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auf dem Leibe und er schauderte vor Frost. Weiter glitt
das Schiff, schneller, leise rauschten jetzt die Fluten des
Flusses, zwei Feuerschifflaternen tauchten auf und ver-
schwanden wie im Fluge. Der Himmel war schwarz, kein
Stern funkelte, die Ufer mußten völlig gewichen sein, denn
Liberio erblickte auch nicht mehr die matten Lichter einzelner
Ankerstationen der großen Elbkähne. Das Rauschen der
Flut ward stärker, gurgelnder, der Lauf des Schiffes
schneller. Nacht war vor ihm, Nacht hinter ihm, Nacht
überall umher, wohin er seine Blicke wendete, tiefste,
finsterste, undurchdringliche, todesschweigsame Nacht, und
die Kälte legte sich wie ein schwarzes Leichentuch auf ihn,
er empfand nagenden Hunger, es ergriff ihn Zittern und
Beben, er stand im Schiffe, seine Füße wurden so schwach,
daß er sich niederlassen mußte, er knickte ein, er sank auf
die Kniee, Ohnmacht wollte ihn umfangen, er riß sich
empor, starrte in das Dunkel, in die ruhige schwarze
Totenstille. Weiter fuhr das Schiff, schneller schaukelnd.
Das Gefühl entsetzlicher, unheimlicher Einsamkeit und Ver-
lassenheit packte den Mann im Kahne, er steckte die Hände
in das Wasser, um den Lauf des Schiffes aufzuhalten, er
zog sie zurück. Die Kälte des Wassers machte sie schmerz-
haft erstarren, er tastete im Schiff umher nach einem Stück
Holz, er riß eine Bank los und hielt sie in die Flut, um
seinem Boote eine Wendung zu geben. Das Wasser
rauschte auf an dem Brette und bespritzte ihn mit eisiger
Nässe, das Schiff glitt weiter, Liberio zog das Brett zurück,
warf es in das Boot und ächzte. Es war ein schauer-
licher Laut, den er ausstieß, es malte sich darin die gräß-
lichste Verzweiflung und Todesangst, er warf sich der Länge
nach auf den Boden des Schiffes und sprang wieder auf,
er schrie, rief uud kreischte mit den Lauten eines wilden
Tieres. Nichts antwortete ihm, kein Laut, kein Lichtschein.
Seine Kehle war trocken, als wäre sie von Holz, er brachte
keinen Ton mehr hervor, er konnte nicht mehr schreien.
Dahin fuhr er widerstandslos durch Kälte und Nacht.
Plötzlich hatte er eine Vision, neben ihm stand ein
Knochengerippe, es hatte das blaue Band Pauls um den
weißen Schädel und spielte die Geige immer schneller,
immer schneller, und nach dem Takte glitt der Kahn; nun
legte das Gerippe die Geige fort und griff mit den weißen
Knochenarmen nach ihm. Liberio schrie entsetzt auf. Da
verschwand die Gestalt und jetzt stand sie wieder am Vor-
derteil des Bootes und spielte Pauls silberne Flöte wahn-
sinnig schnell, und wahnsinnig schnell folgte der Kahn den
wilden Tönen. „Erbarmen! Erbarmen!" schluchzte Liberio.
Das Gerippe schüttelte den Kopf und seine weißen Zähne
grinsten.
Trotz der Angst und der wilden Phantasie seines
fiebernden Kopfes fühlte Liberio die Kälte; aber es war
nicht mehr lautlos und still um ihn her, es klang und sang,
es lauteten Glocken, große, kleine, Helle, dumpfe, überall
tauchten Lichter auf, rote, blaue, grüne, die ihn geisterhaft
umtanzten. Liberio lag auf dem Boden des Kahnes, die
Augen weit offen, nach oben gerichtet. Das Gesicht starr,
nur die Augen glühend, und seine Lippen murmelten un-
aufhörlich, indes das Schiff in der eisigen Nacht weiter
trieb. Das Läuten und Klingen um ihn verstummte, die
Lichter erloschen. Das Gerippe vorn am Schiffe ver-
schwand im Dunkel, Liberias Lippen hörten auf sich zu
bewegen, sein Kinn ward eckig, die Zähne traten hervor,
weiß, schauerlich, die Augen verließ der irre Schimmer, ein
leiser, röchelnder Hauch und Liberio stand vor jenem Richter,
der keine Akten braucht und keine Zeugen, keine Beweise,
keine Ankläger und keine Verteidiger, der richtet nach jener
Erkenntnis, gegen die alles Menschenwerk und alle Menschen-
klugheit blödes Stammeln ist.
Am nächsten Morgen lief in Hamburg bei der Polizei
die Nachricht ein, daß man acht Stunden unterhalb des
Hafens in der Elbe ein treibendes Boot aufgefischt habe,
in dem ein erfrorener Mensch lag, ohne Rock, jedoch be-
kleidet mit einer grünen Tuchhose, an deren Seiten breite
silberne Borten hinablaufen.
„Es scheine ein verunglückter herrschaftlicher Diener zu
sein, der bei der Ebbe in die Strömung geraten," hatte
der Ufervogt hinzugefügt.
Die Leiche wurde nach Hamburg zurückverlangt und
dort als jene des entflohenen Zirkuskünstlers Carlos
Cesarini, auf dem der dringende Verdacht des meuchel-
mörderischen Attentates ruhte, amtlich erkannt.
Das Gerücht von den Geschehnissen im Zirkus durch-
eilte wie ein Lauffeuer die Stadt. Es kam auch zu Helmer
Wallroden, der sich in seinem Klub befand. Es hieß, der
Roda sei tot und der entspringende Mörder hätte Miß
Cluny mit einem Dolch verwundet.
Eigentlich hätte diese Nachricht dem Advokaten wie eine
Freudenbotschaft klingen müssen, die ihn befreite von einem
wahren Alpdruck und ihn plötzlich aller Sorgen und Aengsten
ledig machte, dem war jedoch nicht so; Wohl atmete er
einen Moment aus, aber die unter diesen Umständen so
naturgemäße Freudigkeit zog bei ihm nicht ein. Es wollte
ihm scheinen, als lastete jetzt etwas Dunkles, Unrecht-
mäßiges auf dem Vermögen, es kam ihm zu schwer errungen
vor, es berührte ihn der Gedanke peinlich, daß die Erin-
nerung an einen Unglücksfall mit dem Genuß des Reich-
tums verknüpft sei und daß dieser Mann vielleicht nicht
den Tod in dem gefährlichen Berufe gesunden hätte, wenn
er mit ihm einen Vergleich geschlossen, mit ihm geteilt
haben würd'.
Zllustrirte Welt.
Man sprach noch etwas unter einander, jedoch leise,
dann bedünkte es ihn, als ob seine Bekannten ihn sonderbar
ansähen, halb mitleidig fast, seinen forschenden Blicken aus-
wichen und vorsichtig, jedoch entschieden bemerkbar für seine
durch Mißtrauen geschärfte Augen, sich etwas von ihm
ferne hielten.
Er ging daher auf einen seiner ältesten Bekannten zu,
richtete das Wort an ihn und fragte, ob er sich täusche,
oder ob uoch etwas bei dem Unfall passirt wäre, das ihn
anginge.
Der Freund wich aus, er wollte lange nichts sagen,
endlich berichtete er dem in ihn dringenden Helmer, daß
Fräulein Bernhardt, seine Verlobte, sich etwas auffällig bei
der Sache benommen habe, in die Arena hinab geeilt sei,
dem Verunglückten habe helfen wollen, geweint und wie
verzweifelt sich gebärdet hätte. So ginge das Gerücht,
welches ja alles übertreibe, setzte er beschwichtigend hinzu.
Helmer nickte nur mit dem Kopfe, nahm seinen Hut
und entfernte sich, ohne von jemand Abschied zu nehmen,
aus dem Klub.
Er ging direkt zum Hause seines Schwiegervaters, die
Augen am Boden wurzelnd und das Herz geschwellt von
Zorn und Entrüstung.
Er traf Herrn Bernhardt und seine Tochter nicht zu
Hause, sie wären aus dem Zirkus noch nicht heimgekehrt,
bekam er zur Antwort und er gab die Absicht kund, die
Herrschaften zu erwarten. So saß er denn in dem kleinen,
altväterisch möblirten Salon und hatte Zeit, sich mit seinen
Gedanken zu unterhalten, die keineswegs freundlicher Natur
waren. Jetzt war er also endlich in den langerstrebten Besitz
des Vermögens gekommen und was war nun? Er drückte
ihn wie eine Last und seine Braut hatte auf eine geradezu
furchtbare Weise öffentlich, sozusagen vor der ganzen
Stadt, ihn kompromitlirt. War das der Segen, den die
Reichtümer des Senators zur Folge hatten?
Da ertönte die Glocke und die Erwarteten erschienen.
Es nmßte ihnen wohl nicht gesagt worden sein, wer
im Salon war, denn Herr Bernhardt und Ernestine
traten ein.
Ernestine erblickte zuerst den Anwesenden und fuhr mit
einem Aufschrei zurück.
Sie wollte aus dem Zimmer. Helmer jedoch rief:
„Bleiben Sie, mein Fräulein! Diese Minute in meiner
Gegenwart zu weilen, sind Sie mir schuldig." Er staub
hochaufgerichtet da, seine Augen leuchteten weißlich und seine
Lippen waren bleich und bebten.
Ernestine stand wie gelähmt da und Herr Bernhardt
blickte ganz fassungslos zu Boden.
„Ist es wahr, Fräulein, was ich soeben vernommen,
daß Sie mit meiner Ehre ein so schmachvolles Spiel ge-
trieben?" fragte Helmer, „sie öffentlich vor tausenden von
Menschen mit Füßen getreten haben?"
Jetzt richtete sich auch Ernestine empor.
„Mit Ihrer Ebre!" sprach sie. „Wie kann ich etwas
mit Füßen treten, das Sie nicht besitzen?" warf sie bleich
wie eine Tote dem erzürnten Mann entgegen.
„Wären Sie kein Weib, aus dessen Munde diese Worte
kommen, ich schlüge Sie nieder wie ein böses Tier, das
mich vergiften will. So kann ich nur sagen, daß Sie eine
Verleumderin sind, ein Weib, Las keines anständigen, ehren-
haften Mannes würdig."
„Das wagen Sie noch auszusprechen!" rief jetzt Ernestine
und ihre Augen sprühten einen wilden Haß gegen den Ver-
lobten. „Sie, der Meuchelmörder dingt!"
„Was?" stieß Helmer hervor und taumelte zurück wie
von einem schlage getroffen. „Ihr Verstand hat gelitten.
Sie sind irrsinnig geworden. Nur ein Wahnsinniger ist im
stände, das zu sagen."
„Sie ist wie von Sinnen," mischte sich Herr Bernhardt
jetzt in den Streit. „Ihr Benehmen, Plötzlich, läßt mich
auch befürchten, daß all dies Krankheit ist."
„Krankheit!" lächelte jetzt höhnisch Ernestine. „Dort
steht derjenige," auf Helmer weisend, „der mich allerdings
bis zum Rande des Wahnsinns gebracht hat, der keinen
Mord scheute, um seine schreckliche Habsucht befriedigen zu
können; aber wahnsinnig bin ich nicht, nein, mein Geist ist
gräßlich klar, und so will ich denn dem Herrn sagen, es
soll das letzte Wort sein, das er von mir hört, daß ich ihn
nie geliebt habe, daß ich für Liebe hielt, was Gewohnheit
und Schwäche des Charakters war, jenen Mann liebe ich,
dem er nachgestellt! Seit dem ersten Momente, da ich ihn
erblickte, da empfand ich, was Liebe ist, und jetzt weiß ich'S,
und Sie, Herr Helmer Wallroden, hasse und verachte ich
wie das feigste Geschöpf, das die Erde trägt, wie das
giftigste Reptil. Tie Luft des Zimmers ist vergiftet, wo
Sie atmen, der Mensch ist entehrt, den Sie berühren, die
Stadt ist geschändet, wo Sic wohnen. Verlangen Sie noch
mehr? Herr Helmer Wallroden! Das ist allerdings nicht
die Sprache der Braut, die liebt, sondern die des Weibes,
Lessen Herz erwacht ist und dessen Liebstes man tückisch
gemordet."
„Das ist die Sprache des Irrenhauses!" rief Helmer
Wallroden dagegen, „einer Rasenden, die aus der Gemein-
schaft der Vernünftigen ausgeschieden gehört, damit sie kein
Unheil stiftet und harmlose Menschen tödlich anfällt." Mit
diesen bleich vor Zorn und Erregung gesprochenen Worten
nahm der Anwalt seinen Hut und verließ mit schnellen .
Schritten das Zimmer.
(Fortsetzung solgt.)
Gin. llmiskiie8 Gisenkalinjnkilänm.
Zum fünfzigsten Gedenktage der Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahn
Nürnberg-Fürth am 7. Äezember 1835.
«Bild S. 212.>
Obwohl Blitzzüge und Pullmausche Salonwaggons dermalen
allen, auch den peinlichsten Ansprüchen gerecht zu werden suchen,
welche man an Eisenbahnen stellen kann, so gibt es doch nicht
wenige, welche selbst mit diesen unseren besten Verkehrsmitteln
unzufrieden sind und im Geiste bereits jene Zeit voraussehen, da
jeder Spießbürger Sonntags nachmittags seine Ballonexkursion nach
dem Begleiter und nächtlichen Erleuchter unserer irdischen Mutter
macht, um im „Mann im Mond" sein gewohntes Spielchen zu
machen.
Diese Unzufriedenen sollten an jene Zeit, da es noch keine
Eisenbahnen gab, zurück- und daran denken, welche Schwierigkeiten
zu überwinden waren, bis es der unermüdlichen Thätigkeit des
menschlichen Geistes gelang, jenes Verkehrsmittel zu schassen, wel-
ches zu den entferntesten Völkern die Errungenschaften europäischer
Kultur trägt.
Fahrgeleise herzustellen, welche in glatter Reihe sich hinziehen
und infolge thunlichster Vermeidung der Reibung den Rädern
möglichst geringe oder gar keine Hindernisse entgegenstellen, ist eine
so uralte Erfindung, daß man sich in der That wundern muß,
daß man mcht schon lange darauf kam, diese Einrichtung bei den
gewöhnlichen Kunststraßen anzuwenden. Schon den Völkern des
grauen Altertums waren solche Geleise bekannt und es ist jeden-
falls nur eine Folge des durch kriegerische Umwälzungen herbei-
geführten Stillstandes der Kultur, wenn auch Liese Erfindung
wieder verloren ging. Die Inder und Aegypter legten, um die
ungeheuren Steinmassen zu ihren Riesenbauten aus den Stem-
brüchen zur Baustelle zu bewegen, große, behauene Quadersteine
Licht aneinander und bildeten so eine Steinbahn, in welche die
Räder der Blockwagen nach und nach die Geleise einschnittcn
Auch die Römer kannten solche Steingeleise, wandten sie jedoch
nur sehr selten an.
Dem deutschen Bergbau blieb es Vorbehalten, ein neues Sy-
stem für den Geleisebau zu beschaffen. Schon seit vielen Jahr-
hunderten erfolgte der Transport der Erze und Steine in den
Bergwerksgegenden des Harzes und anderwärts auf Holzbahnen,
welche aus zwei auf hölzerne Unterlagen gestreckten Balkenreihen
bestanden, die, mit einander gleichlaufend und nach gleichmäßigem
Fall gelegt, den Wagen eine ebene Bahn darboten und dadurch
gestatteten, daß ein Pferd eine vierfach größere Last bewältigen
konnte, als auf den gewöhnlichen Wegen.
Als die große Königin Elisabeth deutsche Bergleute aus dem
Harze nach England kommen ließ, um die immer mehr Bedeutung
erlangenden Steinkohlenwerke auszubeuteu, kamen mit den Berg-
leuten auch die „Hundegestänge" genannten Holzbahnen nach Eng-
land, wo die Holzschienen um 1770 durch eiserne Schienen von
je drei bis vier Fuß Länge ersetzt wurden, weil Holz wegen seiner
überaus raschen Abnützung zu teuer war. Diese neuen Schienen-
wege, die ersten Eisenbahnen, kamen zuerst zu Colebrodkedale in
Anwendung und bewährten sich, besonders, als man die Geleise
in denselben vertiefte, ziemlich gut. Bereits nach wenigen Jahren
waren diese Tramways, wie man diese Eisenbahnen nannte, auch
auf anderen Bergwerken im Gebrauch. Die ersten Schienen waren
ziemlich dünn und flach und hatten auf der äußeren Seite einen
aufrecht stehenden Rand, um das Entweichen der Räder vom Ge-
leise zu verhindern. Bald aber fand man es für besser, die
Schienen ganz flach zu machen und statt ihres Randes den inneren
Kanten der Räder einen Vorsprung zu geben, der sie nötigt, stets
Las Geleise zu halten.
Indessen hatten alle diese Bahnen keine weitere Bedeutung, da
sie nur zum Gütertransporte dienten, für die Beförderung von
Reisenden als gefährlich angesehen wurden und schließlich als
Triebkraft Pferde dienten, so Laß ihr Zweck nicht erhöhte Ge-
schwindigkeit, sondern nur größere Tragfähigkeit war. Indes griff
allmählich die Idee eines neuen Transportmittels Platz, welches
man in der Dampfmaschine fand. — Eine mit den zu trans-
portirenden Wagen in direkter Verbindung stehende, selbst mit-
fahrende Maschine hielt man aus verschiedenen, später freilich
hinfällig gewordenen Gründen für absolut untauglich, zumal ver-
einzelte Versuche mit Straßenlokomotiven verunglückten.
Als indes die ursprünglich auch nur für Gütertransport be-
stimmte erste europäische Eisenbahn Liverpool-Manchester ihrer
Vollendung nahe war, trat die Frage der Zugkraft energisch in
den Vordergrund, und war es Stephenson, der die erste, freilich
etwas unbehilfliche Lokomotive erbaute. Fast gleichzeitig niit ge-
nannter Bahn entstanden solche in Amerika, wo Fr. List 1828
die Lchuylkill-Bahn baute, und in Oesterreich: Linz-Budweis.
Immer aber kehrte die Frage wieder: Welche bewegende Kraft
soll Las Pferd ersetzen! La man den Lokomotiven oder „Dampf-
wagen" nicht recht traute, machte man den Vorschlag, in Ent-
fernungen von einer bis zwei Stunden stationäre Dampfmaschinen
herzustellen, der aber, als der Versuch mit der ersten Lokomotive
gelungen war, sofort vom Schauplatze verschwand.
Nachdem jedoch durch die Liverpooler Bahn der Beweis ge-
liefert worden war, daß die Eisenbahn nicht blos zum Transport
von Gütern, sondern auch von Menschen sich eigne und daß im
Verhältnisse zu den bisherigen Beförderungsmethoden bedeutende
Ersparungen an Zeit und Geld erzielt würden, entstand ein
Eisenbahnficber, das neben vielen wichtigen Projekten auch manche
schlimme Gründung in sich barg.
Auf dem europäischen Kontinent machten Oesterreich mit der
Budweis-Linzer, Frankreich mit der St. Etienne-Lyoner Bahn den
Anfang im Eifenbahnbau; etwas später folgte Belgien. Gerade
Deutschland schien in dieser Beziehung weder Augen noch Ohren
zu haben, obwohl es zwei Männer zählte, denen die Entwicklung
eines deutschen Eisenbahnwesens sehr am Herzen l..g.
Es waren dies Friedrich List und der bayerische Oberberg-
rat Josef von Baader.
Ersterer machte bereits 1829 der bayerischen Regierung in
seinen „Mitteilungen aus Amerika" Vorschläge zu einem bayeri-
schen Eisenbahnsystem und einer bayerisch-hanseatischen Bahn;
Baader war in praktischer Weise thätig, verwertete seine auf
mehreren Reisen nach England gesammelten Erfahrungen zum
Baue einer Modelleisenbahn von circa 230 Meter Länge im
Schloßgartcn von Nympheuburg (1818—26) und ersann ver-
schiedene technische Verbesserungen.
auf dem Leibe und er schauderte vor Frost. Weiter glitt
das Schiff, schneller, leise rauschten jetzt die Fluten des
Flusses, zwei Feuerschifflaternen tauchten auf und ver-
schwanden wie im Fluge. Der Himmel war schwarz, kein
Stern funkelte, die Ufer mußten völlig gewichen sein, denn
Liberio erblickte auch nicht mehr die matten Lichter einzelner
Ankerstationen der großen Elbkähne. Das Rauschen der
Flut ward stärker, gurgelnder, der Lauf des Schiffes
schneller. Nacht war vor ihm, Nacht hinter ihm, Nacht
überall umher, wohin er seine Blicke wendete, tiefste,
finsterste, undurchdringliche, todesschweigsame Nacht, und
die Kälte legte sich wie ein schwarzes Leichentuch auf ihn,
er empfand nagenden Hunger, es ergriff ihn Zittern und
Beben, er stand im Schiffe, seine Füße wurden so schwach,
daß er sich niederlassen mußte, er knickte ein, er sank auf
die Kniee, Ohnmacht wollte ihn umfangen, er riß sich
empor, starrte in das Dunkel, in die ruhige schwarze
Totenstille. Weiter fuhr das Schiff, schneller schaukelnd.
Das Gefühl entsetzlicher, unheimlicher Einsamkeit und Ver-
lassenheit packte den Mann im Kahne, er steckte die Hände
in das Wasser, um den Lauf des Schiffes aufzuhalten, er
zog sie zurück. Die Kälte des Wassers machte sie schmerz-
haft erstarren, er tastete im Schiff umher nach einem Stück
Holz, er riß eine Bank los und hielt sie in die Flut, um
seinem Boote eine Wendung zu geben. Das Wasser
rauschte auf an dem Brette und bespritzte ihn mit eisiger
Nässe, das Schiff glitt weiter, Liberio zog das Brett zurück,
warf es in das Boot und ächzte. Es war ein schauer-
licher Laut, den er ausstieß, es malte sich darin die gräß-
lichste Verzweiflung und Todesangst, er warf sich der Länge
nach auf den Boden des Schiffes und sprang wieder auf,
er schrie, rief uud kreischte mit den Lauten eines wilden
Tieres. Nichts antwortete ihm, kein Laut, kein Lichtschein.
Seine Kehle war trocken, als wäre sie von Holz, er brachte
keinen Ton mehr hervor, er konnte nicht mehr schreien.
Dahin fuhr er widerstandslos durch Kälte und Nacht.
Plötzlich hatte er eine Vision, neben ihm stand ein
Knochengerippe, es hatte das blaue Band Pauls um den
weißen Schädel und spielte die Geige immer schneller,
immer schneller, und nach dem Takte glitt der Kahn; nun
legte das Gerippe die Geige fort und griff mit den weißen
Knochenarmen nach ihm. Liberio schrie entsetzt auf. Da
verschwand die Gestalt und jetzt stand sie wieder am Vor-
derteil des Bootes und spielte Pauls silberne Flöte wahn-
sinnig schnell, und wahnsinnig schnell folgte der Kahn den
wilden Tönen. „Erbarmen! Erbarmen!" schluchzte Liberio.
Das Gerippe schüttelte den Kopf und seine weißen Zähne
grinsten.
Trotz der Angst und der wilden Phantasie seines
fiebernden Kopfes fühlte Liberio die Kälte; aber es war
nicht mehr lautlos und still um ihn her, es klang und sang,
es lauteten Glocken, große, kleine, Helle, dumpfe, überall
tauchten Lichter auf, rote, blaue, grüne, die ihn geisterhaft
umtanzten. Liberio lag auf dem Boden des Kahnes, die
Augen weit offen, nach oben gerichtet. Das Gesicht starr,
nur die Augen glühend, und seine Lippen murmelten un-
aufhörlich, indes das Schiff in der eisigen Nacht weiter
trieb. Das Läuten und Klingen um ihn verstummte, die
Lichter erloschen. Das Gerippe vorn am Schiffe ver-
schwand im Dunkel, Liberias Lippen hörten auf sich zu
bewegen, sein Kinn ward eckig, die Zähne traten hervor,
weiß, schauerlich, die Augen verließ der irre Schimmer, ein
leiser, röchelnder Hauch und Liberio stand vor jenem Richter,
der keine Akten braucht und keine Zeugen, keine Beweise,
keine Ankläger und keine Verteidiger, der richtet nach jener
Erkenntnis, gegen die alles Menschenwerk und alle Menschen-
klugheit blödes Stammeln ist.
Am nächsten Morgen lief in Hamburg bei der Polizei
die Nachricht ein, daß man acht Stunden unterhalb des
Hafens in der Elbe ein treibendes Boot aufgefischt habe,
in dem ein erfrorener Mensch lag, ohne Rock, jedoch be-
kleidet mit einer grünen Tuchhose, an deren Seiten breite
silberne Borten hinablaufen.
„Es scheine ein verunglückter herrschaftlicher Diener zu
sein, der bei der Ebbe in die Strömung geraten," hatte
der Ufervogt hinzugefügt.
Die Leiche wurde nach Hamburg zurückverlangt und
dort als jene des entflohenen Zirkuskünstlers Carlos
Cesarini, auf dem der dringende Verdacht des meuchel-
mörderischen Attentates ruhte, amtlich erkannt.
Das Gerücht von den Geschehnissen im Zirkus durch-
eilte wie ein Lauffeuer die Stadt. Es kam auch zu Helmer
Wallroden, der sich in seinem Klub befand. Es hieß, der
Roda sei tot und der entspringende Mörder hätte Miß
Cluny mit einem Dolch verwundet.
Eigentlich hätte diese Nachricht dem Advokaten wie eine
Freudenbotschaft klingen müssen, die ihn befreite von einem
wahren Alpdruck und ihn plötzlich aller Sorgen und Aengsten
ledig machte, dem war jedoch nicht so; Wohl atmete er
einen Moment aus, aber die unter diesen Umständen so
naturgemäße Freudigkeit zog bei ihm nicht ein. Es wollte
ihm scheinen, als lastete jetzt etwas Dunkles, Unrecht-
mäßiges auf dem Vermögen, es kam ihm zu schwer errungen
vor, es berührte ihn der Gedanke peinlich, daß die Erin-
nerung an einen Unglücksfall mit dem Genuß des Reich-
tums verknüpft sei und daß dieser Mann vielleicht nicht
den Tod in dem gefährlichen Berufe gesunden hätte, wenn
er mit ihm einen Vergleich geschlossen, mit ihm geteilt
haben würd'.
Zllustrirte Welt.
Man sprach noch etwas unter einander, jedoch leise,
dann bedünkte es ihn, als ob seine Bekannten ihn sonderbar
ansähen, halb mitleidig fast, seinen forschenden Blicken aus-
wichen und vorsichtig, jedoch entschieden bemerkbar für seine
durch Mißtrauen geschärfte Augen, sich etwas von ihm
ferne hielten.
Er ging daher auf einen seiner ältesten Bekannten zu,
richtete das Wort an ihn und fragte, ob er sich täusche,
oder ob uoch etwas bei dem Unfall passirt wäre, das ihn
anginge.
Der Freund wich aus, er wollte lange nichts sagen,
endlich berichtete er dem in ihn dringenden Helmer, daß
Fräulein Bernhardt, seine Verlobte, sich etwas auffällig bei
der Sache benommen habe, in die Arena hinab geeilt sei,
dem Verunglückten habe helfen wollen, geweint und wie
verzweifelt sich gebärdet hätte. So ginge das Gerücht,
welches ja alles übertreibe, setzte er beschwichtigend hinzu.
Helmer nickte nur mit dem Kopfe, nahm seinen Hut
und entfernte sich, ohne von jemand Abschied zu nehmen,
aus dem Klub.
Er ging direkt zum Hause seines Schwiegervaters, die
Augen am Boden wurzelnd und das Herz geschwellt von
Zorn und Entrüstung.
Er traf Herrn Bernhardt und seine Tochter nicht zu
Hause, sie wären aus dem Zirkus noch nicht heimgekehrt,
bekam er zur Antwort und er gab die Absicht kund, die
Herrschaften zu erwarten. So saß er denn in dem kleinen,
altväterisch möblirten Salon und hatte Zeit, sich mit seinen
Gedanken zu unterhalten, die keineswegs freundlicher Natur
waren. Jetzt war er also endlich in den langerstrebten Besitz
des Vermögens gekommen und was war nun? Er drückte
ihn wie eine Last und seine Braut hatte auf eine geradezu
furchtbare Weise öffentlich, sozusagen vor der ganzen
Stadt, ihn kompromitlirt. War das der Segen, den die
Reichtümer des Senators zur Folge hatten?
Da ertönte die Glocke und die Erwarteten erschienen.
Es nmßte ihnen wohl nicht gesagt worden sein, wer
im Salon war, denn Herr Bernhardt und Ernestine
traten ein.
Ernestine erblickte zuerst den Anwesenden und fuhr mit
einem Aufschrei zurück.
Sie wollte aus dem Zimmer. Helmer jedoch rief:
„Bleiben Sie, mein Fräulein! Diese Minute in meiner
Gegenwart zu weilen, sind Sie mir schuldig." Er staub
hochaufgerichtet da, seine Augen leuchteten weißlich und seine
Lippen waren bleich und bebten.
Ernestine stand wie gelähmt da und Herr Bernhardt
blickte ganz fassungslos zu Boden.
„Ist es wahr, Fräulein, was ich soeben vernommen,
daß Sie mit meiner Ehre ein so schmachvolles Spiel ge-
trieben?" fragte Helmer, „sie öffentlich vor tausenden von
Menschen mit Füßen getreten haben?"
Jetzt richtete sich auch Ernestine empor.
„Mit Ihrer Ebre!" sprach sie. „Wie kann ich etwas
mit Füßen treten, das Sie nicht besitzen?" warf sie bleich
wie eine Tote dem erzürnten Mann entgegen.
„Wären Sie kein Weib, aus dessen Munde diese Worte
kommen, ich schlüge Sie nieder wie ein böses Tier, das
mich vergiften will. So kann ich nur sagen, daß Sie eine
Verleumderin sind, ein Weib, Las keines anständigen, ehren-
haften Mannes würdig."
„Das wagen Sie noch auszusprechen!" rief jetzt Ernestine
und ihre Augen sprühten einen wilden Haß gegen den Ver-
lobten. „Sie, der Meuchelmörder dingt!"
„Was?" stieß Helmer hervor und taumelte zurück wie
von einem schlage getroffen. „Ihr Verstand hat gelitten.
Sie sind irrsinnig geworden. Nur ein Wahnsinniger ist im
stände, das zu sagen."
„Sie ist wie von Sinnen," mischte sich Herr Bernhardt
jetzt in den Streit. „Ihr Benehmen, Plötzlich, läßt mich
auch befürchten, daß all dies Krankheit ist."
„Krankheit!" lächelte jetzt höhnisch Ernestine. „Dort
steht derjenige," auf Helmer weisend, „der mich allerdings
bis zum Rande des Wahnsinns gebracht hat, der keinen
Mord scheute, um seine schreckliche Habsucht befriedigen zu
können; aber wahnsinnig bin ich nicht, nein, mein Geist ist
gräßlich klar, und so will ich denn dem Herrn sagen, es
soll das letzte Wort sein, das er von mir hört, daß ich ihn
nie geliebt habe, daß ich für Liebe hielt, was Gewohnheit
und Schwäche des Charakters war, jenen Mann liebe ich,
dem er nachgestellt! Seit dem ersten Momente, da ich ihn
erblickte, da empfand ich, was Liebe ist, und jetzt weiß ich'S,
und Sie, Herr Helmer Wallroden, hasse und verachte ich
wie das feigste Geschöpf, das die Erde trägt, wie das
giftigste Reptil. Tie Luft des Zimmers ist vergiftet, wo
Sie atmen, der Mensch ist entehrt, den Sie berühren, die
Stadt ist geschändet, wo Sic wohnen. Verlangen Sie noch
mehr? Herr Helmer Wallroden! Das ist allerdings nicht
die Sprache der Braut, die liebt, sondern die des Weibes,
Lessen Herz erwacht ist und dessen Liebstes man tückisch
gemordet."
„Das ist die Sprache des Irrenhauses!" rief Helmer
Wallroden dagegen, „einer Rasenden, die aus der Gemein-
schaft der Vernünftigen ausgeschieden gehört, damit sie kein
Unheil stiftet und harmlose Menschen tödlich anfällt." Mit
diesen bleich vor Zorn und Erregung gesprochenen Worten
nahm der Anwalt seinen Hut und verließ mit schnellen .
Schritten das Zimmer.
(Fortsetzung solgt.)
Gin. llmiskiie8 Gisenkalinjnkilänm.
Zum fünfzigsten Gedenktage der Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahn
Nürnberg-Fürth am 7. Äezember 1835.
«Bild S. 212.>
Obwohl Blitzzüge und Pullmausche Salonwaggons dermalen
allen, auch den peinlichsten Ansprüchen gerecht zu werden suchen,
welche man an Eisenbahnen stellen kann, so gibt es doch nicht
wenige, welche selbst mit diesen unseren besten Verkehrsmitteln
unzufrieden sind und im Geiste bereits jene Zeit voraussehen, da
jeder Spießbürger Sonntags nachmittags seine Ballonexkursion nach
dem Begleiter und nächtlichen Erleuchter unserer irdischen Mutter
macht, um im „Mann im Mond" sein gewohntes Spielchen zu
machen.
Diese Unzufriedenen sollten an jene Zeit, da es noch keine
Eisenbahnen gab, zurück- und daran denken, welche Schwierigkeiten
zu überwinden waren, bis es der unermüdlichen Thätigkeit des
menschlichen Geistes gelang, jenes Verkehrsmittel zu schassen, wel-
ches zu den entferntesten Völkern die Errungenschaften europäischer
Kultur trägt.
Fahrgeleise herzustellen, welche in glatter Reihe sich hinziehen
und infolge thunlichster Vermeidung der Reibung den Rädern
möglichst geringe oder gar keine Hindernisse entgegenstellen, ist eine
so uralte Erfindung, daß man sich in der That wundern muß,
daß man mcht schon lange darauf kam, diese Einrichtung bei den
gewöhnlichen Kunststraßen anzuwenden. Schon den Völkern des
grauen Altertums waren solche Geleise bekannt und es ist jeden-
falls nur eine Folge des durch kriegerische Umwälzungen herbei-
geführten Stillstandes der Kultur, wenn auch Liese Erfindung
wieder verloren ging. Die Inder und Aegypter legten, um die
ungeheuren Steinmassen zu ihren Riesenbauten aus den Stem-
brüchen zur Baustelle zu bewegen, große, behauene Quadersteine
Licht aneinander und bildeten so eine Steinbahn, in welche die
Räder der Blockwagen nach und nach die Geleise einschnittcn
Auch die Römer kannten solche Steingeleise, wandten sie jedoch
nur sehr selten an.
Dem deutschen Bergbau blieb es Vorbehalten, ein neues Sy-
stem für den Geleisebau zu beschaffen. Schon seit vielen Jahr-
hunderten erfolgte der Transport der Erze und Steine in den
Bergwerksgegenden des Harzes und anderwärts auf Holzbahnen,
welche aus zwei auf hölzerne Unterlagen gestreckten Balkenreihen
bestanden, die, mit einander gleichlaufend und nach gleichmäßigem
Fall gelegt, den Wagen eine ebene Bahn darboten und dadurch
gestatteten, daß ein Pferd eine vierfach größere Last bewältigen
konnte, als auf den gewöhnlichen Wegen.
Als die große Königin Elisabeth deutsche Bergleute aus dem
Harze nach England kommen ließ, um die immer mehr Bedeutung
erlangenden Steinkohlenwerke auszubeuteu, kamen mit den Berg-
leuten auch die „Hundegestänge" genannten Holzbahnen nach Eng-
land, wo die Holzschienen um 1770 durch eiserne Schienen von
je drei bis vier Fuß Länge ersetzt wurden, weil Holz wegen seiner
überaus raschen Abnützung zu teuer war. Diese neuen Schienen-
wege, die ersten Eisenbahnen, kamen zuerst zu Colebrodkedale in
Anwendung und bewährten sich, besonders, als man die Geleise
in denselben vertiefte, ziemlich gut. Bereits nach wenigen Jahren
waren diese Tramways, wie man diese Eisenbahnen nannte, auch
auf anderen Bergwerken im Gebrauch. Die ersten Schienen waren
ziemlich dünn und flach und hatten auf der äußeren Seite einen
aufrecht stehenden Rand, um das Entweichen der Räder vom Ge-
leise zu verhindern. Bald aber fand man es für besser, die
Schienen ganz flach zu machen und statt ihres Randes den inneren
Kanten der Räder einen Vorsprung zu geben, der sie nötigt, stets
Las Geleise zu halten.
Indessen hatten alle diese Bahnen keine weitere Bedeutung, da
sie nur zum Gütertransporte dienten, für die Beförderung von
Reisenden als gefährlich angesehen wurden und schließlich als
Triebkraft Pferde dienten, so Laß ihr Zweck nicht erhöhte Ge-
schwindigkeit, sondern nur größere Tragfähigkeit war. Indes griff
allmählich die Idee eines neuen Transportmittels Platz, welches
man in der Dampfmaschine fand. — Eine mit den zu trans-
portirenden Wagen in direkter Verbindung stehende, selbst mit-
fahrende Maschine hielt man aus verschiedenen, später freilich
hinfällig gewordenen Gründen für absolut untauglich, zumal ver-
einzelte Versuche mit Straßenlokomotiven verunglückten.
Als indes die ursprünglich auch nur für Gütertransport be-
stimmte erste europäische Eisenbahn Liverpool-Manchester ihrer
Vollendung nahe war, trat die Frage der Zugkraft energisch in
den Vordergrund, und war es Stephenson, der die erste, freilich
etwas unbehilfliche Lokomotive erbaute. Fast gleichzeitig niit ge-
nannter Bahn entstanden solche in Amerika, wo Fr. List 1828
die Lchuylkill-Bahn baute, und in Oesterreich: Linz-Budweis.
Immer aber kehrte die Frage wieder: Welche bewegende Kraft
soll Las Pferd ersetzen! La man den Lokomotiven oder „Dampf-
wagen" nicht recht traute, machte man den Vorschlag, in Ent-
fernungen von einer bis zwei Stunden stationäre Dampfmaschinen
herzustellen, der aber, als der Versuch mit der ersten Lokomotive
gelungen war, sofort vom Schauplatze verschwand.
Nachdem jedoch durch die Liverpooler Bahn der Beweis ge-
liefert worden war, daß die Eisenbahn nicht blos zum Transport
von Gütern, sondern auch von Menschen sich eigne und daß im
Verhältnisse zu den bisherigen Beförderungsmethoden bedeutende
Ersparungen an Zeit und Geld erzielt würden, entstand ein
Eisenbahnficber, das neben vielen wichtigen Projekten auch manche
schlimme Gründung in sich barg.
Auf dem europäischen Kontinent machten Oesterreich mit der
Budweis-Linzer, Frankreich mit der St. Etienne-Lyoner Bahn den
Anfang im Eifenbahnbau; etwas später folgte Belgien. Gerade
Deutschland schien in dieser Beziehung weder Augen noch Ohren
zu haben, obwohl es zwei Männer zählte, denen die Entwicklung
eines deutschen Eisenbahnwesens sehr am Herzen l..g.
Es waren dies Friedrich List und der bayerische Oberberg-
rat Josef von Baader.
Ersterer machte bereits 1829 der bayerischen Regierung in
seinen „Mitteilungen aus Amerika" Vorschläge zu einem bayeri-
schen Eisenbahnsystem und einer bayerisch-hanseatischen Bahn;
Baader war in praktischer Weise thätig, verwertete seine auf
mehreren Reisen nach England gesammelten Erfahrungen zum
Baue einer Modelleisenbahn von circa 230 Meter Länge im
Schloßgartcn von Nympheuburg (1818—26) und ersann ver-
schiedene technische Verbesserungen.