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I.
E
Die beiden älteren Theorien über Gewölbe geben Resultate, welche von der Erfahrung
himmelweit und zwar nach entgegengesetzten Richtungen abweichen, also gänzlich unbrauch-
bar sind. Nach der Theorie der schiefen Ebene wurde die Reibung und Cohäsion des Mörtels
gar nicht berücksichtigt, und das Resultat der Berechnung war, dass die Widerlager unendlich
dick seyn sollten. Nach der Theorie des Hebels wurde die Cohäsion des Mörtels stärker ange-
nommen als sie in Wirklichkeit ist, was zunächst zu dem widersinnigen Resultate führte, dass
ein hohes Widerlager nicht dicker zu seyn brauche, als ein niedriges. Diese Theorie nahm
allerdings der Erfahrung gemäs an, dass ein zu schwach
construirtes einstürzendes Gewölbe CF]g-10 an der Stelle
A nach aussen weiche. Aber das auswärts fallende Wider-
lager kantet sich nicht (wie ebenfalls angenommen wurde)
als ein ganzes Stück von C bis B unten bei C nach den
punctirteu Linien um, sondern es bleibt ein kleinerer
Theil — etwa C D E stehen, und der übrige Theil biegt
sich allmälig nach oben immer mehr aus, etwa nach der
Linie D G, bis sich G so weit von seiner ursprünglichen
Lage A entfernt hat, dass der Einsturz des Gewölb-Bogens
" erfolgt. Diese Ausbietung findet immer bei dem Umfallen
eines aus vielen Stücken bestehenden Pfeilers und einer Mauer statt, wie man sich leicht
durch Versuche überzeugen kann. Darum wird denn auch in der Wirklichkeit die Stabilität
durch die zunehmende Höhe so sehr verringert, während unbegreiflicher Weise bis in die
neuesten Zeiten eine Stabilitäts-Theorie gäng und gebe war, wonach im Widerspruch mit
aller Erfahrung Mauern von gleicher Dicke gleiche Stabilität haben sollten, wenn auch die
Höhen dieser Mauern sehr verschieden waren.
Die eben erwähnte Ausbiegung, welche schon unten am Boden beginnt, aber besonders
nach oben, wo eine Seiten-Kraft die Mauer oder den Pfeiler umzuwerfen strebt, mehr
zunimmt, und welche natürlich um so augenfälliger ist, je schlanker die Mauer oder der Pfeiler
ist, entsteht aus der (im Verhältniss zu den wirkenden Kräften) nur geringen Cohäsion des
Mörtels. Derselbe wird wohl kaum bei hohem Alter in solchem Grade bindend, dass eine
Mauer nur als ein Stück zu betrachten wäre. Und als zweite Ursache möchte ich selbst die
Elasticität annehmen, welche sogar den für unelastisch geltenden Körpern, also dem Mörtel,
dem Backstein etc. nicht gänzlich fehlt, wie unter andern auch das Erzittern hoher Thürme
beim Läuten der Glocken beweist.
Wenn man demnach Stabilitäts-Theorien erhalten will, welche mit den unumstösslichen
Erfahrungen übereinstimmen sollen, so muss man namentlich beim Hochbau die Mauern,
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Die beiden älteren Theorien über Gewölbe geben Resultate, welche von der Erfahrung
himmelweit und zwar nach entgegengesetzten Richtungen abweichen, also gänzlich unbrauch-
bar sind. Nach der Theorie der schiefen Ebene wurde die Reibung und Cohäsion des Mörtels
gar nicht berücksichtigt, und das Resultat der Berechnung war, dass die Widerlager unendlich
dick seyn sollten. Nach der Theorie des Hebels wurde die Cohäsion des Mörtels stärker ange-
nommen als sie in Wirklichkeit ist, was zunächst zu dem widersinnigen Resultate führte, dass
ein hohes Widerlager nicht dicker zu seyn brauche, als ein niedriges. Diese Theorie nahm
allerdings der Erfahrung gemäs an, dass ein zu schwach
construirtes einstürzendes Gewölbe CF]g-10 an der Stelle
A nach aussen weiche. Aber das auswärts fallende Wider-
lager kantet sich nicht (wie ebenfalls angenommen wurde)
als ein ganzes Stück von C bis B unten bei C nach den
punctirteu Linien um, sondern es bleibt ein kleinerer
Theil — etwa C D E stehen, und der übrige Theil biegt
sich allmälig nach oben immer mehr aus, etwa nach der
Linie D G, bis sich G so weit von seiner ursprünglichen
Lage A entfernt hat, dass der Einsturz des Gewölb-Bogens
" erfolgt. Diese Ausbietung findet immer bei dem Umfallen
eines aus vielen Stücken bestehenden Pfeilers und einer Mauer statt, wie man sich leicht
durch Versuche überzeugen kann. Darum wird denn auch in der Wirklichkeit die Stabilität
durch die zunehmende Höhe so sehr verringert, während unbegreiflicher Weise bis in die
neuesten Zeiten eine Stabilitäts-Theorie gäng und gebe war, wonach im Widerspruch mit
aller Erfahrung Mauern von gleicher Dicke gleiche Stabilität haben sollten, wenn auch die
Höhen dieser Mauern sehr verschieden waren.
Die eben erwähnte Ausbiegung, welche schon unten am Boden beginnt, aber besonders
nach oben, wo eine Seiten-Kraft die Mauer oder den Pfeiler umzuwerfen strebt, mehr
zunimmt, und welche natürlich um so augenfälliger ist, je schlanker die Mauer oder der Pfeiler
ist, entsteht aus der (im Verhältniss zu den wirkenden Kräften) nur geringen Cohäsion des
Mörtels. Derselbe wird wohl kaum bei hohem Alter in solchem Grade bindend, dass eine
Mauer nur als ein Stück zu betrachten wäre. Und als zweite Ursache möchte ich selbst die
Elasticität annehmen, welche sogar den für unelastisch geltenden Körpern, also dem Mörtel,
dem Backstein etc. nicht gänzlich fehlt, wie unter andern auch das Erzittern hoher Thürme
beim Läuten der Glocken beweist.
Wenn man demnach Stabilitäts-Theorien erhalten will, welche mit den unumstösslichen
Erfahrungen übereinstimmen sollen, so muss man namentlich beim Hochbau die Mauern,
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