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Hoppe, Stephan
Die funktionale und räumliche Struktur des frühen Schloßbaus in Mitteldeutschland: untersucht an Beispielen landesherrlicher Bauten der Zeit zwischen 1470 und 1570 — Köln: Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln, 1996

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https://doi.org/10.11588/diglit.69717#0138
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128 Das Wittenberger Schloß von 1489 - 1508
zugeordneten Fenster stehen sie zwar in enger Verbindung mit der äußeren
Mauerschale, es wäre aber beim Entwurf der Innengrundrisse ohne weiteres
möglich gewesen, z. B. den Hauptsaal nach Süden zu verlängern oder die
spätere Tafelstube nach Westen zu vergrößern, ohne daß der äußere Baukör-
per des Kemschlosses hätte geändert werden müssen. Besonders die jeweils
aus größerer Stube und kleinerer Kammer bestehenden Appartements er-
scheinen wie in einen großen Binnenraum hineingestellt, wobei die Rest-
räume dann als Kommunikationsflächen genutzt wurden. Diese Entwurfshal-
tung des unbekannten Architekten des Wittenberger Schlosses hat zu
auffällig ungestaltet wirkenden Lösungen in bezug auf die Kommunikations-
räume geführt. Nebenbei sind dabei allerdings sogar Raumstrukturen ent-
standen, die an erst viel später üblich gewordene längsflurartige Erschlie-
ßungssysteme erinnern. Daß diese nicht gesucht worden sind, sondern
ungeachtet ihrer späteren Verbreitung auch erkannte Nachteile mit sich
brachten, zeigt ihre Lage im Wittenberger Schloß in den oberen, weniger re-
präsentativen Geschossen. Im Gegensatz zu den sonst oft gebäudetiefen
Räumen im Schloßbau ließen solche Längsgänge den angrenzenden Räumen
nur noch eine Fensterseite. Es handelt sich bei den entsprechend erschlosse-
nen Wittenberger Räumen deshalb oft um zweitrangige Appartements, wäh-
rend die hochrangigen Wohnräume auch in diesem Schloß mehrseitig befen-
stert waren.
Dieser ablesbar experimentelle Charakter der Wittenberger Architektur wird
noch durch andere Neuerungen gegenüber der Albrechtsburg unterstrichen.
Eine entscheidende Innovation in der Wittenberger Innenarchitektur war die
durchgängige Anlage von Kaminen in den hochrangigen Schlafkammem. In
der Albrechtsburg waren viele und besonders auffällig gerade die geräumig-
sten und hochrangigsten Appartements mit kaminlosen Schlafkammern aus-
gestattet worden. Dasselbe war höchstwahrscheinlich, wie weiter unten dar-
gelegt, noch 1482/85 in der neuen Residenz Herzog Albrechts in Torgau der
Fall. Die in Wittenberg angewandte Praxis ist dann später im 16. Jahrhundert
die Regel geworden.
Eine weitere funktionale und architektonische Neuerung stellten die beiden
oberen, 1547 abgetragenen herrschaftlichen Turmstuben dar. Leider ist ge-
rade der obere Bereich der Albrechtsburg nicht vollendet worden, so daß
nicht auszuschließen ist, daß dort nicht auch entsprechende Räume, etwa über
dem großen Wendelstein, geplant gewesen sind."41 Zumindest sind aber die

Dort wurde erst im 16. Jahrhundert ein viertes Obergeschoß auf den Treppenturm auf-
gesetzt, das aber im Zuge der Restaurierung im 19. Jahrhundert beseitigt wurde
(Wanckel/Gurlitt 1895, S. 34).
 
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