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Höver, Otto
Vergleichende Architekturgeschichte — München: Allgemeine Verlagsanstalt, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.67352#0164
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ſich gegenwärtig halten, was Bähr mit ſeiner Leiſtung innerhalb der kirchlichen
Baukunſt des norddeutſchen Proteſtantismus bedeutet. Es gelingt ihm, dem
Schickſal eines frühen Klaſſizismus, das allenthalben doch nur Anproduktivität

und Stagnation in ſich ſchloß, mit unerhörter Kraft zu trotzen. Er vermochte, ſich
darüber zu ſtellen. 1 / .

Wie bei Neumann zeigt ſich Bährs wahre Begabung in der Behandlung

des Innenraumes der Frauenkirche. Der Italiener Viscardi kam im Inneren

der Maria⸗Hilf Kirche von Freyſtadt nicht über die ruhende Zuſtändlichkeit des

Abb. reinen Zentralraumes hinaus. Er gruppierte um ein feſtes Wittellot. Die Be-
133 u. 134 handlung der Wände zeigt ein tektoniſches Gefüge mächtig vordrängender ge-
doppelter Dreiviertelſäulen, die faſt noch der plaſtiſchen Struktur an den Wan-

Abb. 132 dungen der Wünchener Theatinerkirche (Barelli) gleichzuachten ſind. Aber den
Säulen führt Viscardi die Horizontalgliederung des Gebälkes klar durch, ſie wird
nicht von Ornamentmotiven überſchäumt (vgl. auch das Gebälk im Inneren der

Abb. 137 zentralen Dreifaltigkeitskirche in München). Unterraum und Kuppelregion ſind
deutlich geſchieden. Viscardi ſtand im Bann des architekturalen Geſchmacks ſeiner
Landsleute. Es gelang ihm nicht, dem obligaten Schema des Zentralbaues eine
beſondere kreiſende Dynamik abzugewinnen. Was an Bewegtheit in ſeinem Bau
enthalten iſt, bleibt an die Vertikalität des Wittellotes unter dem Kuppelſcheitel
gefeſſelt. Im reinen Langbau der Kloſterkirche Fürſtenfeldbruck konnte Viscardi
entſprechend nur die Tiefenachſe für eine Bewegung ausnutzen. Fürſtenfeld wirkt
überhaupt als eine ſpät noch einmal wieder italieniſierte Variante — immer
ſoweit der Raum in Frage ſteht! — der Münchener Wichaelskirche. Die Be-
tonung der Longitudinalität und einer adäquaten Bewegung der geſtreckten
Raumform muß innerhalb der fortgeſchrittenen Möglichkeiten ſüddeutſcher Raum-
geſtaltung als Rückfall in frühere Stadien angeſehen werden (ogl. auch die Lang-
bauten der Vorarlberger konſervativer Richtung), ein Zeichen, daß der Italiener
nicht anders konnte. Er mußte wohl oder übel ſeiner inneren Veranlagung nach-
geben. Flutende Kurven lagen nicht im Bereiche ſeines Raum⸗Geſchmacks. Be-
zeichnenderweiſe ſteht das raſchelnde Leben der reichlich vorhandenen figuralen
Plaſtik — von deutſchen Bildnern — in ſtarkem Gegenſatz zum Nur⸗Architekto-
niſchen. Dem Ganzen haftet ein Kompromißcharakter an.

Abb. 184 Georg Bähr nun ſucht das abſolute Vertikallot und ſeine eindeutige dyna-
miſche Kraft zu dämpfen. Der Blick fliegt nicht ungehemmt in die Weite der
oberen Kuppelregion hinauf. Der alten Antipathie des Deutſchen gegen die reine
Darſtellung der Tambourkuppel gibt der Dresdener Weiſter Ausdruck, indem er
eine Zwiſchenkuppel einzieht als eigentlichen Abſchluß des unteren Kirchenraumes.
Im Scheitel dieſer inneren Zwiſchenkuppel, deren Lage außen durch die kurvige
Zone zwiſchen Oktogon und Oberkuppel beſtimmt erſcheint, wird ein großes „Opäon“
freigelaſſen. Durch dieſes gelangt der Blick zwar wohl in die oberen Regionen
hinein, doch ſo, daß für das Auge von unten her dort oben alles im Unbeſtimmten
und Angewiſſen gelaſſen iſt. Anſtatt des klaren beſtimmten Lichtes einer italieni-
ſchen Tambourkuppel ſpürt der Beſchauer nur die diffuſe Helle eines unbe-

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