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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 29.1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.56963#0009
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Die „Donna Anna".
Roman
von
Wosenlhak-Aonin.
(Nachdruck verboten.)
Erstes Kapitel.
Wenn man die mit, eiligen, geschäftigen Menschen er-
füllten Straßen Rotterdams, wo die altcrthümlichcn, spitzen,
bogcngicbligen Häuser mit modernen Firmenschilden über-
sät sind, durchwandert hat, so gelangt man in ruhigere
Quartiere, in welchen große Magazinsbauten stille, weite
Wasserbecken umgeben, auf denen Schisse lagern, deren
riesige, hoch cmporragende Rümpfe hier mit Waaren
aller Art vollgefüllt, dort von diesen
entlastet werden. Geht man dann
noch weiter, so tauchen aus großen,
grünen Ebenen unzählige Fabrikschorn-
steine auf, zu welchen Kanäle sich hin-
ziehen, auf deren schwärzlich stiller Flut
lautlos Schiffe gleiten) zwischen den
rauchenden Schloten erblickt man hie
und da prächtig grüne Bäume und
Buschwerk, den lebendigen Schutzwall
eleganter Landhäuser, die, in schnörkel-
haftem Baustyl aufgeführt und mit
weithin blitzenden vergoldeten Drachen
als Wetterfahnen verziert, der hollän-
dischen Landschaft den so eigenartigen
Eharakter verleihen. An den Kanälen
liegen aber auch schmucke, einfachere
Häuser, in denen zur Ruhe gesetzte
SchisfSkapitänc, oder die Familien sol-
cher, die noch aus dem Meere umher-
fahren, wohnen.
Ein derartiges niedriges, hübsches,
mittelgroßes Haus, mit vergoldetem
eisernem Gitter umgeben, ist das Ziel
unserer Wanderung. Durch ein über-
aus sauber gehaltenes Gärtchen gelangt
man in einen steinernen Hausflur, der
vier Thüren zeigt, gleich rechts hören
wir reden und treten unsichtbar ein.
Das Zimmer ist echt holländisch sauber.
Ein "weißer Lcinwandbezug überdeckt
den Bodenteppich, das große, auffallend
breite Fenster verhüllt eine schneeweiße
Gardine, die mit bunten. Blumen und
ausländischen Bögeln in Oelfarbe be-
malten Wände sind kaum sichtbar vor
den sehr alterthümlichen, mit alten
Porzcllantasscn und -Tellern ausstafsir-
tcn Schränken) die eine Seite des Zim-
mers wird eingenommen von einem
großen Kamin, dessen Bekleidung aus
sehr großen messingenen Löwcnköpfen
und bunten, glänzenden Steinsliesen zu-
sammengesetzt ist. — Am Fenster dieses
Gemachs steht eine hochgewachsene Dame
und schaut beharrlich aus die fernen
Wipfel der Maasschisfe. In der Nähe
des Kamins sitzt, auf seinem gewohn-
ten Platze, ein untersetzter Mann, dessen
breiter Nacken einen echten, wetterge-
bräunten Kapitänskopf trägt.
Er speit nach echter Schifscrart in

gemessenen Pausen, aber erregter als sonst in die Asche des
Kamins und richtet dann die vogelscharfcn, hellgrauen
Augen ungeduldig auf die Dame am Fenster. „Es sollte
zwischen Vater und Tochter doch mehr Einstimmigkeit herr-
schen, Gesine," sprach er jetzt halblaut mit rauher Stimme.
„Wenn Du etwas Gutes willst, werde ich Dir nie
entgegen sein," erwiederte die junge Dame.
„Was will ich Böses?" frug jetzt mit einem mürrischen
Blick aus den scharfen Augen der Vater, „ich möchte ja
nur, daß Du zu dem schwarzen Burschen ein wenig freund-
lich wärst — wer denkt denn an etwas Weiteres?"
„Das ist es eben," entgegnete die Tochter, noch immer
keinen Blick von der sonnig nebligen Ferne wendend. „Er
ist zwar nur ein Neger — aber ich mag auch bei diesem
nicht als Mittel zur Täuschung dienen. Es ist Deiner
und auch meiner unwürdig, auf solche Weise einen Men-
schen au das Schiff zu fesseln."

„Der Schwarze ist der beste Steuermann, den es gibt,"
brummte zornig der Kapitän. „Er dient mir fast um
Nichts und was ich in Alexandrien für ihn zahlte, um ihn
von einem Schuldverhältniß, das gleichbedeutend mit jahre-
langer Knechtschaft gewesen, zu retten, hat er in den sechs
Jahren, die er jetzt auf dem ,Schwaw ist, längst abge-
arbeitet. Ich bekomme nie eine Kraft wie diese wieder."
„Er ist ein unheimlicher Mensch, Vater — er scheint
mir wie der böse Geist des Schiffes. — Er bringt Dir
sicher kein Glück."
„Er ist ein Schwarzer, darum erscheint er Dir un-
heimlich, er ist mein Diener und Werkzeug und der Geist
des Schwans bin ich," erwiederte der Kapitän. „Der
Schwarze ist ein Narr, weil er sich in Dich vergafft hat,
er ist ein echter, rechter Tollhausnarr, aber wenn diese
Narrheit, die seinem harten, schwarzen Schädel nichts schadet,
mir nützlich und geivinnbringend ist, warum soll ich das
Seil, an dem ich diesen Menschen
führen kann, nicht in der Hand be-
halten ?"
„Aber ich mag meine Freundlichkeit
auf diese Weise nicht als falsche Münze
gebrauchen lassen. Mein Lächeln soll
nicht der Köder für diesen schwarzen
Teufel sein. Ich begreife nicht, warum
Du, der sonst so stolze, unnahbare
Kapitän van Heeren, der seine Schiffs-
leute bisher nie anders denn als eine
Kraft, die er bezahlt, behandelt hat, und
die er wegwirft, wenn er sie nicht
mehr braucht — diesen schwarzen Bur-
schen so an Dich gezogen hast, ihn so
zuvorkommend und nachsichtig, ja fast
freundschaftlich behandelst. Du mußt
etwas Anderes mit diesem Menschen
noch vorhaben — Du liebst mich, das
weiß ich, und nur um Dir einen Steuer-
mann billig zu halten, läßt Du nicht
Deine Tochter ihr Lächeln so verwer-
then."
„Ich bin nicht reich," warf der
Kapitän rauh und finster ein, „ich
habe große Verluste gehabt — während
ich nach Singapore unterwegs war, ist
das Turbantuch um die Hälfte im
Preise gefallen — die Ladung war auf
meine Rechnung und ich habe vicrmal-
hunderttausend Gulden verloren. Es ist
dieß nicht der erste Unglücksfall in den
letzten Jahren. Wir können keinen
Stein in unserem Besitzthum unser eigen
mehr nennen," stieß der Kapitän in
zorniger Erregtheit hervor.
„Ich will mich einschränken, Vater,
wir können den Gärtner und den
Diener entlassen. Wir können ja auch
die für uns leicht entbehrlichen Gemälde
in unserem Stadthause verkaufen, Du
sagtest, der Hobbema allein sei zwanzig-
tausend Gulden werth."
„Schweig, sprich nicht so laut!" rief
der Kapitän, tiefroth das braune Gesicht,
vom Stuhle aufspringend. „Rühre nicht
daran," fuhr er drohend fort. „Hüte
Dich, irgend Jemand auf der Welt
merken zu lassen, daß wir nicht mehr
stehen wie früher. Es geht sonst nicht
gut!" Und aus dem starren, festen
Gesichte van Heeren's funkelten seltsam,


— ie „lvonna Anna". Der Gürlitkr richtete «len Osmmiichn'gea auf. (S. 2.)

Ällujtr. Welt. XXIX. I.
 
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