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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0297
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Der Einfluss des Bildtyps Tronie auf die Porträtmalerei

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garetha de Geer (1583-1672)2* (London, National Gal-
lery) [Kat. 458, Taf. 97] von ca. 1661. Zum einen ähnelt
die fleckig-raue Malweise im Gesicht Margarethas der
Farbbehandlung im Gesicht der Lesenden alten Frau,
zum anderen ist die grobe Wiedergabe und flächenhafte
Auffassung des Mantels von Margaretha mit der brei-
ten Malweise des Gewandes der Lesenden vergleichbar.
In expliziter Weise demonstriert Rembrandt anhand
des Porträts seinen individuellen Malstil. Bis dahin war
eine entsprechende Ausführung von Bildern mit einer
einzelnen weiblichen Figur m knappem Ausschnitt
Rembrandts Tronien bzw. seinen Darstellungen Hen-
drickjes vorbehalten gewesen.
Die Art des Farbauftrags in Rembrandts Porträts
der Spätzeit bedingt gelegentlich eine für Bildnisse
normalerweise unübliche, ungenaue Wiedergabe der
Augenpartie der Dargestellten. Besonders deutlich
wird dies im Falle des 1666 geschaffenen Porträts
von Jeremias de Decker (1609-1666) (St. Petersburg,
Eremitage) [Kat. 464, Taf. 98], dessen Augen nicht
nur undeutlich gemalt, sondern auch so stark ver-
schattet sind, dass man sie kaum erkennt. Selbst für
einen Meister wie Rembrandt ist eine solche Gestal-
tungsweise im Bildnis ungewöhnlich, wohingegen
die Augen rembrandtesker Tronien bereits vor der
Entstehung des Decker-Porträts in vergleichbarer
Weise dargestellt sein konnten. So zeigt beispielswei-
se der wohl im Umkreis Rembrandts entstandene
Alte Mann mit Barett23 in Moskau (Puschkin Muse-
um) [Kat. 494, Taf. 103] nur sehr undeutlich erkenn-
bare, verschattete Augen.
Mit Blick auf Rembrandts gesamtes Schaffen ist
festzustellen, dass der Meister einen rauen Malstil
für Bilder, die eine einzelne Figur aus der Nähe zei-
gen, zunächst anhand von Tronien und troniehaften
Selbstdarstellungen entwickelte. Erst später löste er
sich dann auch in Auftragsbildnissen entschieden von
der Konvention detailgetreuer Wiedergabe. Darüber
hinaus findet die anhand von Tronien bereits früh-
zeitig geübte Praxis, die Individualität eines Modells
in aller Konsequenz, also auch dessen physiogno-
mische Makel zu erfassen, in Rembrandts Bildnissen
ebenso ihren Niederschlag, wie dies auch für Lievens
beobachtet wurde.30

Es muss darauf verzichtet werden, im Einzelnen zu
untersuchen, von welchen Künstlern und auf welche
Weise Gestaltungsmittel, die zunächst das Erschei-
nungsbild von Tronien bestimmten, in der Folge auf
Bildnisse in zeitgenössischer Tracht übertragen wur-
den. Doch sei erwähnt, dass dieses Vorgehen nicht
auf das Schaffen von Hals, Lievens und Rembrandt
beschränkt blieb. Es kam durchaus vor, dass auch
andere Meister, wie etwa Willem Drost, künstleri-
sche Prinzipien, die sie zunächst anhand des Bild-
typs Tronie erprobt hatten, für ihre Porträts nutzbar
machten.31 Bei vielen Troniemalern, wie z.B. Flinck,
Boi und de Grebber, finden sich allerdings in ihren
konventionellen Porträts keine besonders offen-
sichtlichen Anlehnungen an die Gestaltung ihrer
Tronien. Im Falle Flincks und Bois hängt dies zwei-
fellos damit zusammen, dass sich ihre der aktuellen
Mode gemäß gekleideten Bildnisse in den vierziger
bzw. fünfziger Jahren verstärkt an dem m dieser Zeit
modernen, eleganten Porträtstil flämischer Prägung
orientierten.32 Der Einfluss von Tronien auf ihre
Bildnisproduktion konzentrierte sich auf eine Son-
derform des Porträts, nämlich auf Kostümporträts in
tronieähnlicher Tracht, deren Untersuchung Gegen-
stand des folgenden Kapitels ist.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine in-
tensive Beschäftigung mit Tronien die künstlerische
Gestaltung konventioneller Bildnisse nachhaltig be-
einflussen konnte. Eine besondere Leistung von Ma-
lern wie Hals und Rembrandt besteht darin, dass sie
das Innovationspotential ihrer Tronien für die Gat-
tung Porträt fruchtbar machten und auf diese Weise
zu einer im Vergleich mit anderen niederländischen
Porträtmalern des 17. Jahrhunderts ausgesprochen
unkonventionellen Darstellungsweise ihrer Bildnisse
gelangten. Die Auseinandersetzung mit Tronien trug
damit zu einer spezifischen Entwicklung innerhalb
der holländischen Porträtmalerei bei. Resultat dieser
Entwicklung war, dass der künstlerischen Umset-
zung des Bildgegenstands und damit den ästhetischen
Ausdrucksmöglichkeiten des Malers ein mindestens
ebenso hoher Stellenwert eingeräumt wurde, wie der
Abbildung des Porträtierten.

28 Vgl. jüngst Kat. Edinburgh / London 2001, Kat. Nr. 137, S.
234f.
29 Als Modell diente derselbe alte Mann, der auch für den Mann
mit dem Goldhelm (Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegale-
rie) [Kat. 492, Taf. 103] vorbildlich war.
30 Vgl. z.B. Rembrandts Bildnis des Gerard de Lairesse (1640-

1711) von ca. 1665/67 (New York, Metropolitan Museum of
Art) [Kat. 462, Taf. 98].
31 Für entsprechende Bildnisse Drosts vgl. u.a. Bikker 2005,
Kat. Nr. 22, S. 96-99, bes. S. 97, Kat. Nr. 23, S. 100f., bes. S.
101.
32 Vgl. Moltke 1965, S. 27-38; Blankert 1982, S. 60f.
 
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