Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Posse, Hans
Der römische Maler Andrea Sacchi: ein Beitrag zur Geschichte der klassizistischen Bewegung im Barock — Italienische Forschungen, Neue Folge, Band 1: Leipzig, 1925

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34605#0171
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
RAFFAEL / DOnEN!CmNO

139

Figurenverteilung besitze. Er nennt den „edlen und eleganten" Raffael „die
Regel selbst", man vermisse bei ihm nichts als den großen malerischen
Vortrag der Lombarden^). In der monumentalen Wandmalerei, im Historien-
bild, der Gestaltung des großen Altargemäldes führten schließlich alle Spuren
auf ihn zurück. Die vatikanischen Stanzen sind die „Akademie" eines großen
Teiles der jungen Künstlerschaft gewesen. Vor allem die später entstan-
denen Fresken wie die „Vertreibung Heliodors" und die „Begegnung Leos 1.
mit Attila" waren unbestrittene Vorbilder des großen Stils historischer
Schilderung, Muster einer reich akzentuierten, zu einem dramatischen Höhe-
punkt ansteigenden eindringlichen Aktion, bewunderungswürdig im Reich-
tum und der Wucht der Bewegung, der monumentalen Raumwirkung. !n
Raffaels reifsten Schöpfungen, den Entwürfen für die vatikanischen Tapeten,
schienen Form und Inhalt eine letzte Klarheit und Konzentration empfangen
zu haben. Allen Vorwürfen einer „maniera statuina" zum Trotz war die
wunderbar feierliche „Messe von Bolsena" in ihrer vollen farbigen Klang-
wirkung die Schöpfung eines begnadeten Malers, der hier dem venetianischen
Stil sehr nahe kam. Aus Venedig und Parma zurückgekehrt hat Sacchi
nach Belloris Bericht in den Stanzen des Vatikans „Tizian und Correggio
und, was noch mehr sei, Raffael wiedergefunden". Denn auch keiner der
großen Vorgänger erschien vielseitiger als dieser, ln Raffaels reifen Schöp-
fungen fanden Poussin und seine Gesinnungsverwandten die gesetzmäßige
Klarheit der Aktion in rythmisch anschwellender Steigerung, jenen harmo-
nischen Ausgleich zwischen Tiefraum und Bildebene und die knappe Relief-
mäßigkeit der Darstellungsform, die mit den bewunderten Werken der an-
tiken Meister in Einklang zu stehen schien. Schon 1607 hatten Lanfranco
und Badalocchi ihrem Meister Annibale (offenbar in Erinnerung an dessen
Lehren) die Radierungen nach der „Bibel Raffaels" in den vatikanischen
Loggien gewidmet, um in seinem Sinn diesen Schatz an Inventionen in alle
Welt zu verbreiten. Man hat den Urbinaten als den ersten unter den Heueren
geschätzt um des Reichtums und der Größe seiner Erfindungen willen und
vor allem als den vielseitigsten und feinfühligsten Psychologen in der Beob-
achtung und Wiedergabe des Ausdrucks der Seelenregungen.
Sacchi soll einmal vor den Fresken Domenichinos in S. Luigi de' Fran-
cesi zu seinem jungen Schüler Maratti die Äußerung getan haben, daß diese
Malereien, in die vatikanischen Stanzen versetzt, sich recht wohl neben
Raffaels Werken ausnehmen möchten, und wenn wirklich an ihnen etwas

*) Tagebuch des Herrn von Chantelou, München 1919 (bearb. von H. Rose), 196, 271,299.
 
Annotationen