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Huber, Hans Dieter
System und Wirkung: Rauschenberg, Twombly, Baruchello ; Fragen der Interpretation und Bedeutung zeitgenössischer Kunst ; ein systemtheoretischer Ansatz — München, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.37734#0026
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Bei Imdahl ist die Frage nach den spezifischen Qualitäten bildlicher Darstel-
lungssysteme ebenfalls die Frage nach »einer durch nichts anderes zu ersetzen-
den Ausdrucksqualität«30. Die Malerei ist für ihn eine durch nichts anderes zu
substituierende Sprache, die eine nicht substituierbare Erfahrung eröffnet31.
Imdahl sieht den Gehalt eines Bildes als ein Sehangebot an, »das alle mitge-
brachten Seherwartungen oder auch alle sprachlich mitzuteilenden Ereignis-
vorstellungen im Ausdruck einer anschaulichen und nur der Anschauung
möglichen Evidenz übersteigt«32.
In der Ästhetik Gottfried Boehms besitzt die besondere Erfahrungsstruktur
des künstlerischen Werkes eine prinzipielle Andersartigkeit gegenüber jeder
begrifflichen oder sprachlichen Vereinnahmung33. Das besondere Geflecht des
Bildes eröffnet »den Zugang zu einer Sinnerfahrung, die in der bildtranszen-
denten Welt sprachlich bestimmbarer Inhalte kein Äquivalent besitzt«34. Dies
wird vor allem mit Hilfe der Simultanität des Sehens begründet. In der
Andersartigkeit des Bildes, die sich in seiner Unverfügbarkeit seitens der
Sprache ankündigt, sei eine eigenständige genuine Qualität des Bildes gegen-
über der Sprache zu erkennen35. Diese Andersartigkeit der Bilderfahrung
gegenüber Alltagserfahrungen und -erkenntnissen beruht nach Boehm sowohl
auf der Bildstruktur des Werkes als auch auf der besonderen simultanen
Wahrnehmungsstruktur des Sehprozesses36.
30 Max Imdahl, Giotto. Arenafresken, München 1980, S. 13.
31 Ibid. S. 14.
32 Vgl. Anm. 26.
33 Gottfried Boehm, Bildsinn und Sinnesenergie, a. a. O. S. 124. Vgl. auch ders., Kunst-
erfahrung als Herausforderung der Ästhetik; in: Willi Oelmüller (Hrsg.), Kolloquium Kunst
und Philosophie, Bd. 1, Ästhetische Erfahrung, a. a. O., S. 20 u. 27.
33 Gottfried Boehm, Zu einer Hermeneutik des Bildes; in: Gottfried Boehm / Hans-Georg
Gadamer (Hrsg.), Seminar: Die Hermeneutik und die Wissenschaften, Frankfurt 1978,
S. 462.
35 Ibid. S. 449.
36 Nach Boehm ist das Kunstwerk bestimmt durch eine Überdetermination seiner einzelnen
Bildelemente: »Ein jedes ist rundum begrenzt (»diskret«), das heißt, seine Kontrastfunktion ist
nach allen Richtungen beliebig fungibel, der Betrachter kann zu einer Unzahl von Element-
konjunktionen fortschreiten. Ich kann benachbarte, aber auch ganz entfernte Grenzen von
Elementen miteinander konjungieren, und entdecke dabei, daß das Gefüge nicht ein positi-
ves System von Zeichen ist, die »etwas« bedeuten, sondern ein unausschöpfliches Potential, das
durch eine unerhörte Überdetermination gekennzeichnet ist. Eine oder alle begrifflich be-
nennbaren Bedeutungen herauszuheben, erschöpft das Potential keineswegs, es enthält eine
unabsehbare Zahl von Konjunktionen, die anschaulich realisierbar sind, ohne allerdings eine
sprachlich substituierbare Bedeutung haben zu müssen.« Boehm, Kunsterfahrung als Heraus-
forderung der Ästhetik, a. a. O., S. 19.
»Die Komplexität möglicher Kontexte, die zwischen allen auf einem Bilde unterscheidbaren
einzelnen Gegebenheiten regiert, ist gewissermaßen unendlich, d. h. dem Begriffe nach
unausschöpfbar und im strikten Sinne sprachunfähig.« Gottfried Boehm, Bildsinn und
Sinnesenergie, a. a. O., S. 125.

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