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Hoernes, Moritz
Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa: von den Anfängen bis um 500 vor Christi — Wien: Druck und Verlag von Adolf Holzhausen, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.62929#0465
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Der Hallstätter Culturkreis.

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zusammengestellt hat. Da finden wir Gruppen sehr verschiedener Art. Ungefähr
20 Stück geschmiedeter Kupferfiguren vom Viminal (1. c., S. 232, Fig. 3) und
eine geschnittene und gehämmerte Bronzeblechfigur vom Esquilin (1. c., Fig. 4),
alle mit schematisch gespreizten Beinen und halb erhobenen Armen, sind ganz
primitiv und erinnern auch technisch an die rohesten figuralen Stücke unter
den alten Weihgeschenken von Olympia. Dagegen stammen zwei Gruppen ge-
gossener Rundfiguren aus einem Heiligthum an der Via Portuense und zeigen
ganz andere Formen: geschlossene Beine, stramm an den Leib gelegte Arme,
breite Schultern, schmale Hüften, eingezogene Taille, vortretendes Gesäss, langes
Haar. Die eine dieser Gruppen (1. c., S. 229, Fig. 1), in Hunderten von Exem-
plaren gefunden, schliesst sich ganz eng an den bekannten archaisch-griechischen
Typus des Apollo von Tenea an. Helbig betrachtet diese Figürchen als Dutzend-
producte einer griechischen Gusswerkstätte des VI. Jahrhunderts. In der zweiten
Gruppe (1. c., Fig. 2), welche sich durch eine hohe mitraförmige Bedeckung
der Köpfe, dann durch gedrungene, minder scharfe Körperformen von der ersten
unterscheidet, sieht er locale Nachahmungen durch einheimische Arbeiter.
Vielleicht ist eher anzunehmen, dass beide Gruppen nur aus verschiedenen
Fabriken stammen, welche beide in griechischen Colonien der Halbinsel zu
suchen sind. Dass die Kopfbedeckung bei den Figuren der zweiten Gruppe
den römischen pileus libertatis, die Figuren also Römer vorstellen sollen, ist
bei der Nacktheit derselben nicht wohl anzunehmen. Jene Kopfbedeckung
scheint eher ein orientalisches Trachtstück, vergleichbar den hohen Tiaren as-
syrischer und kyprischer Fürsten- und Priestergestalten.
2. Der Hallstätter Culturkreis.
(Die Verbreitung der neuen Kunst nach Mittel- und Nordeuropa.)
Die Landschaften im Osten und Westen des adriatischen Meeres bilden
nach beiden Richtungen hin die Rück- und Schattenseiten der classischen Halb-
inseln, welchen sie angehören. Das Antlitz der östlichen ist dem Osten,
das der westlichen dem Westen zugekehrt. Im Gegensatz zum ägäischen
und tyrrhenischen Meere war denn auch die Adria lange Zeit ein verrufenes
Gewässer. Stürme und Seeräuber bedrohten die kühnen Eindringlinge aus dem
Süden. Phokäer umfuhren schon im VIII. Jahrhunderte das akrokeraunische
Vorgebirge, aber ohne dort einen dauernden Stützpunkt zu gewinnen. Ko-
rinther gründeten 734 eine Pflanzstadt auf Corfu (Kerkyra), die Kerkyräer
später Colonien in Avlona (Apollonia) und Durazzo (Epidamnus-Dyrrhachium).
Weiter nördlich haben sich in der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen
Jahrtausends Griechen nicht festgesetzt. Erst im IV. Jahrhundert nahm das
aufblühende Syrakus, in seinem Westhandel durch die Karthager gehemmt,
das vom hellenischen Mutterlande nicht weiter verfolgte Colonisationswerk mit
frischen Kräften wieder in Angriff.
In den Zeitraum zwischen die Nordfahrten der Phokäer und die Coloni-
sationen Dionysius’ I. fällt ein nicht unbeträchtliches Stück innerer, kunst- und
 
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