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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0383
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Zusammenfassung

355

und Willem Drost, die aus Dordrecht stammenden
oder dort aktiven Maler Pieter Vereist, Salomon van
Hoogstraten und Aert de Gelder, die Haarlemer Ma-
ler Salomon de Bray, Pieter de Grebber und Adri-
aen van Ostade sowie der Utrechter Meister Abra-
ham Bloemaert. Diese Künstler schufen ein breites
Spektrum in unterschiedlicher Weise ausgeführter
Tronien, die Figuren verschiedenen Alters und Ge-
schlechts in variablen Kostümen zeigen. Bedeutsam
ist hierbei, dass das Erscheinungsbild der dargestell-
ten Figuren alles andere als beliebig war. Vielmehr
entwickelten sich nach der Einführung der Tronie
in die holländische Malerei bestimmte Tronietypen,
die jeweils eigene Bildtraditionen ausprägten und an
deren Vorbild sich die meisten Maler orientierten.
Besonders verbreitet waren die von Rembrandt be-
gründeten bzw. fortentwickelten Tronietypen.
Als ausgesprochen aufschlussreich stellte sich die
Untersuchung der unterschiedlichen Fachgebiete
heraus, mit denen sich Troniemaler befassten. Es
konnte nicht nur gezeigt werden, dass Tronien pri-
mär im Werk von Künstlern vorkommen, die sich
auch auf anderen Feldern der Figurenmalerei betä-
tigten. Auch führte die Analyse zu dem bemerkens-
werten Ergebnis, dass die Produktion von Tronien
zwar Bestandteil des Schaffens von Historien- und
Genremalern war, jedoch nicht zu den Aufgabenge-
bieten von Porträtspezialisten gehörte. Die zwischen
Porträts und Tronien bestehende funktionale Diffe-
renz fand ihren Ausdruck also auch darin, dass die
Werke in unterschiedlichen Produktionszusammen-
hängen entstanden. Zudem konnte ausgeschlossen
werden, dass die Herstellung von Tronien zur Aus-
bildung von Porträtspezialisten gehörte. Daneben
fiel auf, dass sich Maler von Historien insgesamt in
größerem Umfang mit der Herstellung von Tronien
beschäftigten als Genremaler. Dies hängt unter an-
derem mit der besonderen Verbreitung der durch
Rembrandt geprägten Tronietypen zusammen: Da
diese sich motivisch am Figurenrepertoire von His-
torienbildern orientieren, wurden sie bevorzugt von
Historienmalern produziert. Allgemein gilt, dass
Tronien von Historienmalern häufig dem Erschei-
nungsbild der Protagonisten auf den Historien der
betreffenden Meister entsprechen, während Tronien
von Genrespezialisten meist aussehen wie die Fi-
guren auf den Genrebildern der Maler. Vor diesem
Hintergrund ließen sich Tronien als eine künstleri-
sche Bildaufgabe bestimmen, die je nach ihrer spezi-
fischen Ausprägung der Gattung Historie oder der
Gattung Genre zuzuordnen und nicht etwa außer-

halb dieser Gattungen zu verorten ist. Dies bedeutet,
dass Tronien auch in funktionaler Hinsicht an die
Historien- bzw. Genremalerei gebunden sind.
Von der weiten Verbreitung des Bildtyps der Tro-
nie in den Nördlichen Niederlanden zeugt nicht nur
die große Zahl der Maler, die sich mit der Bildaufga-
be befassten, sondern auch das häufige Vorkommen
entsprechender Werke in niederländischen Inven-
taren. Die Gemälde wurden in der Regel zu nied-
rigen Preisen verkauft, wie sich anhand erhaltener
Dokumente belegen ließ. Selbst Tronien berühmter
Meister wie Rembrandt und Dou waren verglichen
mit den Mehrfigurenbildern der Maler preiswert, so
dass sich auch weniger begüterte Käufer Tronien die-
ser Künstler leisten konnten. Mit Blick auf die Kon-
junktur von Tronien konnte die wichtige Beobach-
tung gemacht werden, dass im letzten Drittel des 17.
Jahrhunderts ein deutlicher Rückgang der Troniepro-
duktion zu verzeichnen ist. Zu dieser Entwicklung
führten mehrere Faktoren. Erstens hatte sich die Zahl
aktiver Historienmaler, die besonders produktiv auf
dem Gebiet der Troniemalerei waren, in den letzten
drei Jahrzehnten des Jahrhunderts stark verringert.
Zweitens brach der Markt für preisgünstige Gemäl-
de, zu denen ja auch Tronien gehörten, in den 1670er
Jahren ein. Und drittens hatte sich ein Wandel in den
Kunstanschauungen und im Geschmack des Publi-
kums wie auch der Künstler vollzogen: Die klassi-
zistische Kunstauffassung, die sich in der zweiten
Jahrhunderthälfte durchsetzte, führte offenbar dazu,
dass der schonungslose Verismus von Tronien abge-
lehnt und der Darstellung einer an der Antike orien-
tierten idealen Schönheit der Vorzug gegeben wurde.
Dies hing unmittelbar mit dem in der Kunsttheorie
greifbar werdenden, gewandelten Verständnis davon
zusammen, was als darstellungswürdig und damit als
>schilderachtig< gelten durfte. Tronien gehörten aus
Sicht vieler Zeitgenossen augenscheinlich nicht mehr
dazu.
Als eines der wesentlichen Ergebnisse des dritten
Teils der Arbeit ist festzuhalten, dass mit dem Auf-
kommen und der Verbreitung von Tronien in der
niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts eine
neue und eigenständige, innerhalb der Gattungen
Historie und Genre zu verortende Bildaufgabe ent-
stand, die sich durch die Ausprägung eigener Bildtra-
ditionen auszeichnet. Dabei folgte die künstlerische
Gestaltung der Werke bestimmten Qualitätskriterien
und wurden somit beim zeitgenössischen Publikum
entsprechende Erwartungshaltungen gegenüber dem
Erscheinungsbild von Tronien erzeugt.
 
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