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Kritiken.
Freiberg und Wolkenstein gewesen war — übrigens nicht erst, wie
es Seite 5 heisst, seitdem die Wettiner Friesland verloren hatten (1515),
sondern bereits seit 1505 — betritt er noch jungfräulicheren Boden.
Zwar gab es darüber keinen Zweifel, dass das übliche Epitheton
dieses Fürsten wenig charakteristisch, dass gutmütige Schwäche der
Grundzug seines Wesens und seine ehrgeizige Gemahlin Katharina
der Mann im Hause gewesen sei. Aber neu ist der Nachweis des
absoluten Mangels an Initiative bei ihm und der starken Selbstsucht
bei ihr, des allbeherrschenden Einflusses, den Kurfürst Johann Friedrich
auf die Dresdner Entschlüsse in den ersten Monaten besass, der rasch
folgenden gründlichen Erkaltung in den Beziehungen zwischen beiden
Vettern, vor allem des schroffen Systemwechsels gegenüber den alt-
gläubigen Elementen im Lande, denen man anfangs, eben auf Be-
treiben des Ernestiners, mit unpolitischer Rücksichtslosigkeit entgegen-
getreten war, um bald darauf fast auf der ganzen Linie die Waffen
vor ihnen zu strecken und damit weiter und weiter von den Schmal-
kaldnern abzurücken. Indem uns Brandenburg in anziehender, nur
vielleicht die indirekte Rede gar zu oft verwendender Darstellung
über diese Dinge belehrt, hat er sich zugleich einen tüchtigen Unter-
bau für sein Werk über den energischen Sohn und Nachfolger
Heinrichs geschaffen, einen Unterbau, der den vorhandenen Bio-
graphien des Kurfürsten Moritz recht zu ihrem Schaden fehlt.
Dresden. Felician Gess.
Emilio Comba. I nostri protestanti. vol. H. Firenze. Tip. E Li-
breria Claudiana. Via dei Serragli 51. 1897. XV u. 700 S.
Die Geschichte der italienischen Reformation ist von der Forschung
bisher über Gebühr vernachlässigt worden. Solange die Inquisition
Italien in geistiger Knechtschaft hielt, mochte es bedenklich er-
scheinen, sich mit der Geschichte der evangelischen Bewegung zu be-
fassen. Es fehlt daher fast gänzlich an Vorarbeiten einheimischer
Gelehrten.
Viele bedeutsame Reformationsschriften Italiens sind wenig be-
kannt oder noch unediert. Von Francesco Negri’s „H libero arbitrio“
z. B. besitzt die Bibliotheca Guicciardiniana zu Florenz nur ein
Exemplar in der Ausgabe des Jahres 1550. Andere Schriften, wie
der schon 1512 begonnene Traktat „de gratia Dei“ des Pietro
Speziali, welcher sich rühmte, die Rechtfertigungslehre vor Luther
entwickelt und formuliert zu haben, sind nur im Manuskripte vor-
handen.
Es fehlt ferner, wie K. Benrath im Vorwort seiner Biographie
Bernardino Ochino’s ausführt, die „genauere Feststellung der Lebens-
Kritiken.
Freiberg und Wolkenstein gewesen war — übrigens nicht erst, wie
es Seite 5 heisst, seitdem die Wettiner Friesland verloren hatten (1515),
sondern bereits seit 1505 — betritt er noch jungfräulicheren Boden.
Zwar gab es darüber keinen Zweifel, dass das übliche Epitheton
dieses Fürsten wenig charakteristisch, dass gutmütige Schwäche der
Grundzug seines Wesens und seine ehrgeizige Gemahlin Katharina
der Mann im Hause gewesen sei. Aber neu ist der Nachweis des
absoluten Mangels an Initiative bei ihm und der starken Selbstsucht
bei ihr, des allbeherrschenden Einflusses, den Kurfürst Johann Friedrich
auf die Dresdner Entschlüsse in den ersten Monaten besass, der rasch
folgenden gründlichen Erkaltung in den Beziehungen zwischen beiden
Vettern, vor allem des schroffen Systemwechsels gegenüber den alt-
gläubigen Elementen im Lande, denen man anfangs, eben auf Be-
treiben des Ernestiners, mit unpolitischer Rücksichtslosigkeit entgegen-
getreten war, um bald darauf fast auf der ganzen Linie die Waffen
vor ihnen zu strecken und damit weiter und weiter von den Schmal-
kaldnern abzurücken. Indem uns Brandenburg in anziehender, nur
vielleicht die indirekte Rede gar zu oft verwendender Darstellung
über diese Dinge belehrt, hat er sich zugleich einen tüchtigen Unter-
bau für sein Werk über den energischen Sohn und Nachfolger
Heinrichs geschaffen, einen Unterbau, der den vorhandenen Bio-
graphien des Kurfürsten Moritz recht zu ihrem Schaden fehlt.
Dresden. Felician Gess.
Emilio Comba. I nostri protestanti. vol. H. Firenze. Tip. E Li-
breria Claudiana. Via dei Serragli 51. 1897. XV u. 700 S.
Die Geschichte der italienischen Reformation ist von der Forschung
bisher über Gebühr vernachlässigt worden. Solange die Inquisition
Italien in geistiger Knechtschaft hielt, mochte es bedenklich er-
scheinen, sich mit der Geschichte der evangelischen Bewegung zu be-
fassen. Es fehlt daher fast gänzlich an Vorarbeiten einheimischer
Gelehrten.
Viele bedeutsame Reformationsschriften Italiens sind wenig be-
kannt oder noch unediert. Von Francesco Negri’s „H libero arbitrio“
z. B. besitzt die Bibliotheca Guicciardiniana zu Florenz nur ein
Exemplar in der Ausgabe des Jahres 1550. Andere Schriften, wie
der schon 1512 begonnene Traktat „de gratia Dei“ des Pietro
Speziali, welcher sich rühmte, die Rechtfertigungslehre vor Luther
entwickelt und formuliert zu haben, sind nur im Manuskripte vor-
handen.
Es fehlt ferner, wie K. Benrath im Vorwort seiner Biographie
Bernardino Ochino’s ausführt, die „genauere Feststellung der Lebens-