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NtCOLAS POUSSIN
Gegensätze zu Bernini und der Entfaltung des Hochbarocks stehen und die
modernen Probleme auf ein an der Antike oder an Raffael und der Hoch-
renaissance gewonnenes Maß zurückzuführen sich bemühen. Es hat gewiß
auch tiefere Gründe, daß neben dem Franzosen Poussin und dem Vlamen
Duquesnoy in erster Linie Algardi und Sacchi zu jenen Künstlern gehört haben,
die um 1640 für Paris gewünscht worden sind. Auch Duquesnoys Freund
und Studiengenosse Micolas Poussin, in dessen Schaffen (dipendente dalF
antico e da Raffaelle) sich diese strengere Gesinnung in ihrer einseitig-
sten Eigenart ausprägt, gehört in diesen Kreis. Poussin hatte in seiner
ersten römischen Zeit zum Studium des Akts das Atelier Domenichinos
besucht, den er vor allen anderen Zeitgenossen verehrte. Hach Domeni-
chinos Fortgang nach Heape! (1631) aber hat er an den Akademien
in Andrea Sacchis Haus teilgenommen. Man zeichnete dort nach einem
der besten Modelle Roms, dem Caporal Leone, der berühmt war um des
lebendigen und natürlichen Ausdrucks willen, mit dem er die gestellten
Posen gab^). Der Italiener und der Franzose müssen trotz aller im natio-
nalen wurzelnden Verschiedenheit vielerlei Berührungspunkte gefunden
haben. Beide stehen abseits der dekorativen Bestrebungen der Zeit, ln
ihren Werken lebt ein verwandter Sinn für Gesetzmäßigkeit und Strenge
des Bildaufbaus. Beiden ist erste Forderung die Wiedergabe menschlicher
Passionen, Eigenart der Erfindung, klare Durchbildung einer ausdrucks-
reichen Aktion, die bis ins letzte auch der Einzelfigur Rechnung trägt. Die
Gedankengänge jener Francesco Lauri erteilten Lektion Sacchis bei Pascoli,
die sich mit „Handlung" und „Ausdruck" als den „vornehmsten und wesent-
lichsten Teilen" künstlerischer Darstellung beschäftigen und die Forderung
nach einer überlegten, von den Grundsätzen der „grazia" und des „decoro"
geleiteten unermüdlichen Beobachtung der Matur vertreten, führen im All-
gemeinen und Besonderen auf den Kreis Poussins und Belloris hin. Auch
Poussin galt die „azzione" als die Seele der Malerei, auch er berief sich
wie Sacchi auf die Regeln und Lehren der antiken Rhetorik, auf Quintilian,
auf Cicero und Demosthenes, auch bei ihm beruht die Vollkommenheit des
Kunstwerks wie bei der oratorischen Leistung auf dem harmonischen Ver-
hältnis der Teile zum Ganzen. Beziehungen zu den Idyllen von Sacchis
Lehrer Albani lassen frühe römische Arbeiten Poussins vermuten, und
gemeinsame Verehrung der Kunst Raffaels und Domenichinos verbinden
den Franzosen mit dem römischen Maler. Der Italiener wiederum hat z. B.
h Passeri, Vita di Nicotö Pussino, 352.
NtCOLAS POUSSIN
Gegensätze zu Bernini und der Entfaltung des Hochbarocks stehen und die
modernen Probleme auf ein an der Antike oder an Raffael und der Hoch-
renaissance gewonnenes Maß zurückzuführen sich bemühen. Es hat gewiß
auch tiefere Gründe, daß neben dem Franzosen Poussin und dem Vlamen
Duquesnoy in erster Linie Algardi und Sacchi zu jenen Künstlern gehört haben,
die um 1640 für Paris gewünscht worden sind. Auch Duquesnoys Freund
und Studiengenosse Micolas Poussin, in dessen Schaffen (dipendente dalF
antico e da Raffaelle) sich diese strengere Gesinnung in ihrer einseitig-
sten Eigenart ausprägt, gehört in diesen Kreis. Poussin hatte in seiner
ersten römischen Zeit zum Studium des Akts das Atelier Domenichinos
besucht, den er vor allen anderen Zeitgenossen verehrte. Hach Domeni-
chinos Fortgang nach Heape! (1631) aber hat er an den Akademien
in Andrea Sacchis Haus teilgenommen. Man zeichnete dort nach einem
der besten Modelle Roms, dem Caporal Leone, der berühmt war um des
lebendigen und natürlichen Ausdrucks willen, mit dem er die gestellten
Posen gab^). Der Italiener und der Franzose müssen trotz aller im natio-
nalen wurzelnden Verschiedenheit vielerlei Berührungspunkte gefunden
haben. Beide stehen abseits der dekorativen Bestrebungen der Zeit, ln
ihren Werken lebt ein verwandter Sinn für Gesetzmäßigkeit und Strenge
des Bildaufbaus. Beiden ist erste Forderung die Wiedergabe menschlicher
Passionen, Eigenart der Erfindung, klare Durchbildung einer ausdrucks-
reichen Aktion, die bis ins letzte auch der Einzelfigur Rechnung trägt. Die
Gedankengänge jener Francesco Lauri erteilten Lektion Sacchis bei Pascoli,
die sich mit „Handlung" und „Ausdruck" als den „vornehmsten und wesent-
lichsten Teilen" künstlerischer Darstellung beschäftigen und die Forderung
nach einer überlegten, von den Grundsätzen der „grazia" und des „decoro"
geleiteten unermüdlichen Beobachtung der Matur vertreten, führen im All-
gemeinen und Besonderen auf den Kreis Poussins und Belloris hin. Auch
Poussin galt die „azzione" als die Seele der Malerei, auch er berief sich
wie Sacchi auf die Regeln und Lehren der antiken Rhetorik, auf Quintilian,
auf Cicero und Demosthenes, auch bei ihm beruht die Vollkommenheit des
Kunstwerks wie bei der oratorischen Leistung auf dem harmonischen Ver-
hältnis der Teile zum Ganzen. Beziehungen zu den Idyllen von Sacchis
Lehrer Albani lassen frühe römische Arbeiten Poussins vermuten, und
gemeinsame Verehrung der Kunst Raffaels und Domenichinos verbinden
den Franzosen mit dem römischen Maler. Der Italiener wiederum hat z. B.
h Passeri, Vita di Nicotö Pussino, 352.