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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0377
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Tronien als Demonstrationsstücke künstlerischer Kreativität

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Serien als Form des Capriccio einführte.100 Explizit
im Titel einer entsprechenden druckgraphischen Se-
rie erwähnt findet sich das Wort >Capriccio< in einer
Folge des Augsburger Künstlers Johann Heinrich
Schönfeld (1606-1684), der im Jahr 1656 13 radierte
Köpfe unterschiedlicher Figurentypen unter dem
Titel Vkrze teste de Capricci zusammenfasste.101 Lie-
vens’ bereits in den dreißiger und vierziger Jahren
edierte Tronie-Serien lassen sich als Ausdruck des-
selben Phänomens verstehen.
Zwar ist die Betitelung von Graphikfolgen als
Capricci stets an den seriellen und variierenden Cha-
rakter der Werkgruppen gebunden, so dass die für
Lievens’ radierte Tronie-Serien aufgrund der beste-
henden Analogien zu Callots Capricci getroffenen

Aussagen sich nicht ohne weiteres auf gemalte Tro-
nien übertragen lassen. Doch zeichnen sich Letztere
durch vergleichbare Eigenschaften wie die entspre-
chenden Radierungen aus: die Unmittelbarkeit und
technische Virtuosität des künstlerischen Vortrags,102
die ikonographische Unverbindlichkeit bzw. Offen-
heit sowie die Phantasieleistung des Malers hinsicht-
lich der künstlerischen Umsetzung und Kostümge-
staltung. Die Rezeptionshaltung, welche die Werke
erforderten, scheint erstaunlich modern. Denn erst
indem der Betrachter den Schaffensprozess des
Künstlers nachvollzog und gegebenenfalls eine indi-
viduelle Deutung an eine Tronie herantrug, gelangte
er zu einer angemessenen Würdigung des Werkes.

100 Busch 1996/97, S. 62. Vgl. z.B. della Bellas Plusiettrs Testes
Coifees ä la Persienne von ca. 1649/50, Kat. Turin 2000,
Kat. Nr. 66. Zu della Bellas Capricci vgl. auch Kanz 2002, S.
293f.
101 Vgl. Hollstein’s German Engravings 1954ff., Bd. 51
(2000), Kat. Nr. 3-12, S. 8-12. Zu der Serie Schönfelds vgl.
Hartmann 1973, S. 83f.; Kanz 2002, S. 295-297.

102 Kanz 2002, S. 222, beschreibt die im 16. Jahrhundert geläufige
»Auffassung, dass mit dem geschwinden und lockeren Pinselvor-
trag eine entsprechend agile Imaginationsleistung einhergeht. Die
prompte Umsetzung von eben in den Sinn gekommenen Bild-
ideen mittels einer ebenso flinken Hand wird als Zeichen genialer
Begabung angesehen.« Vgl. auch Günther 1999, S. 190f.
 
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