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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0384
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356

Zusammenfassung

Teil IV der Studie beschäftigt sich mit den wechsel-
seitigen Beeinflussungen von Porträt und Tronie und
ist damit einer zentralen und gleichzeitig besonders
ergiebigen Fragestellung der Arbeit gewidmet. Es
konnte gezeigt werden, dass die Gattung Porträt und
der Bildtyp der Tronie in vielfacher Hinsicht vonein-
ander profitierten. Dabei ergaben sich aus der Analy-
se der Gemeinsamkeiten beider Werkkategorien in-
teressante Perspektiven für die inhaltliche Deutung
der Bilder.
Der Einfluss der Porträtmalerei auf die Gestal-
tung von Tronien zeigt sich schon darin, dass das
Erscheinungsbild vieler Tronien dem Aussehen von
Bildnissen sehr nahe kommt. Darüber hinaus gehö-
ren zur Ausstaffierung von Tronien in reicher Phan-
tasietracht bestimmte Motive, für die belegt wurde,
dass sie auf das Vorbild von Porträts hochrangiger
Adliger des 16. und 17. Jahrhunderts zurückgehen.
Hieraus ließ sich der Schluss ziehen, dass porträthaft
wirkende Tronien in reicher Tracht als >Phantasie-
bildnisse< bedeutender Persönlichkeiten vergangener
Zeiten oder ferner Länder, als fiktive Darstellungen
von Herrschern und Herrscherinnen, Prinzen und
Prinzessinen, verdienstvollen Feldherrn oder Ähn-
lichem intendiert waren. Allerdings waren die Fi-
guren nicht von vornherein auf eine bestimmte Rol-
le, d.h. eine benennbare Person, festgelegt, sondern
ließen dem Betrachter Spielraum für eigene Deu-
tungen, wie anhand schriftlicher Quellen und druck-
graphischer Reproduktionen nachgewiesen wurde.
Der Besitzer einer Tronie konnte der dargestellten
Figur je nach persönlicher Vorliebe eine bestimmte
Identität zuweisen, wobei der jeweilige Figurentyp
den Interpretationsrahmen vorgab. Somit wurde
eindeutig widerlegt, dass es sich bei Tronien um Bil-
der mit einer feststehenden religiösen, literarischen
oder allegorischen Bedeutung handelt, wie in der
Forschung angenommen worden ist. Als wichtiges
Ergebnis ist hervorzuheben, dass eine wesentliche
Eigenschaft vieler Tronien gerade im Verzicht auf die
ikonographische Festlegung der Figuren besteht und
die ästhetischen Qualitäten der Werke damit in den
Vordergrund treten.
Orientierte sich das Erscheinungsbild von Tro-
nien in vieler Hinsicht an der Gattung Porträt, so
konnte umgekehrt auch die künstlerische Umsetzung
von Bildnissen in entscheidender Weise vom Bildtyp
Tronie beeinflusst sein. Maler wie Hals, Lievens und
Rembrandt übertrugen Gestaltungsprinzipien ihrer
Tronien auf konventionelle, der aktuellen Mode ge-
mäß gekleidete Porträts. Offensichtlich gewöhnten

sie ihr Publikum zunächst anhand von Tronien an
einen durch besondere Freiheit gekennzeichneten,
individuellen Malstil im Einfigurenbild. Ab einem
gewissen Zeitpunkt wurde dieser auch für Auf-
tragsporträts akzeptiert und als Markenzeichen so-
wie Ausweis der besonderen Virtuosität der Künstler
geschätzt. Indem das Innovationspotential von Tro-
nien für Bildnisse in zeitgenössischer Tracht frucht-
bar gemacht wurde, etablierte sich eine unkonventio-
nelle Form der Darstellung im Porträt, die der Art
der künstlerischen Behandlung des Bildgegenstands
einen ungewöhnlich hohen Stellenwert einräumte.
Als noch weitreichender stellte sich der Einfluss
des Bildtyps Tronie auf die Gattung Porträt mit
Blick auf eine spezielle Form des Bildnisses heraus.
Wie ausführlich dargelegt wurde, dienten Tronien als
Inspirationsquelle für die Erfindung eines neuen Ty-
pus des bürgerlichen Porträts, der in den 1630er Jah-
ren in die holländische Malerei eingeführt wurde. Es
handelt sich dabei um Bildnisse in einer Phantasie-
tracht, die mit den Kostümen von Tronien vergleich-
bar ist. Die Dargestellten tragen ebenso wie die Fi-
guren auf Tronien keine signifikanten Attribute und
sind damit nicht auf eine bestimmte Rolle festgelegt.
Zudem kann die malerische Gestaltung der betref-
fenden Kostümporträts der Art des für Tronien häu-
fig gewählten freien Farbauftrags entsprechen. In der
bisherigen Forschung wurden Kostümporträts in
Tronie-Manier weder als eigenständiges Phänomen
untersucht noch die Verbindung zur Bildaufgabe
Tronie erkannt. Gerade aus ihrer visuellen und kon-
zeptionellen Nähe zur Tronie erklärt sich jedoch der
besondere Reiz und die Bedeutung, die die Werke für
ihre Auftraggeber besaßen.
Ihren Anfang nahm die Entwicklung bei einer
Form des Porträts, die vielfach nicht an einen Auftrag
von außen geknüpft war - dem Selbstbildnis. Insbe-
sondere Rembrandt, aber auch seine Schüler schufen
ab den dreißiger Jahren Selbstporträts in Phantasie-
tracht, für deren Gestaltung sie sich am Bildtyp der
Tronie orientierten. Bereits in Teil III konnte gezeigt
werden, dass die Selbstdarstellung in einer für Tro-
nien typischen, an die Mode des 16. Jahrhunderts
angelehnten Tracht eine eigene Tradition innerhalb
der Gruppe der Künstlerbildnisse begründete. Da-
bei scheint gerade das Verschwimmen der Grenze
zwischen Porträt und Tronie ikonographisch beson-
ders interessant gewesen zu sein. Gelegentlich stell-
ten die Maler auch ihre Ehefrauen in tronieähnlicher
Aufmachung dar. Diese Beobachtungen lassen den
Schluss zu, dass Künstlerbildnisse in Phantasietracht
 
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