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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0369
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Tronien als Demonstrationsstücke künstlerischer Kreativität

341

Verschiedene Passagen in Arnold Houbrakens
Groote Schouburgh deuten darauf hin, dass nieder-
ländische Maler des 17. Jahrhunderts ganz bewusst
einen eigenen Stil entwickelten oder die Manier an-
derer, bereits erfolgreicher Meister übernahmen.35 So
verweist Houbraken an mehreren Stellen auf die be-
sondere »handeling«36 oder »wyze van schilderen«37
unterschiedlicher Maler und hebt wiederholt deren
kalkulierte Stilwahl hervor. In seiner viel zitierten
Biographie Govaert Flincks beispielsweise berichtet
der Autor, dass Flinck nach seiner Ausbildung bei
Lambert Jakobsz. ein Jahr lang bei Rembrandt in die
Lehre ging, um sich dessen »behandeling der verwen
en wyze van schilderen«38 anzueignen. Auch Samuel
van Hoogstraten lernte bei Rembrandt, dessen »wyze
van schilderen hy nog eenigen tyd aan de hand hield,
en allengskens, zig daar van weer ontwende, en ein-
delyk een geheele andere wyze van schilderen aan-
nam.«39
Die Ausprägung eines spezifischen Malstils ist
nicht zuletzt als Reaktion darauf zu verstehen, dass
das zeitgenössische Publikum besonderes Interesse
an den stilistischen Qualitäten eines Gemäldes und
der virtuosen Maltechnik seines Schöpfers hatte.40
Dies geht aus mehreren Äußerungen Houbrakens
hervor. In seiner Biographie Joos van Craesbeeks
(1605/08-1661) beispielsweise berichtet der Autor,
dass Craesbeeks Bilder »om hunne koddige vin-
dingen en wyze van schilderen geagt«41 waren. Und
über Rembrandts Stil schreibt Houbraken, dass »te
dier tyd de handeling van Rembrant in’t algemeen
geprezen wierd.«42 An anderer Stelle macht er deut-
lich, dass die Künstler häufig gezwungen waren, ihre
Malweise derjenigen Manier anzupassen, die gerade
in Mode war, wenn sie Erfolg haben wollten: »De

Konst van Rembrant had als wat nieuws in haar tyd
een algemeene goedkeuring; zoo dat de konstoeffe-
naren (wilden zy hunne werken gangbaar doen zyn)
genootzaakt waren zig aan die wyze van schilderen
te gewennen.«43
Einer der Gründe dafür, dass man der Maltechnik
eines Künstlers besondere Aufmerksamkeit schenkte,
lag zweifellos darin, dass sie als Erkennungs- und
damit als Markenzeichen eines Meisters fungier-
te.44 Frans Hals beispielsweise fügte seinen Porträts
Houbraken zufolge am Ende des Arbeitsprozesses
noch »het kennelyke van den meester«45 hinzu - eine
Aussage, die sich sicher auf Hals’ spezifische Art der
Pinselführung bezieht.46 Christopher Atkins nimmt
an, dass Houbraken vor allem auf die Glanzhchter
abhebt, mit denen Hals seine Gemälde als Letztes
versah und deren für Hals typische Ausführung als
besonders schwierig gelten konnte, da sie keinerlei
Korrekturen erlaubte.47 Gerard de Lairesse betont,
dass Maler in aller Regel eine »byzondere en eigene
manier hebben« und fügt hinzu, sie seien »altyd gre-
tig om in het een of ct ander uit te munten, en zieh
door een zekere vreemdigheid kenbaar te maaken.«48
Und bereits bei van Hoogstraten heißt es:
»Zoo is ‘t dan, dat de Konstenaeren elk als tot iets eygens gedre-
ven worden, waer door men, als door een byzonder merk, haere
werken kent, gelijk men de zweemingen en ‘t kroost der oude-
ren in de kinderen gemeenlijk gewaer wort. En al hoewel deze
byzonderheden eer afwijkingen, dan volkomene vasticheden der
konst kunnen genoemt worden, zoo zijnze, als een bloembedde,
dat verscheydeverwige tulpen en tijlen draegt, den liefhebbers een
bekoorlijke vermaeklijkheyt.«49
Offensichtlich erzeugten die Künstler in voller Ab-
sicht einen Wiedererkennungseffekt ihrer Werke.50
Damit reagierten sie auf die Wünsche der Kunstlieb-

35 Krempel 2000, S. 110-112.
36 Zu Begriff und Konzept der >handeling< vgl. Miedema 1986/87,
S. 273f.; Ketelsen 2000/01, S. 17-20.
37 Vgl. z. B. Houbraken 1753, Bd. 2, S. 305: »Nu moest hy [Jan
de Baen] zig een wyze van schilderen voorstellen die prysse-
lyk was om zig daar aan te houden.«
38 Houbraken 1753, Bd. 2, S. 21. Vgl. Bruyn 1989, S. 12. Vgl.
auch Houbraken 1753, Bd. 3, S. 206, wo der Autor berich-
tet, dass Aert de Gelder »naar Amsterdam vertrok om Rem-
brants wyze van schilderen te leeren.« Für weitere Beispiele
vgl. Krempel 2000, S. 133, Anm. 11.
39 Houbraken 1753, Bd. 2, S. 156.
40 Vgl. hierzu Wetering 1999/2000, S. 26-36; Atkins 2003;
Wetering 2003, S. 35f.; sowie oben, Kap. II.3.4, S. lllf.
41 Houbraken 1753, Bd. 1, S. 334.
42 Houbraken 1753, Bd. 2, S. 20f.

43 Houbraken 1753, Bd. 3, S. 206. Vgl. hierzu auch Slive 1953,
S. 183f.; Bruyn 1991/92, S. 70f.
44 Zu dem im Laufe des 17. Jahrhunderts steigenden Interesse
der Zeitgenossen an authentischen Werken bestimmter Künst-
ler vgl. Veen 2005.
45 Houbraken 1753, Bd. 1, S. 92.
46 Vgl. Krempel 2000, S. 107.
47 Atkins 2003, S. 290f.
48 Lairesse 1740, Bd. 1, S. 353. Vgl. hierzu Vries 1998, S. 118f.
49 Hoogstraten 1678, S. 74.
50 Gerade die Klassizisten, wie z.B. de Lairesse, kritisierten das
Sichtbarwerden der individuellen Handschrift eines Künstlers,
die ihrer Meinung nach möglichst ganz aus einem Kunstwerk ge-
tilgt werden sollte. Vgl. Vries 1998, S. 118f. Bereits Angel 1642,
S. 53, fordert, dass ein Bild nicht die Manier seines Schöpfers zu
erkennen geben, sondern allein die Natur abbilden solle.
 
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