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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0242
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Verbreitung und Formen der Tronie

nachdem sie bereits über einen langen Zeitraum hin-
weg Tronien produziert hatten. Zudem fällt eine Rei-
he unbekannterer Troniemaler oder solcher, die nur
wenige Tronien schufen — z. B. Pieter Quast, Isaac de
Jouderville, Jacques Rousseaux, Jacob van Spreeu-
wen und Johannes Vermeer -, ebenfalls nicht unter
die Kategorie der Porträtmaler. Die Schöpfung von
Tronien setzte also die Tätigkeit oder Ausbildung
als Porträtist ganz offensichtlich nicht voraus. Dass
Tronien demnach auch nicht zur Gattung Porträt zu
zählen sind, bestätigt nur, was bereits aufgrund der
funktionalen Differenz beider Werkkategorien fest-
stand.
Nichtsdestoweniger nahmen die meisten Tro-
niemaler im Laufe ihrer Karriere auch in mehr oder
weniger großem Umfang Aufträge für Bildnisse an.
In Verbindung mit den bereits getroffenen Beobach-
tungen ergibt sich hieraus die Schlussfolgerung, dass
die Produktion von Tronien eine Betätigung als Por-
trätmaler zwar begünstigte, von dieser jedoch nicht
abhängig war, sondern offensichtlich zum Aufgaben-
bereich von Historien- und Genremalern gehörte.
Wie bereits gezeigt wurde, diente die Herstellung
von Tronien den Schülern Rembrandts während ih-
rer Ausbildung zu Übungszwecken.34 Offenbar be-
reiteten die Werke insbesondere auf die Figuren- und
Kostümdarstellung im Historien- oder Genrebild
vor. Gleichzeitig waren sie aber auch dazu geeignet,
die überzeugende Wiedergabe eines lebenden Mo-
dells zu trainieren und vermittelten damit zusätzlich
für die Ausführung von Porträtaufträgen notwen-
dige Fertigkeiten.
In Kapitel III.3.1 wurde dargelegt, dass für Den
Haag und Delft keine mit Städten wie Leiden und

Amsterdam vergleichbare Konzentration von Tronie-
malern zu verzeichnen ist. Einer der Gründe hierfür
bestand wahrscheinlich darin, dass die Kunstproduk-
tion in Den Haag und Delft eng an höfische Aufträge
gekoppelt war und entsprechend der Nachfrage des
Adels nach Bildnissen besonders viele Porträtspezia-
listen in diesen Städten ansässig waren.35 Diese aber
malten keine Tronien. Zudem waren gerade in Den
Haag, insbesondere in der ersten Jahrhunderthälfte,
nur wenige Historien- oder Genremaler tätig.36
Neben Porträtspezialisten können weitere Gruppen
von Figurenmalern jeweils gemeinsamer künstleri-
scher Ausrichtung bestimmt werden, die sich nicht
oder nur äußerst selten mit Tronien beschäftigten.
Hierzu gehören die Utrechter Caravaggisten, die -
abgesehen von Abraham Bloemaert - keine Tronien
schufen.37
Als weitere Künstlergruppe, in deren GEuv-
re Tronien praktisch keine Rolle spielten, sind die
Prärembrandtisten zu nennen:38 Im Werk von Ma-
lern wie Pieter Lastman (1583-1633), Jan Tengnagel
(1584-1635), Claes Moeyaert (1591-1655), Jan Pynas
(1581/82-1631) und Jacob Pynas (1592/93-nach
1650) lassen sich weder vor Beginn der 1620er Jahre
Tronien nachweisen noch entwickelten die Künstler
nach der Einführung des Bildtyps durch Lievens und
Rembrandt besonderes Interesse an dem Sujet.39 Dies
ist insofern von Bedeutung, als damit ausgeschlossen
werden kann, dass die von Lievens und Rembrandt
initiierte Tronieproduktion in entscheidendem Maße
auf Werke der genannten Künstler, insbesondere auf
Vorbilder Lastmans, des Lehrmeisters der beiden
Leidener, zurückging. Nach derzeitigem Kenntnis-

34 Vgl. oben, Kap. III.1.4.
35 Zur höfischen Porträtmalerei in den Nördlichen Niederlan-
den vgl. u.a. Haak 1984, S. 216-219; Tieti-ioff-Spliethoff
1997/98; Buijsen 1998b, S. 31-34; R. Ekkart in Judson / Ek-
kart 1999, S. 25-46; Bauer 2003; Spliethoff 2003.
36 Buijsen 1998b, S. 38-40. Vgl. auch Haak 1984, S. 219.
37 Für eine der wenigen Ausnahmen vgl. oben, Kap. III.3.1, S.
201, Anm. 64.
38 Allgemein zu den Prärembrandtisten vgl. Kat. Sacramen-
to 1974; Kat. Münster 1994; zu Lastman: Kat. Amsterdam
1991; zu Tengnagel: Schneider 1921; zu Moeyaert: Tümpel
1974; zu Jan und Jacob Pynas: Bauch 1935; Bauch 1936.
39 Eine Ausnahme bilden zwei bei Freise 1911, Kat. Nr. 121, S.
84f., Kat. Nr. 122, S. 85, verzeichnete und abgebildete Brust-
bilder. Eines davon trägt das Monogramm Pieter Lastmans
und ist 1628 datiert {Brustbild eines Mannes mit Barett, Holz,

o.M., bez.: PL [als Monogramm] 1628, Gemäldegalerie im
fürstlichen Schloss zu Bückeburg), das andere wird Lastman
von Freise aus stilistischen Gründen zugeschrieben {Brustbild
eines bartlosen älteren Mannes, Holz, o.M., Gemäldegalerie
im fürstlichen Schloss zu Bückeburg). Dem jeweiligen Figu-
rentyp und der sehr freien, stellenweise pastosen Malweise der
Werke nach zu urteilen, handelt es sich um Tronien. Die Da-
tierung des monogrammierten Gemäldes belegt, dass es erst
nach der Einführung von Tronien durch Lievens und Rem-
brandt in Leiden gemalt wurde. Dasselbe gilt vermutlich auch
für das zweite Brustbild, das dem signierten Werk stilistisch
nahe steht. Ein weiterer Ausnahmefall betrifft zwei in Rembrandts
Amsterdamer Inventar vom 22.—26.7.1656 verzeichnete Tro-
nien des Jan Pynas, Strauss / Meulen 1979, Dok. 1656/12, Nr.
56, S. 355: »Twee tronien van Jan Pinas.« Wann der Maler diese
anfertigte, lässt sich hieraus freilich nicht entnehmen.
 
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