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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 36.1888

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Hllu strikte Welt

sich der Theologie und Philosophie zu widmen. Nach
einjährigem Aufenthalt zu St. Peter bei Freiburg
zum Priester geweiht, lebte er die ersten Jahre in
Sinsheim, Baden-Baden und Kronau und erwarb sich
die Verehrung aller, die ihn kannten. In der nächsten
Stelle, in Wertheim, kam er an die Höfe des Exkönigs
von Portugal Dom Miguel und der Fürsten von
Wertheim; von Meßkirch aus, wohin er als Benefiziat
versetzt wurde, zog man ihn an Leu fürstlichen Hof
nach Sigmaringen. Nachdem er 1875 in Rom ge-
wesen war und Pius IX. ein poetisches Werk: „Die
Zivnsharfe" übergeben hatte, wurde er nach Litzclstettcn
versetzt. Da er zugleich die Insel Mainau zu pastorircn
hatte, verkehrte er dort manchmal mit der grosz-
herzoglichen Familie und wurde auch zur kaiserlichen
Hoftafel beigczogen. Nachdem seit der Erfindung des
Volapük feine Arbeitslast bedeutend gestiegen war, kam
er um seine Pcnsionirung ein, die ihm nach viermaliger
Eingabe erteilt wurde. Schon als Gymnasiast hatte er
eifrig Sprachen studirt, er lernte damals schon hebräisch,
italienisch und spanisch. In Wertheim bekam er Ge-
legenheit, russisch, englisch und portugiesisch zu treiben
und in Meßkirch erwarb er sich die Kenntnis des Rhütv-
romanischen und Polnischen. Die Hauptarbeit in seinen
Sprachstudien fällt in die Zeit seines Aufenthalts in
Krumbach, seiner ersten Pfarrstelle. Klar seines Zieles
bewußt scheint er 1877 geworden zu sein, damals be-
gann er „ein Völkerdolmetsch in sechs Sprachen" zu
konstruiren. In den verschiedenen Alphabeten das
Grundübel der Sprachverwirrung erkennend, stellte er
1878 jein Weltalphabet auf. Das ist die Grundlage
des Volapük geworden, die Ausarbeitung der Grammatik
beginnt nach seinen Aufzeichnungen am 31. März 1879
und schon nach zehn Tagen konnte er schreiben: „Sieben-
undvierzig Endungen und dreiunddreißig Grundregeln
ausgearbeitet."
Gehen wir nun zur Erläuterung der Grammatik
über, so ist zuerst darauf hinzuweijcn, daß alle Regeln
aus anderen Sprachen entnommen sind, aus jeder
Sprache das Beste. Zunächst ist es als sehr wichtig,
zu verzeichnen, daß Volapük nur eine Schrift kennt,
die lateinische, daß jeder Laut nur ein Zeichen hat, daß
keine Buchstaben stumm oder überflüssig sind, in strenger Be-
folgung der stenographischen Regel: „Schreibe wie du sprichst."
Die Schwierigkeiten, die oft für Ausländer in der Verschiedenheit
der Vokalaussprache liegen — man nehme nur englisch oder
russisch — hat Schleyer dadurch beseitigt, daß jedes Zeichen nur
eine Aussprache hat. Das Alphabet besteht aus achtundzwanzig
Zeichen. Für uns Deutsche ist neu, daß c wie tsch, h wie ch,
j wie sch, y wie j gesprochen werden. Die Deklination ist so
einfach, daß sie in einer Minute gelernt ist z man bildet die ver-
schiedenen Falle durch Anhängung von Vokalen an die geschlechts-


Johann Martin Schleyer, der Erfinder des Volapük.

und artikellosen Hauptwörter, also man der Mann, mana des
Mannes, mang dem Manne, manl den Mann, mau o Mann!
Durch Anhängung von s erhält man die betreffende Pluralform.
Adjektiva bildet man durch die Anhängung der Silben itz, lilc,
sile an die Substantiva, also Alst die Größe, Kletilc groß.
Die Komparation geschieht durch Ansehen der Silbe um für den
Komparativ und usn für den Superlativ. Ein Fortschritt gegen-
über unseren Sprachen liegt darin, daß auch Substantiva gesteigert
werden, zum Beispiel Alstik groß, Zletikum größer, rslstikusn
der größte, tlsn der Freund, ttsnuni der bessere Freund, tienusn

der beste Freund. Verstärkung drückt Volapük durch
die Vorsilbe Is aus, Verringerung durch die Vorsilbe tu,
Verkleinerung durch die Nachsilbe it: saKvsn sagen,
Ie8aAoen behaupten, Avcl Gott, lu^oä Götze, tsü
Tisch, tabil Tischlein. Wie die Substantiva werden
auch die Pronomina ob ich, ol du, om er, ok sie,
os es, on man, deklinirt, auch hier wird der Plural
mit s gebildet. Diese Pronomina dienen gleichzeitig
zur Bildung der Verbnlformen. Wie Volapük nur
eine Deklination kennt, so hat cs auch nur eine Kon-
jugation, allerdings ist diese ungemein reich an Formen,
trotzdem aber sehr einfach, bedarf auch zu den zusammen-
gesetzten Zeiten keiner Hilfswörter. Durch Anhängung
von osn an das Substantiv bildet man das Zeitwort:
tick die Lehre, tiäosn lehren z so heißt also das Präsens
tielob ich lehre, tiäol du lehrst, tiäom er lehrt, tiäor
sie lehrt, tiäos es lehrt, tiäon man lehrt. In der
Bildung der Zeiten hat Volapük Aehulichkeit mit dem
Hebräisch, beide Sprachen gebrauchen die Präfixe. So
heißt ich lehrte aetiäob, ich habe gelehrt stickob, ich
hatte gelehrt itiäob, ich werde lehren otickob, ich werde
gelehrt haben utiäob. Das Partizip tiäosl ist von
allen Zeiten zu bilden. Die beiden griechischen Optative
werden durch oos und osx gebildet, tiäoboss möchte
ich lehren, tickoboex ich könnte wohl lehren. Konjunktiv
und Interrogativ haben als Bildungszeichcn die Nach-
silbe Is. und li. Aus dem Hebräischen stammt Ver-
doppelte Imperativ, der eine mit oeä gebildet, Ver-
stärkers, das Jujsiv, mit oea. Ferner besitzt Volapük
eine Dauer- und Bedingungsform, ein Reflexivum, ein
Supinum und eine Form für Frage und Verneinung.
Jede Form läßt sich durch Vorsetzung von p in die
entsprechende Form des Passivums verwandeln.
Ohne auf die weiteren Bildungen und Feinheiten
einzugehen, müssen wir schon nach diesen Beispielen deni
Volapük ganz unendliche Einfachheit und leichte Erlern-
barkeit zugestehen, ist doch die gesamte Grammatik in
drei bis vier Tagen zu erlernen.
Abgesehen von dieser Kürze, vereint Volapük eine
Reihe Vorteile meist phonetischer Art in sich. Einem
großen Sprachllbcl ist dadurch abgeholfen, daß die
Häufung von Konsonanten vermieden ist. Wörter wie
Dampfspritze sind für Ausländer meist nicht zu sprechen, ähnlich
ist es auch in den anderen Sprachen, hauptsächlich in den
slavischen, welche durch die Häufung von Zischlauten manchen
Fremden zur Verzweiflung bringen. Was bei den anderen
Sprachen Las Studium erschwert, mangelhafte oder zu große
Alphabete, unrichtige Orthographie, schwierige Regeln und
zahllose Ausnahmen, unklare, vieldeutige, mangelhafte Begriffe,
all das ist im Volapük nicht enthalten, und so läßt sich Volapük
als das Vorbild logischen Denkens für alle Natursprachen er-
klären, und mit Recht kann Professor Bauer Volapük „das


Ter Altar der Synagoge zu Florenz. (S. 58.j
 
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