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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 19.1871

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No. 11
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feinen besten Sachen, Silberzeug re. nach Straßburg hinein, zu Ver-
wandten, wie sie's hier überall gethan haben, weil sie dummerweise
glaubten, Straßburg biete die größte Sicherheit. Nun ist der Mensch
wie geistesabwesend, steht den ganzen Tag am Fenster und horcht auf
jeden Schuß." — —
Die Nacht war hercingebrochen, ehe wir nach Wendcnheim, dem Kno-
tenpunkt, wo die paris-straßburger Bahn sich mit der weißenburg-straßburger
Bahn kreuzt, kamen.
Hier war zugleich mein Ziel, denn von hier aus allein konnte ich
unsere die Festung cernirende Armee erreichen. Mein Gepäck brachte ich
auf dem Bahnhofskommando unter, nnd dann schloß ich mich an einen
preußischen Feldjäger und an einen badischen Offizier au, die Beide sich
die Belagerung in der Nähe besehen wollten, was sie um so leichter
thun konnten, als der Zug, der uus gebracht hatte, vorläufig nicht wei-
ter ging.
Nach dem Weg brauchten wir nicht zu fragen, denn wäre es auch
dunkel gewesen, der entsetzliche Feuerschein am Himmel, der wie der Aus-
bruch eiues Vulkans anzusehen war, hätte uns schon die Richtung gezeigt,
in der die arme, dem Untergang unrettbar geweihte Stadt lag. So
aber schien überdieß der Mond hell am Himmel, und die große Chaussee,
die von hier aus gerade auf Straßburg zulief, war nicht zu verfehlen.
In Wendenheim mar rechts und links neben der Chaussee ein großes
Vivouak von Mannschaften, die zur Verstärkung der Belagerungsarmee
einrückten, ein Bild, das uns unter anderen Umstünden wohl gefesselt
haben würde, denn das bunte Leben um die hohen Feuer hat für mich
immer einen unsagbaren Reiz. Heute aber rief uns Ernsteres, und so
giug's denn rüstig vorwärts. Kaum eine Viertelstunde vom Ort stieg die
Straße etwas, und hier sahen wir denn ganz deutlich, wie ans dem Dunkel
der weiten Landschaft fort und fort Blitze ausznckten, denen unmittelbar
der Donner folgte. Alle diese Blitze wurden auf die unglückliche Stadt
geschleudert, alle diese Donner grollten gegen Straßburg, dessen Braud
immer größere Dimensionen annahm, je weiter wir vorgingen. Die Festung
selbst antwortete auf die Schüsse, von denen mehrere auf die Minute kamen,
fast gar nicht.
Jetzt sahen wir rechts von der Straße ein Dorf, es war das als
Hauptquartier ost genannte Mundolsheim, dann lag links ein zweites,
ich glaube, man nannte es uns Suffelweiershcim, hier waren wir schon
in den Vorposten und wurden angerufen, und weil ohne Losungswort, zu
der Wache gebracht; der wachhabende Offizier war so liebenswürdig, uns
einen Besuch der ersten Parallele zu gestatten, sagte aber, daß wir natür-
lich auf unsere eigene Verantwortung gingen, er wolle uns gewarnt haben,
da man feindlicherseits häufig Nachts Ausfälle mache. Er gab uns
einen Mann zur Führung mit und so gelangten wir denn auch bald in
die erste Parallele.
Hier trafen wir eine Abtheilung preußischer Landwehr, die wir erst
vorüber lassen mußten. Ich knüpfte mit einem der Leute, die noch auf
ihreu Offizier warteten, ein leises Gespräch an, denn Lautreden war uns
schon beim Eintritt untersagt.
Der Mann, seines Zeichens ein Möbclschreiner, war von dem Dienst
sehr wenig erbaut. „Sehen Sie, unser Regiment allein hat über sieben-
tansend Kinder zu Haus, und wir müssen uns hier in den modrigen
Laufgräben unsere Gesundheit ruiniren. Ich habe daheim zehn Gesellen
in meiner Werkstatt und soll hier in der Erde herumbuddeln. Das ist
doch wahrhaftig kein Dienst für die Landwehr, da hätten sie sollen die
Linie herschicken.".
Der jetzt herbcikommende Offizier und der damit erfolgende Aufbruch
der Truppen schnitt das Gespräch ab und die Leute zogen fort an ihre
nächtliche Arbeit.
Wir aber marschirten noch ein Stück den Laufgraben entlang und
suchten uns dann ein etwas erhöhtes Terrain, um von dort aus die ganze
Landschaft bestmöglichst übersehen zu können; der uns begleitende Soldat
zeigte uns ein für unsere Zwecke sehr günstig gelegenes Terrain hart an
der Parallele, aus der wir jetzt herauskletterten.
Ich erschrak ordentlich vor dem grellen Feuerschein, dem wir jetzt so
nahe gekommen waren, daß wir drei dieser großen Flammen aufzüngeln
sehen konnten. Der eigentliche Herd des Feuers war uns verdeckt durch
andere Baulichkeiten, vielleicht durch die Maueru der Festung selbst, aber
um so besser sahen wir die furchtbare Glut, von der sich hin und wieder-
einzelne Flammenballeu ablösten und weit wegslogen. Es brannte nicht
sehr weit vom Münster weg, denn ich konnte den stolzen Bau ganz deut-
lich durch meinen Feldstecher sehen, und die wechselnde Beleuchtung, die
bald das Zackcnwerk des stolzen Thurmes in Flammenglut tauchte, bald
wieder in tiefem Schatten sich am glühenden Nachthimmel abzeichnen ließ,
war unbeschreiblich schön.
Der Feldjäger machte mich darauf aufmerksam, daß das Dach des
Münsters selbst vollständig zerstört sei, denn man sähe ganz deutlich das
Sparrcnwerk in die Luft hinansragen; einmal glaubte ich auch, dieß ge-

sehen zu haben, dann sank aber Alles schnell in die Dämmerung zurück,
so daß ich nicht gerade darauf schwören möchte.
Es war so seltsam, der Brand stammte ruhig weiter, wie wenn es
ein elementares Feuer oder ein Nordlicht wäre, kein Geräusch, nichts von
dem Lärm, wie Glockenläuten, Trommeln oder dergleichen, wie dieß doch
sonst von Feuersbrünsten unzertrennlich ist, ließ sich hören, nur hin und
wieder war's, wie wenn etwas im Brande selbst explodire.
„Sie haben das Löschen längst ausgegeben," sagte unser Soldat, „weil
fort und fort die Granaten auf's Neue einfallen und das Löschen gefähr-
licher wäre, wie der Brand selbst. In der ersten Zeit waren sie flott
dabei, wenn's irgendwo zündete, und dann machten sie auch noch ein
Mordspektakel mit Trommeln und Trompeten und Glockenläuten. Seit
vierzehn Tagen lassen sic's aber ruhig brennen und denken nicht mehr
an's Löschen."
„Hat es denn öfter gebrannt?" fragte ich naiv.
„Es brennt beständig," sagte der Soldat gleichmüthig, „denn wir
werfen ja alleweile Brandgranaten hinein, namentlich seitdem sie muth-
willigerweise Kehl in Brand geschossen haben. Bei der Nacht sieht man's
aber besser wie am Tage. Sehen Sie, alleweile platzt gerade wieder eine
Granate mitten im Brand drinnen, da soll der Teufel löschen."
Er hatte Recht, es war wieder eine Explosion, und dießmal flogen
die Funken, ja die ganzen Brände zum Nachthimmel empor.
Es war ein furchtbar schönes Schauspiel, so überwältigend schön, daß
ich mir selbst die größten Vorwürfe machte, daß ich dabei gar nicht an
die Acrmsten dachte, deren Hab und Gut brannte und die doch nicht
löschen konnten, weil fort und fort der Tod in seiner furchtbarsten Gestalt
sie bedräute. Meine Gefährten machten mich noch auf die Beschießung
selbst aufmerksam, und der Mond hatte sich hinter dichten Wolken verbor-
gen, als sei er cs müde, all' die Greuel, die Menschen gegen Menschen
verübten, ferner zu bescheinen. Mit seltener Regelmäßigkeit zuckten rund
um in der tiefen Dämmerung ans der gestaltlos ineinander fließenden
Landschaft die Blitze ans, die ankündigten, daß wieder ein neuer Todes-
uud Vernichtungsbote in die unglückliche Stadt geschleudert werde. Welch'
ein unheimliches Leben zog da seine Kreise um das arme Straßburg, wie
viele Hände regten sich da in der tiefen Nacht, alle, alle zum Werke der
Vernichtung!
Jetzt erst, je länger ich hineinsah in den furchtbaren Brand oder in
die tiefe Nacht ringsum, je mehr kam mir das Bewußtsein des grenzen-
losen Elends, das hier Menschen über andere Menschen brachten. Ich
sah die Weiber und die Kinder, wie sie in den Kellern zusammenkauerten,
hungernd, frierend, verzweifelnd an Gott. Ach, die Acrmsten, sie hatten
ja nicht einmal Thränen mehr, die heißen, brennenden, geschwollenen
Augen waren längst trocken geworden in den ersten Wochen, wo sie ge-
glaubt, ihr Elend sei schon so groß, daß es nicht mehr wachsen konnte,
wo sie aber noch hofften, hofften auf Entsatz durch ihre siegreiche Armee,
hofften auf die Milde und das Erbarmen der Belagerer, hofften auf Gott,
der ein Wunder senden würde, um sie zu rcttcu. Ach, so lange sie noch
hoffen konnten, flossen die Thränen noch, jetzt hofften sie nicht mehr und
weinten nicht mehr; in stumpfer, dumpfer Verzweiflung erwarteten sie das
Ende. Ich sah die Männer, wie sie Rache brütend in die Flammen starr-
ten und, in ohnmächtiger Wuth die Fäuste ballend, ihre Vaterstadt, ihre
geliebte, schöne, theure Heimat langsam, aber mit furchtbarer Sicherheit in
Schult und Asche sinken sahen.
Ach, sagt mir nicht, daß das Alles nöthig war. Es ist möglich, daß
die finsteren, unbarmherzigen Gesetze des Krieges den Untergang der
schönen Stadt gebieterisch heischten; nie aber wird Der, dessen Herz auf-
richtig für Menschenwohl schlägt, diese Gesetze begreifeu, billigen können.
Ihr wollt diese Stadt, die ihr eine deutsche mit Fug und Recht nennt,
eine Stadt, die mit tausend Banden an unsere Geschichte, an unsere Dicht-
kunst, an unsere Liebe gefesselt ist, wieder zurück habeu, sie soll künftighin
ein Bollwerk Deutschlands sein, wie sic jetzt ein Bollwerk Frankreichs war;
nun gut, dann schießt erst das alte Straßburg gauz zusammen und baut
eiu neues euch wieder auf, sorgt aber, daß keiner von den alten Einwoh-
nern der Stadt mehr lebt, um die ucue zu bewohnen, denn wenn nnr
ein Kind noch übrig bleibt, das diese Schreckenstage schon mit Bewußtsein
erlebte, so werdet ihr diesem neuen Straßburg nie deutsche Gesinnungen,
nie Liebe zum neuen Vaterlande beibringen können, denn ich habe nie ge-
hört, daß man Liebe mit Granaten predigt und Anhänglichkeit an das
Vaterland mit Bomben den Leuten einimpft.-
Wer weiß, wie lange ich so meinen bitteren Gedanken nachgchangcn
hätte, wenn es nicht ganz plötzlich bei uns lebendig geworden wäre. Es
blitzte nämlich auf einmal gleich oberhalb, wo der Laufgraben einen Win-
kel machte, auf, wir hörten lebhafte Salven von Kleingewehrseuer, Trom-
meln und Signale.
„Alle Wetter, die Kerls machen schon wieder einen Ausfall!" sagte
unser Begleiter, und meine Gefährten freuten sich, so apropos gekommen
zu sein. Aus dcr ganzen Linie wurde es jetzt aber rundum lebendig.
 
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