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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0241
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Stellung der Tronie innerhalb der Gattungen

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gelten, wenn er ausschließlich Fruchtstillieb en oder
ausschließlich Vanitasstillleben malte. So wie Frucht-
oder Vanitasstücke zur Gattung Stillleben zu zählen
sind, dürften Tronien den Gattungen Historie und
Genre anzuschließen sein.
Eine Ausnahme unter den Meistern, für die Tro-
nien nachgewiesen sind, bilden David Bailly und
Franchoys Elaut. Sie beschäftigten sich weder in
nennenswertem Umfang mit Genre- oder Historien-
bildern, noch können sie wie Drost oder Rousseaux
als Troniespezialisten bezeichnet werden, da nur sehr
wenige Tronien von ihrer Hand bekannt sind. Bailly,
von dem sich drei Tronien erhalten haben, war in ers-
ter Linie Maler von Porträts und Stillleben;29 Elaut
hatte sich offenbar hauptsächlich auf die Stillleben-
malerei spezialisiert.30 Wie ihre Stillleben konnten
die Maler auch Tronien auf dem freien Markt ver-
kaufen.31 Dies könnte sie neben anderen Faktoren
dazu bewogen haben, sich sporadisch mit dem Bild-
typ zu befassen.
Im Unterschied zu Bailly lässt sich für die meisten
holländischen Porträtmaler, in deren Schaffen neben
Bildnissen andere Figurenbilder kaum von Bedeu-
tung sind, keine nennenswerte Beschäftigung mit
Tronien nachweisen. So kommen Tronien im Werk
der führenden holländischen Porträtspezialisten
gar nicht oder - in seltenen Ausnahmefällen - nur
vereinzelt vor. Zu diesen Meistern zählen unter an-
derem Michiel van Miereveld (1567-1641), Jan van
Ravesteyn (1572-1657), Cornelis van der Voort (ca.
1576-1624), Nicolaes Eliasz. (1588-nach 1650), Wy-
brand de Geest (1592-ca. 1662), Cornelis Jonson van
Ceulen (1593-1661), Thomas de Keyser (1596/97—
1667), Adriaen Hanneman (1604-1671), Johannes
Verspronck (1606/11-1662), Pieter Nason (1612-um
1689), Bartholomeus van der Heist (1613-1670), Jan

Mijtens (um 1613/14-1670), Abraham van den Tem-
pel (1622/23-1672) und Jan de Baen (1633-1702).32
Zwar enthält das GEuvre dieser Maler gelegentlich
auch Historien- oder Genrebilder. Der bei weitem
überwiegende Teil ihrer Produktion bestand jedoch
aus Bildnissen, so dass von einer Spezialisierung auf
die Gattung Porträt gesprochen werden kann. Dies
ist bei keinem einzigen der behandelten Troniemaler
der Fall: Selbst wenn sie sich als Porträtmaler betätig-
ten, war ihr Schaffen in der Zeit, in der sie Tronien
anfertigten, stets zu einem wesentlichen Teil durch
eine oder mehrere andere Gattungen geprägt. Frans
Hals etwa - em Porträtmaler par excellence - produ-
zierte, wie wir wissen, in derselben Periode, in der
er sich mit Tronien auseinandersetzte, auch ein- und
mehrfigurige Genrebilder.
Dass Porträtspeziahsten keine oder nur sehr sel-
ten Tronien malten, ist vor allem deshalb bemerkens-
wert, weil zwischen Bildnissen und Tronien so viele
äußerliche Gemeinsamkeiten bestehen. Angefangen
bei der Tatsache, dass beide Bildformen auf dem Stu-
dium nach dem lebenden Modell basieren, wurde
bereits festgestellt, dass Tronien dem Erscheinungs-
bild von Porträts in vieler Hinsicht ähneln können.
Dennoch gehörte die Herstellung von Tronien of-
fensichtlich nicht zu den Aufgabenbereichen von
Porträtmalern. In diesem Fall wäre zu erwarten, dass
gerade Porträtspezialisten Tronien hervorbrachten.
Des Weiteren ist zu beobachten, dass durchaus
nicht alle Troniemaler auch als Maler konventioneller
Bildnisse tätig waren: Weder Abraham Bloemaert
noch Salomon Köninck malten in nennenswertem
Umfang Porträts in zeitgenössischer Kleidung, und
auch Adriaen van Ostade befasste sich nur spora-
disch mit der Gattung Porträt.33 Erinnert sei in die-
sem Zusammenhang auch daran, dass Lievens und
Rembrandt sich Porträtaufträgen erst widmeten,

29 Interessanterweise kommen in Baillys Stillleben gelegentlich
Tronien als Bilder im Bild vor, vgl. Kat. Amsterdam / Cleve-
land 1999/2000, Kat. Nr. 38, S. 188-19x1.
30 Vgl. Bruyn 1951; Meijer 1995.
31 Zum Verkauf von Tronien auf dem freien Markt vgl. unten,
Kap. III.5.1.
32 Zum Werk der genannten Künstler vgl. u.a.: van Miereveld:
Havard 1894; Bredius 1908; R. Ekkart in DA 1996, Bd. 21,
S. 485f.; Jan van Ravesteyn: Bredius / Moes 1891/92; Ekkart
1991a; Buijsen 1998a, S. 230-237; Cornelis van der Voort: Six
1887; Six 1911; Nicolaes Eliasz.: Six 1886; Dudok van Heel
1985; de Geest: Wassenbergh 1967, S. 30-45; Vries 1982;
Jonson van Ceulen: Finberg 1921/22; R. Ekkart in DA 1996,
Bd. 17, S. 644-646; de Keyser: Oldenbourg 1911; Adams

1985; Hanneman: Kuile 1976; Buijsen 1998a, S. 155-161;
Verspronck: Ekkart 1979; Nason: Brusewicz 1978; Buijsen
1998a, S. 212-217; van der Heist: Gelder 1921; van den Tem-
pel: Wijnman 1959; R. Ekkart in DA 1996, Bd. 30, S. 425; de
Baen: Saur 1992ff., Bd. 5 (1992), S. 237f.; R. Ekkart in DA
1996, Bd. 3, S. 42; Buijsen 1998a, S. 82-85; Mijtens: R. Ekkart
in DA 1996, Bd. 21, S. 509f.; Buijsen 1998a, S. 207-211; Bau-
er 2006. Neben der genannten Literatur wurden auch die
einschlägigen Bestands- und Ausstellungskataloge sowie das
im RKD (Den Haag) zusammengetragene Material berück-
sichtigt.
33 Zum Kostümporträt im Werk S. Könincks vgl. unten, Kap.
IV.2.2.2, S. 288.
 
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