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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 29.1881

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Sic mir, cm Mädchcn, das, wie ich, mit fünfzehn Jahren
in die Welt hinausgestoßen, Noch und Entbehrung preis-
gegeben war wie ich — kann sich nicht zur Gattin eines
edlen, hochgesinnten Mannes eignen!"
In mühsam beherrschter Aufregung hielt sie inne: ihre
zarte Gestalt erbebte vor zurückgehaltencm Schluchzen.
«Forisetzung folgt.,

Transatlantische Skizzen.
Von
vr. Mar Lortzing.
(Nachdruck verboten.1
Allerhand weltstädtische Gewerbe.
Auf einer Sommerwanderung durch die Cortskills, jene reizende
Gebirgslandschaft, die durch Washington Jrving's Rip van Winkle
in dessen Skizzenbuch berühmt geworden ist, hörte ich, als ich
mich einein Dorfe näherte, die melodischen Töne einer Drehorgel,
zu denen eine weibliche Stimme das ebenso schöne wie sinnreiche
Lied sang: «I-ueü on sciueation bas inz- ölarz- Lmu.» Eine
dichte Schaar umdrängte die herumziehende Musikantin, deren
Leierkasten auf einem mit zwei Neufundländern bespannten Karren
stand. Nachdem sie geendet, nahm sie eine Anzahl von Exem-
plaren des Liedes und verkaufte sie unter ihreni kunstsinnigen
Publikum, um den herrlichen Gesang «IVtro». Lmma» anzu-
stimmen und auch diesen wieder unter dem bäuerischen Auditorium
abzusehen. In der schönen Jahreszeit machen solche ambulante
Musikalienhändler und -Händlerinnen das Land, am erfolgreich-
'ten den Westen, unsicher, namentlich an Plätzen, die fern liegen
von Eisenbahnstationen und Postämtern und noch unbeleckt sind
von der Kultur.
Der Hauptsitz für den Verlag dieser sogenannten
8onxs», durch deren Verkauf viele Menschen ihren Lebensunter-
halt verdienen, ist New-Pork. Einer der Großhändler, der sein
Geschäft seit zwanzig Jahren betreibt, sagt, daß er allein mehr
als tausend Zeitungsstände, «stationsriss», und Peddler oder
Haustier versorge, Letztere bilden nicht weniger als achtzig Pro-
zent seiner Abnehmer. Die Kunden im Kleinhandel sind meist
junge Männer und Mädchen, die jene Lieder in den Varists-
iheatern gehört haben; das starke Geschlecht hat ein Faible für
komische Sachen, das zarte neigt zum Sentimentalen und Balladen-
artigen. Der Vorrath des Hausirers wechselt an Werth zwischen
vier und zehn Dollars. Sein Prosit ist bedeutend, denn er er-
hält einen Rabatt von vierzig Prozent und fordert an entlegenen
Plätzen im Far West oft weit mehr, als der gewöhnliche Detail-
preis beträgt. Manche Peddler wandern nur einige Monate und
kehren dann zurück, um ihr Lager zu ergänzen, andere bleiben
Jahre aus und finden es sehr einträglich, Cirkussen, Menagerieen
und Variötstruppen zu folgen. Diese stellen sich an den Märk-
ten, Dampffähren und Bahnstationen auf, Jene ziehen mit ihren
von der Schulter herabhängenden Kisten von Haus zu Haus, von
Dorfschenke zu Dorfschenke.
Die Nachfrage nach Kriegsliedern ist sehr gering und steigt
nur in den Zeiten aufgeregter politischer Campagne. Man zählt
jetzt ungefähr elftausend «keim)- 8imxs», von denen monatlich
mehr als fllnfzigtausend Exemplare abgehen, und schlägt einmal
ein neues Lied durch, dann werden davon nicht weniger als zwei-
tausend Exemplare pro Woche verkauft. Wer könnte aber auch
so wunderbaren lyrischen Leistungen widerstehen, wie «ölarp Xellv's
Leau», der die Gebieterin seines Herzens in folgender anmuthiger
Strophe schildert:
«luttls U»rv llsllz-,
äarlivx all in »II,
ölalcss artiHst»! Hövers
Oa öro»ä»»x, dass io öVall -p»
Die meisten «ksnnzr 8onAs» stammen aus den Variste-
theatern, und wenn einer derselben ungewöhnlich gefallen hat, so
wird mit dem Druck so lange gewartet, bis das Lied in den
weitesten Kreisen bekannt geworden ist, dann erst kommt es in die
Oeffentlichkeit und findet reißenden Absatz. Nicht wenige ver-
danken ihre Volksthümlichkeit beliebten Sängern und Sängerinnen,
andere wieder der politischen Situation, wie jetzt zum Beispiel, wo
die alten irischen Nebellenlieder überall erklingen. Einer jener
Volksdichter läßt seinen Helden die Welt im elegantesten Englisch
resormiren:
-Streets vnulcl de »II parsä vitti drstssls,
Sekveirer Iiass xrov on äer trees;
Ils'ä m»ks it » tioltä»x »Ivays
^oä peekts skoulä pake ok äsre e»se.
Ils'ä xive svery poor man bis rixbts.
Ils'ä Make tbs rieb kolbs sdell out,
Ils'ä Mak« »II äsm k»t dsedlss ttun
^llä map6 »II äsm tdin deedles staut.»
Ta der geneigte Leser dieses Kauderwälsch kaum verstehen
dürfte, so lasse ich hier die Uebersetzung in Prosa folgen. „Die
Straßen würden alle mit Bretzeln gepflastert sein und Schweizer
Köse wüchse auf den Bäumen; er (nämlich der Reformator) würde
nichts als Feiertage einsetzen, so daß alle Leute nach ihrem Be-
hagen leben könnten. Er gäbe jedem armen Mann seine Rechte
und verkaufte die Reichen aus, er machte alle Fetten mager und
alle Mageren wohlbeleibt."
Selbstverständlich find die Melodieen zu solchem Unsinn der
Hauptgrund seiner Popularität. Es gibt jetzt sogar ein «One-
^snt Sons ckournal-, welches in jeder Nummer etwa achtund-
Iwanfig ausgewählte Lieder bringt. Beliebte Gesänge verbreiten
mH mit Eisenbahngeschwindigkeit, ein solcher, der vor Kurzem in
-few-Pork veröffentlicht wurde, entzückte nach wenigen Tagen schon
uw rauhen Kanadier.
. 3etzt, wo der ungewöhnlich strenge Winter nur widerwillig
em ersehnten Frühling — wenn man die paar Tage, die bei
"ns den Uebergang in den heißen Sommer bewerkstelligen, über-
R nennen darf — zu weichen sich anschickt, treten auch die
ettlerkünstler ihre Wanderung an. Der italienische Orgeldreher
aus dem Winterschlaf erwacht und hat seine Walzen mit neuen
em Kleine Mary Kelly, lieb durch und durch, Kunstblumenmacherin
oroadway nahe Wallstreet.

Illustrirte Melt.

Melodieen gespickt, die Straßenmusikanten, meist germanischer Ab-
stammung, erscheinen wieder, neulich trat sogar eine gut geübte
Bande an in kleidsamer preußischer Jägeruniform, nur mit breiten
rothen Galons, und ob wohl auch er wiederkehren wird, der
lyrische Tenor mit einer Stimme und Phrasirung, die unbedingt
einem frühern Künstler von bedeutendem Ruf angehören rüuß,
der vielleicht dereinst auf den ersten europäischen Hofbühnen
! brillirte? Jetzt freilich, wenn er nicht mittlerweile dem Elend
und Trunk erlegen ist, singt er auf den Hinterhöfen des deut-
! schen Quartiers und die Dienstmädchen und Kinder lauschen gar
! andächtig, wenn er zu den Klängen seiner alten Guitarre ihnen
j „In einem kühlen Grunde" oder „Wenn ich zu meinem Kinde
' geh'" oder „Die Rosen blühen im Thale" vorträgt, wofür sie ihn
mit einem Lächeln und einem Cent beglücken. Und lebt er noch,
der einbeinige Kommunist, der, nachdem er das französische Revier
s durchsungen, nach „Kleindeutschland" übersiedelt, um mitten auf
! der Straße und ohne jegliche Begleitung die Marseillaise in die
! freien Lüfte Amerikas zu schmettern? Er lebt wirklich, denn in
diesem Augenblick höre ich sein altes «Normer les bataillons!»
Eine gewisse Verwandtschaft mit solchen Geschäftszweigen be-
sitzt ein anderes Gewerbe. Drüben aus der Westseite der City
wohnt in einem lauschigen Vorderzimmer eines respektablen Boar-
ding- oder Kosthauses ein Mädchen von zwanzig und einigen
Jahren mit ihrer jüngeren Schwester, einer Verkäuferin in einem
Modelnden. Wovon die Aeltere sich ernährt, das ist eine Frage,
die seit langer Zeit alle Hausgenossen beschäftigt, aber immer noch
nicht gelöst ist. Eine sehr ruhige Natur, kleidet sie sich immer
schlicht in Schwarz und ihr nach hinten zurückgestrichenes braunes
Haar verräth nichts mehr von seiner lockigen Anlage. Die braunen
Augen haben einen bescheidenen, fast schüchternen Ausdruck und
in der Unterhaltung ist sie offen, freimüthig, doch ohne sich vor-
zudrängen. Sie verläßt das Haus gewöhnlich um zehn Uhr des
Morgens und kehrt des Nachmittags um Fünf zurück, die Abende
verbringt sie regelmäßig auf ihrer Stube. Zuweilen geht sie tage-
lang nicht aus, höchstens ein wenig spazieren. Sie wohnt schon
Jahre hier und ist so allgemein beliebt, daß Niemand, mag er
auch noch so neugierig sein, es wagt, sich nach der Art ihres Er-
werbs zu erkundigen, übrigens zweifelt man gar nicht daran, daß
dieser ein redlicher und anständiger ist.
Im Grunde genommen ist sie weiter nichts als eine professio-
nelle Bettlerin. Sie wirkt für eine barmherzige Anstalt, die auf
den unbegrenzten Wohlthätigkeitssinn der Amerikaner rechnet und
eine Liste führt, in welcher eine große Anzahl der New-Porker
Geschäftshäuser verzeichnet stehen. Das Institut fällt einer Firma
oder einem Geschäftsmann nienials öfter lästig als einmal im
Jahre, und sobald sie oder er subskribirt hat, wird der Name für
die Zeit von zwölf Monaten von der Liste gestrichen. Man weiß
überraschend viel von den Verhältnissen und Eigenheiten dieser
Wohlthäter und ist sehr vorsichtig in der Wahl der passenden
Zeit für den Besuch. Zu einem Kohlenhändler beispielsweise
kommt man erst in der zweiten Hälfte des Winters, zu einem
Feuerwerkfabrikanten kurz vor dem ersten Juli, denn am vierten
ist die Feier der Unabhängigkeitserklärung, bei welcher ungezählte
Hunderttausende in die Luft geknallt werden. Man führt genau
Buch darüber, ob Mr. Soundso eine flotte Saison gehabt
hat, dann darf man hoffen, daß er freigebig zeichnet. Bei
Messens, White L Comp. thut man besser, nach dem jüngeren
Compagnon zu fragen und ihm auf möglichst harmlose Art mit-
zutheilen, daß Mr. Jones, sein Konkurrent, zweihundert Dollars
subskribirt hat. Mr. Dolittle muß man derb und kühn auf den
Leib rücken, wenn man aus ihm etwas herausguetschen will, wo-
gegen man Mr. Smith demllthig, fast auf Len Knieen rutschend,
zu nahen hat, soll er seinen Beutel ziehen.
Unsere junge Dame empfängt nun jeden Tag in der Anstalt,
für welche sie arbeitet, eine Liste Derjenigen, denen sie ihre Auf-
wartung machen soll, gewöhnlich sind es nicht mehr als sieben
oder acht Namen. Außcrd n führt sie auf ihren Ausgängen zwei
Bücher, das Subskriptionsbuch und ein anderes mit, in das sie
ihre Bemerkungen einschreibt. Ein junger Mann begleitet sie,
trägt ihr die Bücher, entwirft den Expeditionsplan, bezahlt die
nöthigen Fahrgelder und führt sie in ein Restaurant, wenn sie
hungrig ist. Die Subskribenten bekommen ihn niemals zu sehen,
er bleibt immer eine gemessene Strecke hinter ihr zurück und
händigt ihr, sobald sie in ein Haus tritt, das Subskriptionsbuch
ein. Ist ihr em Gang mißglückt, so schließt sie sich ihrem Ka-
valier an, nimmt ihm das andere Buch ab und vermerkt darin,
daß sie später einmal wieder kommen soll, daß der Herr gerade
knapp an Geld war oder wie die Entschuldigung nun gewesen
sein mag, mit der man sie vertröstete. Sie muß auf ihrer Ge-
schäftstour stets einfach, aber so anständig gekleidet sein, daß
Jedermann glaubt, sie wirke aus purer Nächstenliebe. Die Gelder
hat sie nicht einzukassiren, das thut ein besonders für diesen Zweck
Angestellter, und sie empfängt für ihre Bemühungen zehn Prozent
der von ihr extrahirten Beträge. Zuweilen hat sie längere Zeit
hindurch nichts zu thun, verdient im Ganzen genommen jedoch
die Woche fünfzehn Dollars
Es ist Ließ ein Geschäft, das im Geheimen betrieben wird,
der Erfolg Anderer beruht auf möglichster Oeffentlichkeit. Vor
einiger Zeit zum Beispiel erregte ein Franzose auf der Ostseite
der Stadt großes Aufsehen. Er trug eine Krone und war in
lange, königliche Gewänder gekleidet, fuhr in einer vierspännigen
Equipage und war von einem Musikkorps begleitet, das auf einem
auffallend geschmückten Wagen saß. Ueberall an der seltsamen
Prozession las man die Worte. «XinA ob ttis Oentists», König
der Zahnärzte Nach einem Triumphzuge durch die Bowery, die
man fast die deutsche Verkehrsader New-Porks nennen könnte, hielt
er auf einem leeren Bauplatze in einer der Seitenstraßen und
zog Jedem, der sich meldete, in seiner Karrosse unentgeltlich einen
Zahn aus, wie es den Anschein hatte, mit seiner Degenspitze oder
dem Ende seiner Peitsche oder auch einem Löffel, eine Prozedur,
die ihm natürlich einen ungeheuren Zudrang verschaffte. Nach
rasch und geschickt vollzogener Operation sprang einer seiner Be-
diensteten aus dem Wagen und verkaufte unter dem Publikum
eine Patentmedizin, die alle Krankheiten und Leiden kuriren sollte.
Wie man sich leicht vorstellen kann, machte er glänzende Geschäfte
und soll, einem On äit zufolge, den Zahnärzten New-Porks, so-
wie der umliegenden Städte so arg in's Handwerk gepfuscht
haben, daß sie ihm obendrein noch erkleckliche Summen unter der
Bedingung sofortiger Räumung des Platzes zahlten.
Bei der Censusaufnahme des Jahres 1880 hat man es auch
nicht übersehen, unsere New-Parker Gewerbszweige aller Art in
den Kreis der Statistik mit hineinzuziehen. Zu diesem Zweck
wurden sämmtliche Läden, Geschäfte, Fabriken, kurzum Alles, was

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in den weiten Rahmen des Wortes -sbop» paßt, besucht, wobei
die Höhe des Rohstoffs, des in der betreffenden Branche angeleg-
ten Kapitals, der ausbezahlten Löhne und Gehälter, der Erzeug-
nisse u. s. w. genau ausgenommen ward. Namen werden selbst-
verständlich nicht genannt, denn Ließ war die conckitio sino qua
non, und so wird denn das durch diese Diskretion ermöglichte
Werk — noch ist es nicht erschienen — von ganz außerordent-
lichem Interesse sein. Einiges habe ich indessen durch Privatmit-
theilung erfahren, ohne daß man mich durch einen Eid zum
Schweigen verband.
Unter Anderem fiel es den Censusbeamten auf, daß allgemein
eine so ungewöhnliche Nachfrage nach alten Stieseln und Schuhen
herrschte, doch hielt es schwer, hinter den eigentlichen Grund
dieser Erscheinung zu kommen. Unsere Lumpensammler, meist
italienischer Abkunft, wurden die aufgcgriffcnen schäbigen Fuß-
bekleidungen mit erstaunlicher Schnelligkeit los und zwar zu guten
Preisen. Allerdings gibt es hier Fabriken, die aus altem Leder
Berliner Blau Herstellen, doch konnte dieß unmöglich in so un-
geheurem Maßstabe geschehen. In New-Pork und Brooklyn wer-
den alljährlich etwa drei Millionen Paare alter Stiefel und
Schuhe auf die Straße geworfen. Früher blieben sie meist un-
berührt liegen, jetzt wandern sie unverzüglich in den Sack des
«Kux kiotzer». Nach sorgfältiger Erkundigung stellte es sich her-
aus, daß jene abgetragenen Artikel dreierlei Zwecken dienen.
Erstens wird dasjenige Schuhzeug, das noch nicht gänzlich invalid
ist, geflickt, befleckt, versohlt und anderweitig regenerirt, um dann
an Leute verkauft zu werden, Pie mit derartigen Maaren handeln.
Wie männiglich bekannt ist, laufen Viele den einen Stiefel jo
schief, daß er schließlich hoffnungslos verloren ist, und da können
sie sich denn in Trödlerbuden helfen, wo dem verwaisten Zwil-
lingsbruder ein Kumpan gegeben wird. Stiefel und Schuhe, bei
denen es sich einer Wiedergeburt nicht mehr verlohnt, schneidet
man in Stücke, um sie beim Repariren bevorzugterer Kameraden
zu verwenden. Was nun drittens als absolut nutzlos übrig
bleibt, daraus braut man — der freundliche Leser erschrecke nicht
— Jamaikarum, und zwar vermöge eines chemischen Prozesses,
der nur den Fabrikanten und Eingeweihten bekannt ist. Selbst-
verständlich dient das alte Leder nur dazu, dem Alkohol den
eigenthümlichen Rumgeschmack zu verleihen.
Da ich die Wahrheit dieser Angabe stark bezweifelte, so be-
suchte ich einen in der Nähe einer solchen Fabrik gelegenen
Branntweinladen und fragte, ob ich dort den aus abgetragenen
Stiefeln bereiteten Nektar haben könne. „Nein," entgegnete mir
der Barkeeper, „augenblicklich führen wir keinen, er ist zu sehr
im Preise gestiegen. Früher hielten wir ihn, und 'wenn Sie eine
Probe davon wünschen, so wollen wir sie Ihnen verschaffen." Wie
viel Paar Stiefel auf eine Gallone Rum gehen, vermochte ich
nicht in Erfahrung zu bringen.

Der KmMen, Mergketti's im Nogenpatast
zu, Äeimüg.
<BiIt> S. 512.1
Obgleich Venedig mitten im Wasser gelegen ist und seine
eigentlichen Verkehrsstraßen Kanäle sind, leidet die Stadt doch
an Wassermangel, weil Quellen fehlen Das Trinkwasser ist
Regenwafser, gesammelt meist auf den gewaltigen Dächern der
vielen großen Kirchen und einiger Paläste, das, in die Erde ge-
führt, dort in Cisternen sich sammelt. Auf den meisten Plätzen
der Stadt befinden sich daher derartige Cisternenbrunnen, wo man
mit eisernen Gefäßen, die an Ketten hängen, das Wasser aus der
Tiefe heraufzieht. Manche dieser Brunnenkränze sind gute
Bildhauerwerke, jene beiden auf dem Hofe des Dogenpalastes
jedoch weitberühmt durch die Schönheit und den Reichthum ihrer
Ornamente. Wir geben hier den einen unseren Lesern im Bilde
wieder. Er ist von Bronze und trägt im Innern die Inschrift
des Meisters, Äer ihn schuf: Alberghetti, und die Jahreszahl
1559. Diese Cisterneneinfafsung bildet ein Achteck, dessen Haupt-
verzierung vier Pans (Waldgötter) und vier Nymphen, ausmachen,
zwischen diesen ist mit reichster Phantasie Allerhand eingefügt, was
auf das Meer, Venedigs Gerechtigkeitspflege, den Reichthum der
Stadt und die große Blüte der damaligen Republik Bezug hat;
auch zeigt der Brunnen das Bildniß des zu dieser Zeit regierenden
Dogen. Diese Cisterneneinfassung ist ein überaus phantasiereiches
Werk der Renaissance, in welchem die antiken Vorbilder geistreich
und voll Leben, aber mit einem Hang zur Ueberladung nachge-
ahmt sind, die als ein Kennzeichen jener Periode gelten kann.
Das Alterthum war mäßiger, einfacher und klarer in der An-
wendung derartiger Verzierungen und erreichte dadurch eine ein-
heitlichere, größere Wirkung.

Der Krieg in Tunis.
«Bild S. 513.)
Die Franzosen haben die Aktion in dem Streite mit Tunis
begonnen; bis jetzt ist es allein noch der Stamm der Krumirs,
mit welchem sie Krieg zu führen vorgeben. Hinter diesen Krumirs
steht aber der Bey von Tunis. Frankreich besetzte zuerst die Insel
Tabarka als Basis für seine Operationen, um die Krumirs von
Norden her anzugreifen. Tabarka ist einige Hundert Schritte von
der tunesischen Küste entfernt und dann zwei deutsche Meilen von
der algerischen Grenze. Die Insel besteht aus einem hohen,
steinigen, kahlen Gebirgszug, der nur im Süden zu einer weit-
hin reichenden Sandbank ausläuft. Ihre Länge ist kaum eine
viertel deutsche Meile und sie zählt 7000 Einwohner, besitzt eine
Kirche und eine Konsularresidenz, an der Ostseite einen Ankerplatz
sür kleinere Schiffe, einen Schisssbauplatz und einen verfallenen
Damm. Auf der Westseite ist das Meer so tief und auch so ge-
schützt, daß Kriegsschiffe daselbst vor Anker gehen können — von
dort haben die Franzosen die Insel betreten. Der flachen Seite
gegenüber erhebt sich die Küste, wo die Krumirs sich angesammelt
haben. Sie b-steht aus gewaltigen Bergen.
Unsere Illustration zeigt uns berittene französische Posten der
Chasseurs d'Afrique, welche die Wachtfeuer der Krumirs be-
obachten.
 
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