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Posse, Hans
Der römische Maler Andrea Sacchi: ein Beitrag zur Geschichte der klassizistischen Bewegung im Barock — Italienische Forschungen, Neue Folge, Band 1: Leipzig, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.34605#0180
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ZUSAMMENHÄNGE MIT DER KLASSISCHEN TRADITION

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Schüler Francesco Lauri wieder: „semplice e naturale", das sich gegen
alle Übertreibung in die Extreme, im realistischen wie im idealistischen
Sinne richtet. „Hinweg mit den gezwungenen Gesten und Bewegungen,
die Tänzern und Komödianten nachgebildet scheinen"! Bei aller offenbaren
Schätzung des großen Dramatikers Caravaggio vermeidet Sacchi doch die
Konsequenz seines Verismus. Er wendet sich gegen die unitalienische Auf-
fassung seiner Nachfolger und der Bamboccianten, die nach Sacchis echt
italienischer Vorstellung die Würde der hohen Kunst schänden. Die Sach-
lichkeit seiner Auffassung spricht besonders aus den Bildnissen, denen
jede Pathetik, die lebhafte Handlung und jene Steigerung ins Heroische
abgeht, wie sie Bernini zur Forderung erhoben hat. Nie begegnet man in
seinen Bildern jenem bei den Zeitgenossen gangbaren Ausdruck von Schwär-
merei und Verzückung, jenem Hingerissensein wie in Berninis hl. Theresa,
sondern dem gehaltenen Ausdruck intimer Seelenregungen, feierlichem Ernst.
Keines seiner Werke enthüllt stärker das Wesen dieses Künstlers als die
„Vision des hl. Romuald" mit ihrer stillen natürlichen Einfachheit und Würde
oder der „Transito di S. Anna", in dem Ausdruck, Komposition, Beleuchtung und
Farbe zu einer ungewohnt zart empfundenen Einheit zusammenklingen. Selbst
eine drastisch bewegte Darstellung wie die „Enthauptung johannis des Täufers"
im Lateransbaptisterium, deren Verismus der Schilderung im Licht einer
Fackel Caravaggios oder des Gherardo delle Notti würdig wäre, empfängt
durch das strenge Linienspiel des Aufbaues und die Zuspitzung des Vorgangs
auf die lichtfarbige Erscheinung Salomes ihren maßvollen Charakter. Alle
kompositionellen Elemente dienen der Verdeutlichung einer klaren ausdrucks-
reichen Handlung. Nur selten trifft man auf einen Schematismus des for-
malen Gefüges, auf die akademischen Formeln, die schon in der Carracci-
schule gebräuchlich geworden sind, ln stets neuen Variationen ist die Kom-
position einer originellen Idee, einer geistreichen Invention angepaßt und auf
eine den Gegenstand beherrschende sprechende Geste, den flüchtigen Aus-
druck eines Antlitzes zugespitzt, die durch eine eigenartige Beleuchtung oder
die Akzentuierung durch einen pikanten Farbenfleck ihre Bedeutung emp-
fangen. ln echt barockem Sinn beruht der Bildausdruck auf dem Spiel der
Kontraste. Aber immer ist dieser Maler auf einen Ausgleich und eine Kon-
zentration der Gegensätze bedacht, nicht nur durch die klassische Vertikale
und Horizontale, die z. B. in Domenichinos und Poussins Kunst die Grund-
lage des Aufbaues bildet, sondern durch ein sehr feinfühliges Auswägen
der Massen und Bewegungsrichtungen und vor allem der Farbe, die bei
ihm eine wichtige Rolle spielt, zu geschlossener Bildwirkung. Denn auch
io*
 
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