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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 34.1886

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548

Illustrirte Welt.

Don Pedros Brautfahrt.
Erzählung
VON
WaX Lay.
(Fortsetzung.)
Trotz der traurigen Betrachtungen belebte sich der Humor
des vierblätterigen Kleeblatts bei den angezündeten Pfeifen
allmälich wieder. Nach langer Beratung, ob man auf die
Rückkunft der ganzen Abteilung warten oder auf eigene
Faust nach dem verlassenen Lager zurückkehren solle, ent-
schied man sich für das erstere. Der Zustand des Vorge-
setzten war dabei ausschlaggebend; der fürchtete mit Recht,
daß er bei einem immerhin nicht unmöglichen feindlichen
Angriffe wehrlos wäre und bei einer etwaigen Flucht den
Feinden in die Hände fallen
mußte, was bei der beliebten
Kriegführung gleichbedeutend war
mit Gehängtwerden. So ver-
gingen noch einige langweilige
Stunden. Die Sonne stieg
höher und höher und öfter mußte
der Platz gewechselt werden, um
einen Ort ausfindig zu machen,
wo etwas Schatten den Aufent-
halt erträglich machte. Endlich
vernahm man ein fernes Ge-
räusch wie Pferdegetrappel. Einer
der Soldaten schlich hinaus, um
zu erkunden, ob Freund oder
Feind im Anzug sei. Es war
glücklicherweise Dupain mit seiner
Schar, die samt ihren Tieren
todmüde von ihrer erfolglosen
Hetzjagd zurückkehrten. Der
Führer war in übelster Laune,
er ritt an der Spitze und als
er die Gruppe der Zurückgeblie-
benen gewahrte, hielt er. Mit
funkelnden Augen und zusammen-
gekniffenen Lippen, die den Bart
bürstenartig nach vorn trieben,
schimpfte er über die schlechten
Reiter, die nur zum Paradiren zu
gebrauchen wären. Scheu ver-
krochen sich die Leute in die
Reihen ihrer Kameraden, nur
van Zeen machte ein unsäglich
klägliches Gesicht und blickte mit
wahrhaft mitleiderregender Miene
auf seinen Gönner. Aber der
hatte für den Verletzten auch kein
Erbarmen.
„Packt den Lahmen auf ein
Pferd und dann vorwärts; wir
haben schon genug Zeit verlo-
ren!" befahl er, dann wandte
er sein Tier wieder und verfolgte
mit einem Gesicht so finster wie
Gewitternacht seinen Weg.
Nach einer Abwesenheit von
zwanzig Stunden erreichte man
das alte Lager. Die Leute wa-
ren noch mit dem Absatteln be-
schäftigt, da winkte der unermüd-
liche Dupain den nächstbesten
Korporal zu sich.
„Der Sergeantmajor soll
kommen — sofort!" rief er ihm
zu. Der Mann kehrte zurück
mit der Meldung, daß van Zeen
nicht stehen könne, der Chirurg
hätte ihn eben unter den Fingern.
„Dann nimm Du diesen
Zettel. Mit drei Mann machst
Du Dich sofort auf den Marsch
nach der Hacienda San Antonio.
Sage dem Lieutenant del Patio,
daß ich morgen um elf Uhr dort eintreffen würde, bis
dahin müßte der hier ausgezeichnete Auftrag ausgeführt
sein!"
Mit strammer Haltung nahm der Korporal das Papier
entgegen und machte Kehrt. Lief ihm auch die Galle
über von innerlichen Verwünschungen, seine unbewegliche
Miene zeigte äußerlich nur einen in der schlechten Laune
des Kommandeurs wohlbegründeten Gehorsam, der Hunger
und Müdigkeit vergessen ließ, wenigstens so lange, als er
mit seinen Leidensgefährten im Bereich des Lagers war.
In frühester Morgenstunde langte die Ordonnanz in
San Antonio an. Del Patio hatte in der Zwischenzeit
reichlich Muße gehabt, mit ruhiger Ueberlegung festzustellen,
was ihm als Pflicht erscheinen mußte. Mit tiefem Ernst,
aber fester Hand entfaltete er dm Befehl seines Chefs.
Auf die mündliche Nachricht, daß der Chef selbst um
elf Uhr eintreffcn werde, antwortete er mit gleichmütigem
„Es ist gut".
Je eher die Sache endgiltig erledigt war, desto lieber

war es ihm. Die Ankunft Dupains deutete auf Vormarsch
nach Norden. Er hatte nichts dagegen.
Alle Ungewißheit war nun zu Ende. Das Todesurteil
Lucindes in der Hand, sah er seinen Weg fest vorgezeichnet.
Seine altgewohnte Willensstärke ließ ihn nicht zaudern.
Mit festen Schritten begab er sich zu seiner Gefangenen.
Er findet sie auf dem Bette sitzend, in einer Stellung, die
ihm sagt, daß sie wenigstens versucht, sich durch einigen
Schlaf zu stärken. Dunkle Ringe umgaben ihre müden,
übernächtigen Augen, die verwirrten Locken fielen ihr in die
Stirn. Bei seinem Eintritt griff sie nach ihrem Rebozo
und verhüllte den Kopf, ihre in Unordnung geratene Haar-
toilette zu verdecken.
„Sennora," begann er ernst, fast feierlich und hob
den Zettel empor, „der Befehl des Kommandeurs ist an-
gelangt."
Er schwieg und stumm starrte sie ihn an, als ob sie
weitere Eröffnungen erwarte.

„Ich beschwöre Sie, erschrecken Sie nicht, wir konnten
es nicht anders erwarten — er fordert Ihren Tod!"
Ein schriller, ersterbender Wehruf brach aus Lucindes
bleichen Lippen. Sie griff mit beiden Händen in die Luft
und sank ohnmächtig auf die Lagerstatt zurück.
Del Patio eilte zum Tische. Aus einem Gefässe mit
Wasser befeuchtete er das erste beste Tuch, das ihm in die
Hände fiel, und eilte zu ihr'.
Mit zitternden Händen drückte er das Tuch an die
Schläfen, an die weiße, kalte Stirn und langsam kehrte das
Leben in die zarte Gestalt zurück. Er richtete sie in die
Höhe und sie schlug die Augen auf, ihn mit dem sanften,
matt glänzenden Blicke der verwundeten Gazelle umfassend.
„Mut, Mut, mein armes Kind! Bei den Wunden
Christi schwöre ich Ihnen, es soll Ihrem Leben kein Leid
geschehen! Aber die Zeit drängt, zeigen Sie den Leuten,
wie eine Mexikanerin ihr Schicksal auf sich nimmt. "
Er schritt zur Thür, um zu öffnen. Sein eigener Diener,
ein Neger, stand vor ihm.

Er winkte ihm, einzutreten.
„Du weißt, was Du zu thun hast," sagte er leise zu
ihm, „jetzt mach, daß Du fortkommst!"
Der Schwarze wies grinsend sein weißes Gebiß und
nickte mit dem dicken, wolligen Kopf.
„Werde gut machen, was Senno befiehlt," sagte er
und nahm zwei große Revolver, die in Holstern an der
Wand hingen, an sich und entfernte sich wieder.
In der offenen Thür erschienen die neugierigen Gesichter
der Leute, die durch die Ordonnanz schon von dem Kom-
menden Kenntnis erhalten.
„Sennora," sagte der Offizier zu der Gefangenen,
„folgen Sie einfach meinen Weisungen und erschweren Sie
mir meine Pflicht nicht!"
Das sagte er in kaltem, geschäftsmäßigem Tone; aber
nur ihr verständlich setzte er leise mit bezeichnendem Blick
auf die Thür hinzu: „Vertrauen Sie auf das Wort eines
! mexikanischen Edelmannes!" Dann ging er in die Halle.
Er bezeichnete seinem Korporal
neun Contre-Guerillas mit Na-
men als Exekutionspiket, hier-
auf schrie er nach dem Wirt.
Der Schreck über die nicht zu
mißdeutenden Vorbereitungen
hatte dem Manne den letzten
Blutstropfen aus dem gelbeu
Gesichte getrieben. Mit schlot-
ternden Knieen, als sollte es ihm
selbst an den Kragen gehen, folgte
cr dem Ruf:
„Bespann Deinen Karren,
Du sollst die Verurteilte hinaus-
fahren!"
Eine wilde Energie machte
des Offiziers Augen funken-
sprühend. Er griff nach seinem
Säbel, schnallte ihn um und
trat dann, den Sombrero in der
Hand, wieder in das Zimmer
Lucindes.
Seine Worte und seine Ge-
genwart flößten ihr so viel Kraft
ein, daß sie mit ernster Würde
und niedergeschlagenen Augen
ihm entgegenschritt und seinen
dargebotenen Arm annahm. Die
Berührung des Mannes, dessen
Edelmut sie kennen gelernt und
der ihr, fast ohne daß sie wußte
warum, ein felsenfestes Vertrauen
einslößte, gab ihr die Kraft, mit
ruhigem Schritt durch die Spa-
lier bildenden Soldaten zu gehen,
bis zu dem einfachen zweiräde-
rigen Gefährt, das vor der
Veranda hielt. Bei dem Anblick
des verhängnisvollen Wagens
wandelte sie von neuem die
Schwäche an, aber del Patio
umfaßte die schlanke Gestalt und
hob sie leicht in den hölzernen
Kasten, wo sie auf ein großes
Kissen niedersank. Mit zittern-
der Hand zog sie den schwarzen
Schleier dichter um das Haupt,
daß ihr bleiches Antlitz den lästi-
gen Blicken der Umstehenden voll-
ständig entzogen war.
„Aufgesessen!" kommandirte
del Patio. Die Säbelscheiden
klirrten gegen die Steigbügel,
die Reiter flogen in den Satte!.
Del Patio setzte sich an die
Spitze des Zugs. Unter einem
kräftigen Schenkeldruck stieg sein
Roß und begrüßte wiehernd die
frische Morgenluft.
Mit goldigem Glanz be-
leuchtete die aussteigende Sonne
die kräftigen Gestalten der Rei-
ter, die den Karren mit der
bewegungslosen schwarzen Dame in die Mitte genommen.
Von den hell beschienenen Abhängen lachten die duftigen
Wälder in stolzer Pracht; ein leichter, balsamischer Luftzug
neigte den üppigen Blumenschmuck der Savanne, die sich
unabsehbar nach Osten dehnte. Fast schien es, als wollten
die duftigen Kinder Floras sich verneigend der unglücklichen
Schwester den letzten Gruß spenden, als sie von den rauhen
Kriegern zum Tode geführt werden sollte. Der Zug verließ
die Straße und wendete sich quer durch die grasige Ebene
einer bewaldeten Kette von Vorbergen zu. Mit dumpfem
Schlag traten die Roßhufe den weichen Boden. Die kräf-
tigen Maultiere vor dem Karren hatten Mühe, in dem
hohen Grase, das ihnen bis an den Leib reichte, mit den
trabenden Reitern Schritt zu halten. Totenblaß, mit bläu-
lichen Lippen saß der Gastwirt auf dem Vorderbrett des
Karrens und wagte nicht, sich umzuwenden nach dem un-
glücklichen jungen Wesen, das er der letzten Stunde ent-
gegenführte. Der Wald that seine geheimnisvollen Hallen
vor ihnen auf. Kühler Duft wehte ibnen daraus entgegen.


Juni. Zeichnung von H. Giacomelli.
 
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