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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0230
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Verbreitung und Formen der Tronie

Es ist nicht Ziel dieses Kapitels, jeden der eruierten
Tronietypen im Einzelnen zu beschreiben und die Zu-
sammensetzung der jeweiligen Tracht zu analysieren.
Gleichwohl sollen einige Aspekte der Typenbildung
und Kostümierung jener Tronien behandelt werden,
die im Zusammenhang der spezifischen Themenstel-
lung dieser Arbeit von besonderem Interesse sind,
da sie der Gattung Porträt auffallend nahe stehen.
Es handelt sich dabei in erster Linie um Tronien in
besonders reicher Tracht. Zu diesen zählen Figuren
in >orientalisierender< oder >osteuropäischer< sowie
in »reicher Phantasietrachty aber auch bestimmte
Tronien in »kriegerischen und »pastoraler Kostümie-
rung< sowie in »freizügiger Kleidung<. Im Folgenden
sollen die entsprechenden Werke anhand ausgewähl-
ter Beispiele insbesondere mit Blick auf die Spezifika
ihrer Kostümierung und der diesbezüglichen Inspi-
rationsquellen der Künstler untersucht werden.
Die Kostüme der Tronien in reicher Tracht beste-
hen im Wesentlichen aus fiktiven, fremdländischen
und historisierenden bzw. bereits im 17. Jahrhundert
veralteten Elementen. Die Kleidungsstücke und Ac-
cessoires einer Tronie können dabei entweder einem
oder aber mehreren der genannten Motivbereiche
angehören. Außerdem wurden auch Versatzstücke
zeitgenössischer Kleidung oder Ableitungen davon
integriert. Generell lässt sich sagen, dass es sich bei
der als besonders reich zu charakterisierenden Tracht
von Tronien trotz vieler Anleihen bei authentischen
Vorbildern in der Gesamtdarstellung meist um Phan-
tasieprodukte handelt.
Eine besonders prominente Gruppe unter den
Tronien in reicher Tracht machen Figuren in onenta-

lisierendem Kostüm aus. Hervorzuheben sind hier vor
allem die unzähligen als Orientalen verkleideten Grei-
se, für die Rembrandts Brustbild eines Orientalen in
München (Alte Pinakothek) [Kat. 417, Taf. XVII, 88]
als repräsentatives Beispiel dienen kann. Herausra-
gendes Kennzeichen des Kostüms der greisen Orien-
talen ist vor allem ihr Turban. Darüber hinaus tragen
sie in der Regel einen kostbaren Kaftan, darunter ein
zweites Kaftangewand, das in der Taille gegürtet ist so-
wie wertvollen Juwelen- und Goldschmuck.71 Die Tro-
nien gleichen den Orientalen, die die Historienbilder
holländischer Maler des 17. Jahrhunderts bevölkern.
Dem Figurentyp nach entsprechen sie in erster Linie
Herrschern, Befehlshabern, Patriarchen und anderen
bedeutenden Persönlichkeiten aus der biblischen und
antiken Geschichte, Mythologie oder Literatur.72 Dem-
entsprechend zeichnen sie sich in der Regel durch eine
würdevolle Haltung und einen ernsten Gesichtsaus-
druck aus. Gleiches gilt für die Gruppen der (jungen)
Männer und Knaben in orientalisierendem Gewand.
Als Anschauungsmaterial für die Gestaltung einer
solchen Tracht konnten die Maler auf verschiedene
bildliche Quellen, wie z.B. Kostüm- und Porträtbü-
cher oder andere druckgraphische Darstellungen, zu-
rückgreifen.73 Marieke de Winkel betont in ihrer jüngst
erschienenen Studie zur Kleidung auf Rembrandts Ge-
mälden die Bedeutung der Bildtradition und dabei ins-
besondere druckgraphischer Vorlagen für die Gestaltung
orientalisierender Kostüme.74 Es ist aber auch darauf
hinzuweisen, dass sich in den Nördlichen Niederlanden,
vor allem in Leiden und Amsterdam, orientalische Stu-
denten, Kaufleute, Händler und Botschafter aufhielten,
die der unmittelbaren Anschauung dienen konnten.75

71 Zur orientalischen Tracht des 16. und 17. Jahrhunderts vgl.
Weiss 1872, Bd. 2, S. 704-723, 1066f.; Goetz 1938; Nien-
holdt 1961, S. 255-277; Perry 1980, S. 86-110. Zu orienta-
lisierenden Motiven im Werk Rembrandts vgl. jüngst Bahre
2006; Winkel 2006, S. 252-269.
72 Man verband die biblische Geschichte im 17. Jahrhundert mit
dem Orient. In der Einkleidung der Figuren auf Historien-
bildern in orientalische Kostüme drückt sich somit der An-
spruch auf Authentizität bei der Schilderung der biblischen
Ereignisse aus. Vgl. Slatkes 1983, S. 25; Winkel 1998/99, S.
89; Winkel 2006, S. 255.
73 Für druckgraphische Darstellungen von Orientalen aus dem 15.
und 16. Jahrhundert vgl. u. a. TIB 1978ff., Bd. 17 (1981), Kat.
Nr. B. 57-59, S. 134-136; TIB 1978ff., Bd. 20/2 (1985), Kat.
Nr. B. 4.88M.100, S. 454-460; Kat. Berlin 1989, S. 240-244;
Roding 1989, S. 54-66, sowie unten, Kap. IV. 1.1, S. 255, Anm.
51. Für Trachtenbücher mit Darstellungen persischer und tür¬

kischer Kostüme vgl. z.B. Bruyn 1581, passim; Weigel 1577,
u.a. Nr. CLXXIII, CLXXXVII-CLXXXIX; Vecellio 1977,
S. 110-118, 141-143. Für Porträtbücher, die Bildnisse orienta-
lischer Fürsten enthalten, vgl. unten, Kap. IV. 1.1, S. 255.
74 Winkel 2006, S. 207, 252-269, bes. S. 254f., 259, 269.
75 Vgl. Perry 1980, S. 40-70; Slatkes 1983, S. 40. Filip von Zesen
beschreibt die Vielfalt der Nationen, denen man in der Amster-
damer Börse um die Mitte des 17. Jahrhunderts begegnete: »Auf
diesem Kaufhause verhandelt man fast die gantze Welt. Alhier
finden sich / neben den Hoch- und Nieder-deutschen Kaufleu-
ten / auch Pohlen / Ungarn / Wälsche / Franzosen / Spanier /
Moskoviter / Persier / Türken / ja zuweilen auch Indier und
andere fremde Völker.« Zesen 1664, S. 233. Vgl. Broos 1974,
S. 207. Im Werk von Gerrit Berckheyde erscheinen Orientalen
wie selbstverständlich unter den Menschengruppen auf dem
Rathausplatz in Amsterdam, den der Künstler wiederholt dar-
gestellt hat, vgl. Lawrence 1991, Abb. 49, 52, 54.
 
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