Die „Donna Anna"
Roman
von
Aosenthak-Wonin.
(Fortsetzung.)
Neunzehntes Kapitel.
Der Strom der Spaziergänger
und Geschäftsleute intercssirte ihn,
schien es, nicht, vielmehr das
Schaufenster eines Delikateßkellers
einer unterirdischen, eleganten Re-
stauration, der sehr verlockende
Hummern und Austern ausgestellt
hatte, ferner sehr dicke Bündel wei-
ßen Spargels und rothe Radieschen.
Herr Blomkist las: „WilkenS
Keller", und da er sich erinnerte,
daß diese Restauration einen großen
Ruf hatte, außerdem aber die
Hamburger Frühstückszeit, das
heißt, beinahe zwölf Uhr Mittags,
da war, so ging er die etwas steilen
Stufen hinab und bestellte sich bei
dem frackbeklcidetcn Kellner die
Wein- und Speisekarte, welche er,
wie auch dicß seine Gewohnheit
war, eines eingehenden Studiums
unterwarf. Es dauerte ziemlich
lange, bis der Holländer damit
fertig war, und als er endlich seine
Auswahl getroffen, hatten die
Kellner einen großen Respekt vor
dem hohen, militärisch aussehenden
magern Gast.
Herr Blomkist zeigte einen be-
wundernswürdigen Appetit und
eme außergewöhnliche Kenntniß in
Sachen der Kochkunst und Fein-
schmeckerei. „Diese geschmorten
Austern hätten keine Citrone, son-
dern Champignons haben müssen,"
sagte er mißbilligend zum Ober-
kellncr, — „die scharfe Citrone
tödret ja den zarten Austernge-
schmack, während Champignons,
— frische meine ich, keine einge-
machten, ihn erhöhen, stärken, —
bestellen Sie das dem Koch."
Jetzt verlangte Herr Blomkist
die Rechnung, und während diese
geschrieben wurde, überbrachte ihm
°erdiensteifrige Kellner die neuesten
Schiffsnachrichten, — Herr Blom-
"!t entfaltete das Blatt gcmüthlich
und warf einen Blick hinein —
Herr Blomkist ließ seinen Zahn-
^?cher, sein Cigarrenetui auf den
Aden fallen, denn vor seinen
stand d' leibhaftigen Blicken
„Gestern Morgen brannte die
onna Anna, Kapitän van Heeren,
in eor Anker gewesen und mit
cir/Amch versicherter Ladung von
" hunderttausend Thalern, auf
3llustr. Wein XXIX. 7.
dem Rückweg nach Rotterdam begriffen, auf der Höhe von
Wangeroog, etwa zehn Meilen von der Insel, vollständig
nieder. Die Mannschaft hat sich nach Spiekeroog gerettet.
Nach der Aussage des Kapitäns wie der Mannschaft hatte
ein plötzlich wahnsinnig gewordener Matrose, Paul Sivers
von Paris, das Schiff angczündet und sei dann, trotz aller
Anstrengungen, die man gemacht, ihn zu halten, über Bord
gesprungen und sofort versunken."
Herr Blomkist sprang auf, daß sein Stuhl hinter ihm
umfiel, er raffte das Geld zusammen, welches er auf seinen
holländischen Doppeldukaten herausbekommen hatte, schob
es ohne nachzuzählcn in die Tasche und verließ in etwas
seltsamer Haltung, wie die Kellner sagten, als hätte er eine
Gabel verschluckt, den Keller.
Er eilte in seine Wohnung im Hotel, ergriff krampf-
haft seine 'Hyazinthen und stellte sich an das Fenster.
„Jetzt sage mir Einer, daß cs
keine Vorsehung gibt," — rief er
fast laut — „da ist dieser Sivers
bei van Heeren, bei seinem Vater
— Beide wissen unzweifelhaft
nichts von einander, der Sohn ist
jedenfalls gleichsam im Versteck vor
den Behörden auf dem Schiff, der
Vater gibt dem Diamantendieb da,
ohne zu wissen, Untcrschlcif, und
dieser Sohn zündet, von plötz-
lichem Wahnsinn befallen, dem
Vater das Schiff an — ist das
keine Vergeltung, ist das keine
rächende Tragik des Schicksals?
— Da verläßt," fuhr Herr Blom-
kist in seinem Selbstgespräch fort,
„ein wilder, gewissenloser Mann
Frau und Kind, um einem an-
dern Weib nachzulaufcn. Er über-
läßt sic einfach dem Elende jahre-
lang , ohne sich um sie zu beküm-
mern, dann sprengt er Gerüchte
seines Todes aus, um eine Andere
zu hcirathcn, — kehrt ruhig in
sein Vaterland zurück und läßt
sich's wohl sein, und nach zwanzig
Jahren beherbergt er, ohne es zu
wissen, seinen Sohn, einen Dieb,
bei sich, einen Dieb und Wahn-
sinnigen und schließlich Brand-
stifter am eigenen Schiff seines
Vaters. — So werden die Sünden
der Väter heimgcsucht an ihren
Kindern und die Väter dadurch
aufs Furchtbarste bestraft. —
Samuel, alter Samuel Elmen-
reich, deine Gesetze, die ja auch
nur zu oft bei uns in Erfüllung
gehen, sind schreckliche Gesetze, und
dein Gott ein gerechter, aber
furchtbarer Gott, — und auch du
bist nicht schuldlos in diesem Laus
der Dinge." —
Herr Blomkist ging zum Hafen,
um dort Erkundigungen über das
Unglück einzuziehen, er traf den
Versicherungsagenten, welcher ge-
rade von Spiekeroog zurückge-
kommcn war und den er gut kannte.
„Merkwürdiger Fall da, Herr
Blomkist!" erzählte der Agent. —
„Wäre nicht van Heeren seit
dreißig Jahren aufs Beste bei uns
akkrcditirt, man könnte etwas sehr
Sonderbares vermachen. — Den-
ken Sie, die Anna ist herunter-
gebrannt bis auf den Spiegel, aber
von den sicbcnunddreißig mit fei-
nem Rheinwein gefüllten Fässern
sand sich eines unversehrt vor,
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Junge Kirgisin im Hochzeitsschmuck. (S. 158.)