellten im Brustausschnitt mit dem
Kopf im Profil und dem Oberkörper meist in Drei-
viertelansicht präsentiert werden, wobei gelegentlich
eine Hand zu sehen ist [Kat. 508-509].61 Wie Rem-
brandts Orientale tragen die Figuren in der Regel
Turban und Bart. Colin G. Campbell verbindet das
Münchner Bild mit Tobias Stimmers Holzschnitt des
Sultans Baiazetes II. [Kat. 508, Abb. 16] aus dem ge-
nannten Werk Giovios.62 Trotz motivischer Ähnlich-
keiten sind die Übereinstimmungen mit der Figur
Stimmers jedoch nicht groß genug, um zu belegen,
59 Vgl. unten, Kap. IV. 1.1, S. 255. Zu Rembrandts Orientalen-
darstellungen der dreißiger Jahre vgl. jüngst Bahre 2006, bes.
S.131-136.
60 Zu Giovios Porträtbüchern vgl. Rave 1959, bes. S. 141-153;
Tanner 1984; Barnes 1989, S. 81f.; Haskell 1995, S. 55-62,
81f.; Pelc 2002, S. 87f.; Marschke 1998, S. 143f.
61 Vgl. Giovio 1575, S. 108, 112, 141, 164, 170, 211, 254, 340,
343, 372. Allgemein zu Porträtbüchern der Renaissance vgl.
jüngst Pelc 2002.
62 Campbell 1971,'S. 187f., zit. nach RRP 1982-2005, Bd. 2,
Kat. Nr. A73, S. 349.
 
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