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Huizinga, Johan
Herbst des Mittelalters: Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. u. 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden — München: Drei-Masken-Verl., 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.49575#0202
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182

ELFTES KAPITEL

Geist den Tod von keinem anderen Gesichtspunkt aus sehen können
als nur von dem der Vergänglichkeit.
Drei Themata waren es, die die Melodie für die nie ausgesungene
Klage über das Ende aller irdischen Herrlichkeit lieferten. Es gab
erstens das Motiv: wo sind sie alle geblieben, die früher die Welt mit
ihrer Herrlichkeit ausfüllten? Dann gab es das Motiv der schaudern-
den Betrachtung der Verwesung alles dessen, was einmal menschliche
Schönheit ausmachte. Schließlich das Motiv des Totentanzes, der Tod,
der die Menschen mit sich zerrt aus jedem Beruf heraus, von jedem Alter.
Verglichen mit den zwei letzten Motiven und ihrem beklemmen-
den Grauen war das Motiv: wo blieb alle frühere Herrlichkeit? nur
ein leichter elegischer Seufzer. Es ist uralt und über die ganze Welt
des Christentums und Islams verbreitet. Es stammt schon aus dem
griechischen Heidentum; Kirchenväter kennen es; Byron wendet es
noch an1 2). Im späteren Mittelalter jedoch erlebt es eine Periode ganz
besonderer Beliebtheit. Man findet es in den schweren gereimten
Hexametern des Cluniazensermönchs Bernard von Morlay um 1140
angestimmt:
„Est ubi gloria nunc Babylonia? nunc ubi dirus
Nabugodonosor, et Darii vigor, illeque Cyrus?
Qualiter orbita viribus inscita (?) praeterierunt,
Fama relinquitur, illaque figitur, hi putruerunt.
Nunc ubi curia, pompaque Julia? Caesar abisti!
Te truculentior, orbe potentior ipse fuisti.

Nunc ubi Marius atque Fabricius inscius auri?
Mors ubi nobilis et memorabilis actio Pauli?
Diva philippica vox ubi coelica nunc Ciceronis?
Pax ubi civibus atque rebellibus ira Catonis ?
Nunc ubi Regulus? aut ubi Romulus, aut ubi Remus?
Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus'3)“.
x) Don Juan, c. 11, 76—80, vgl. C. H. Becker, Ubi sunt qui ante nos in mundo
fuere. Aufsätze Ernst Kuhn 7. II. 1916 gewidmet, p. 87—105.
2) Bernardi Morlanensis De contemptu mundi, ed. Th. Wright, The anglo-
latin satirical poets and epigrammatists of the twelfth Century (Rerum Britanni-
carum medii aevi scriptores), London 1872, 2. vol., II, p. 37.
 
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