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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0232
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Verbreitung und Formen der Tronie

osteuropäischer Herkunft handelt es sich bei der
Kleidung von Rembrandts Tronie in Washington
(National Gallery of Art) [Kat. 430, Taf. X, 91]: Das
Kostüm wurde jüngst als russische Adelstracht des
17. Jahrhunderts identifiziert.84
Neben Elementen fremdländischer Kleidung
wurden in die Tracht von Tronien auch Details der
zeitgenössischen niederländischen Mode integriert.
So sind z. B. die von vielen Figuren getragenen Hals-
bergen ein Element, das auch auf zeitgenössischen
Porträts begegnet.85 Zudem orientieren sich Schnitt
und Silhouette der Kostüme von Tronien oftmals am
Erscheinungsbild der aktuellen Mode.
Abgesehen davon bedienten sich die Künstler be-
sonders häufig einer zwar dem eigenen Kulturkreis
angehörenden, aber längst veralteten Mode als Vor-
bild und Anregung für die Gestaltung ihrer Tronien.
Figuren beliebigen Alters und Geschlechts wurden
mit Kleidungsstücken ausgestattet, die der west-
europäischen, insbesondere der niederländischen
und deutschen Tracht des 16. Jahrhunderts entlehnt
oder von ihr inspiriert sind.86 So tragen sehr viele
männliche Tronien, aber gelegentlich auch junge
Frauen em Barett. Diese in verschiedenen Spielarten
vorkommende Kopfbedeckung war im 16. Jahrhun-
dert fester Bestandteil der europäischen Mode.87 Im
17. Jahrhundert dagegen gehörte das Barett nicht
mehr zur repräsentativen Tracht und wurde als al-
tertümlich betrachtet.88 * Da es auf vergangene Zeiten
verwies, wurden nicht nur Tronien mit Barett ausge-

stattet, sondern auch die Figuren auf Historien- und
Genrebildern.
Neben der Kopfbedeckung ist vielfach auch das Ge-
wand von Tronien an der Kleidung der Renaissance, und
zwar insbesondere der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts,
ausgerichtet. Dürers Porträt des Bernhard von Reesen
(1491-1521)™ (Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister)
[Kat. 107, Abb. 33] von 1521 kann zur Veranschaulichung
der typischen Merkmale der im Norden zu dieser Zeit
üblichen männlichen Mode dienen: Von Reesen trägt ein
Barett mit breitem Rand, einen dunklen Rock mit Pelz-
kragen, ein Wams mit waagrechtem Brustausschnitt und
darunter ein eng gefälteltes, weißes Hemd, das am Hals
von einem Bündchen zusammengehalten wird, so dass sich
darüber ein Heiner Rüschenrand durch die entstehenden
Falten bildet.90 Die Tracht einer großen Zahl männlicher
Tronien setzt sich aus denselben Bestandteilen zusam-
men, wenngleich sie oftmals durch phantasievolle Details
bereichert ist. So stimmen z.B. die Kleidungsstücke des
Govaert Flinck zugeschriebenen Mannes mit Federharett
und goldener Kette (unbekannter Besitz) [Kat. 145, Abb.
34] weitgehend mit der Tracht von Reesens überein.91
Auch das Kostüm weiblicher Tronien orientiert
sich häufig an der Mode der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts. Wie wir bereits gesehen haben, sind für viele
weibliche der Figuren ein hochgeschlossenes weißes
Hemd, das unzählige parallele Falten bildet, sowie ein
tiefer Ausschnitt des Kleides charakteristisch.92 Nicht
nur Tronien junger Frauen, wie z.B. Jacob Backers
Brustbild einer jungen Frau im Profil nach links in

84 Vgl. Wetering 2003, S. 9, 20f.; ders. 2005b, S. 139; RRP
1982-2005, Bd. 4, S. 623, sowie oben, Kap. III.1.2, S. 120,
Anm. 25.
85 Vgl. z. B. Rembrandts Porträt des Joris de Caullery (ca. 1600-
1661) von 1632 (San Francisco, M. H. de Young Memorial
Museum, RRP 1982-2005b, Bd. 2, Kat. Nr. A53) oder Ferdi-
nand Bois Porträt des Admiral Michiel Adnaensz. de Ruyter
von 1667 (Amsterdam, Rijksmuseum, BlankerT 1982, Kat.
Nr. 76, PI. 84).
86 Zur niederländischen Tracht des 16. Jahrhunderts immer noch
grundlegend Jonge 1918/1919. Vgl. außerdem Mortier 1986.
Zur deutschen Tracht des 16. Jahrhunderts vgl. SlCHART 1926,
Bd. 1, S. 249-268, Bd. 2, S. 269-291; Thiel 1980a, S. 167-188.
Zur italienischen Tracht der Hochrenaissance vgl. ebd., S.
162-166. Einige Autoren gehen davon aus, dass sich nieder¬
ländische Maler im 17. Jahrhundert bei der Gestaltung reicher
Phantasiekostüme auch von Theaterkostümen inspirieren lie¬
ßen, die sich wiederum häufig an der Kleidung des frühen 16.
Jahrhunderts orientierten. Vgl. Louttit 1973; Albach 1979;
Dudokvan Heel 1980/81, S. 2; Alpers 1988, S. 34-57; Schat-
born/Winkel 1996; Winkel 2005, S. 65-67; dies. 2006, S. 228,

dort auch weitere Literatur auf S. 322, Anm. 160, 161. Winkel
2006, S. 228-252, legt allerdings überzeugend dar, dass das Er-
scheinungsbild von Theaterkostümen eher von Vorbildern aus
der Kunst beeinflusst war als umgekehrt. Die Ähnlichkeit der
von Historienmalern erfundenen Phantasiekleidung mit The-
aterkostümen erkläre sich in erster Linie aus dem Rückgriff
auf dieselben Vorbilder.
87 Vgl. Jonge 1918, S. 137f., 141-143; Nienholdt 1961, S. 45;
Thiel 1980a, S. 164, 170f.; Mortier 1986, S. 40f.; Winkel
2005,S. 60-63.
88 Winkel 1999/2000, S. 68; Winkel 2005, S. 61.
89 Zur Identifizierung des Dargestellten vgl. Anzelewsky 1991,
Bd. 1, Kat. Nr. 163, S. 265.
90 Vgl. auch Jonge 1919, Abb. 84-93, S. 129-133, Abb. 125, S.
201; Thiel 1980a, S. 169-171; Winkel 1999/2000, S. 68.
91 Vgl. z.B. auch den wohl aus Rembrandts Werkstatt oder
Umkreis stammenden Alten Mann mit pelzgefüttertem
Mantel (Berlin, Gemäldegalerie, Tümpel 1986, Kat. Nr. A42)
[Kat. 487] oder Pieter Verelsts Bärtigen alten Mann mit Ba-
rett (unbekannter Besitz) [Kat. 530, Taf. 109],
92 Vgl. oben, Kap. III. 1.3, S. 132.
 
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