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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 46.1898

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Heft 25
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https://doi.org/10.11588/diglit.56968#0582
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das aus der Ofenhöhlung zu iweit hervorragte, zurück-
geschoben und hatte danü.Mit ihrem sicheren, festen
Schritt die Stube verlassen. — Beim Fenster stand
der Ferdl und trommelte mit den Fingern an die
Scheiben, jedoch in ganz sachter, langsamer Weise.
Des Bauern Gehör mußte aber augenblicks ein ganz
sensitives sein, denn er fuhr plötzlich aus dem Hinbrüten,
dem er sich hingegeben, empor und gebot barsch: „Hör
doch einmal auf mit deiner Lärmerei dort! Oder
willst "leicht eppat die Scheiben einschlagen? Da nimm
gerad' gleich einen Dreschflegel dazu, das bummt doch
noch besser nachher."
Ferdl war der Aufforderung momentan gefolgt;
etwa eine Minute stand er noch aus derselben Stelle
und blickte nachdenklich in das Schneetreiben hinaus,
dann machte er es wie die Mutter und ließ den
mürrischen Mann allein. In seiner Kammer rückwärts
im Flur kramte er eine Weile in seiner Truhe; er
suchte sich reine Wäsche heraus. Danach war er eben
daran, seinen Sonntagsstaat aus dem breiten, zwei-
thürigen, mit Medaillons aus zusammengesetzten blauen
und roten Fächern bemalten Schrank zu nehmen, als
er draußen im Flur jemand zu seiner Thür heran-
kommen hörte.
Seine Mutter kam herein, mit einem Kerzenlicht
in der Hand. „Ferdl," sagte sie leise, „bist da?"
Das Kämmerchen lag beinahe dunkel, und die kleine
Kerzenflamme gab einen zu schwachen Strahl von sich,
als daß der Ferdl in seiner Ecke gleich sichtbar ge-
worden wäre; zudem verdeckte ihn zur Hälfte ein
Schrankflügel. Er ließ die Weste hängen, die er eben
ergriffen hatte, und kam heran zur Mutter. „Ja, da
bin ich. Will d' Muatter was von mir?"
Die Buchenhoferin stellte das Licht auf die große
Truhe und setzte sich daneben hin. „Zu reden hab"
ich mit dir, Ferdl! Rück dir einen Stuhl daher."
Als er vor ihr saß — den Stuhl hatte sie selber
noch näher herangezogen, ehe er sich daraus nieder-
gelassen —, griff sie nach seinen beiden Händen und
hielt dieselben mit sanftem Druck fest. „Was ich
dir sagen will, kann dir viel oder wenig bedeuten —
nimm dich zusammen, wenn sie dir eppat tiefer geht,
meine Red". Ich hab" vorhin gesagt, daß du der
Oberleitnerin die letzte Ehr' erweisen kannst — aber
Ferdl, eins muß ich dir sagen: wenn "leicht dein Herz
an dem Dirndl von der Verstorbenen einen Gefallen
finden thät", das wär' umsonst. Da nimm dich zu-
sammen und reiß es heraus, das Gefallen, gäch reiß
es heraus, denn draus werden könnt' nie was mit dir
und ihr. Da hättest eine unglückliche Lieb', bei der
es nimmermehr eine Hoffnung gab" auf ein Zusammen-
kommen. Seit gestern bin ich in Aengsten gewesen
um dich, denn mir ist's gestern vorgekommen, als
wie wenn deine Augen nimmer loskommen könnten von
dem Dirndl. Unser Herrgott mag es geben, daß ich
mich geirrt hab"!"
In den Ferdl hatte es gegriffen wie eine kalte
Hand, die sein Herz zerdrücken wollte; seine Brust
holte schwer und gepreßt den Atem. „Mei' Muatter,"
sagte er endlich leise, ernst, „mit dem glichen Heraus-
reißen, da geht es halt nimmer! Das ist kein Ge-
fallen mehr in mir für das Dirndl, das ist eine Lieb",
wie's keine zweite giebt in einem Menschenleben. Weil
ich gar nie nichts gespürt hab" von einem Gernhaben
bei die saubersten Dirndln, gar nie, jetzt geht's mir
drum gleich zu tiefest ins Herz!" Und plötzlich die
Hände der Mutter heftig pressend, that er die leiden-
schaftliche Frage: „Muatter, mei" liebe Muatter, was
hat sie Euch denn gethan, das liebe, gutherzige Dirndl,
daß Jhr's nicht leiden könnt?"
Mit ihren beiden Händen, die sie dem Sohn ent-
zogen, strich die Franzi das Haar glatt zurück, aber
die feinen Härchen schnellten immer wieder in ihre
krausen Ringeln zurück und flimmerten goldig in dem
Schein des Lichts. Ein müder, trauriger Ausdruck
lag aus dem schmalen, seinen Gesicht. „Mein, das
Dirndl hat keine Schuld. Nur ihr Vater."
„Ihr Vater? Ihr Vater?" Es kam in ver-
wunderter Frage über Ferdls Lippen. „Ja, wie denn?
Wegen was denn, Muatter?" Da ihm keine Antwort
kam, neigte er sich mit seinem forschenden Blick näher
zu der Mutter Gesicht. Das leise Zucken in ihren
Zügen, welches war, als tauchten seine und doch un-
verkennbare Schmerzenslinien auf und verschwänden
gleich wieder, von der Macht eines festen, stolzen
Willens verbannt, das wunderliche, trübe Starren der
weitoffenen Augen — das brachte ihm eine Ahnung,
daß es ein Leid, welches seine Mutter einst erduldet
und nimmer gänzlich verwinden würde, sei, welches
ihn trenne von dem lieben Dirndl. Es legte sich
drückend auf seine Brust, und mit Augen, in denen
bald das bittere Weh seiner Liebe, bald die heiße
Zärtlichkeit für seine Mutter aufslammte, so sah er
eine Weile lautlos in das weiße, ihm so liebe Gesicht
hinüber. Endlich stand er auf und reichte ihr die
Hand hin. „Du mußt es ja wissen, Muatter, was
du mir thust mit der Red'. Ich hab' das Dirndl gern
und nimmst mir 's halbe Leben — aber wenn du

Zllustrirle Welt.

sagst, es darf nicht sein, so glaub" ich auch, es muß
was sein, was wie ein Stein dawidersteht, und Hilst
mir kein Wehren."
Während er sprach, hatte er sein Gesicht langsam
abgewandt und wollte ihr die Hand entziehen. Die
Franzi aber hielt diese fest. Mit bebender Stimme
sprach sie halblaute Worte, einzeln lösten sich dieselben
von ihren zuckenden Lippen, als müßte sich jedes der-
selben erst von einer geheimnisvollen Macht losringen,
welche es in den Tiefen der Seele festbannen wollte.
„Setz dich nieder. Bub', du mußt es wissen, was da
dagegen ist. Ja — wie ein Stein ist's; so ist's auch
auf mein Herz gefallen dazumals. Der Lenz, der
Oberleitner — er ist einmal mein Bräutigam ge-
wesen, bis ich erfahren hab', daß eine schwere Schuld
auf ihm liegt. Er — hat — einen umgebracht und
— und ist gesessen. — Ich hab' ihn gelassen wegen
meinem Vater; dem ehrlichen, stolzen Mann hab' ich
keinen Mörder, keinen Zuchthäusler zuführen können
— gelt, das siehst ein? Und so ist's auch wieder bei
dir; sie ist die Tochter von ihrem Vater, und wenn
er auch jetzt angesehen ist, und die Leut" da herum
wissen von nichts, einmal kann mit einem Schlag alles
anders sein, und sein Ansehen, seine Ehr", die liegt im
Staub und — und seine Leut' betrifft es mit."
Der Franzi Stimme versagte, stumm verharrte sie
auf ihrem Stuhle eine lange Weile, den Körper
immerzu erschüttert von einem Beben wie im heftigsten
Fieberfrost.
Der Ferdl war völlig betroffen von der schreck-
baren Kunde; es war ihm, als hätte ihm eins mit
unumstößlicher Gewißheit gesagt, morgen stürze der
Himmel ein und lege alles auf der Erde in Schutt
und Trümmer. Er kannte den Mann, der so schwere
Schuld tragen sollte, viel zu wenig, hatte nie mit ihm
ein Wort gesprochen, nur hin und wieder zufällig
ihn gesehen, er hatte also kein eignes Urteil, keine
eigne Meinung über denselben, und da seine Mutter,
deren Worte ihm bisher gewesen waren wie lauteres
Gold, ihm davon sprach, so regte sich in ihm kein
Unglaube.
Er blieb eine Weile ties in Gedanken versunken.
Das Gehörte wogte in ihm nach; es zwang ihn, sich
an die Stelle seiner Mutter zu setzen — er fühlte sich
hinein, wie es sein mußte, wenn einem ein geliebter
Mensch plötzlich als ein verworfener erscheint — ja,
sie hatte ja recht, ehrlichen Eltern konnte man es nicht
anthun, ihnen einen so schlechten Sohn zu geben,
aber — „Mei" Muatterl, wie muß dir denn gewesen
sein, wie du das erfahren hast!" stieß er plötzlich in
überquellendem, heißem Mitleid hervor und streichelte in
einemfort ihre Hand, die er fest umfaßt hielt. „So
weh muß dir geschehen sein, so Weh! Mein lieb's
Muatterl!"
Sie schluchzte nicht auf, ihre Brust war wie von
einem Krampf schmerzhaft umspannt, sie nickte nur
mit jäh feuchtglänzenden Augen und sagte dann ton-
los aus ihrer gepreßten Brust hervor: „Einen Mut
hab' ich gebraucht zum Weiterleben, siehst! Aber ich hab"
halt allemal, wenn mir so hart gewesen ist, auf mein
Vaterl geschaut, dem ich sein einzig's und alles war.
Eine Schänd' hab" ich ihm nicht anthun können, und
einen Kummer hab' ich ihm nicht machen wollen —
ich hab' mich ruhig gestellt und zufrieden und bin es
nie gewesen." Mit einemmal jäh aufschnellend, legte
die Franzi nun beide Arme um den Hals des Sohnes,
sah ihm tief in die Augen und sagte leise: „Und du
bist auch mein einziges, thu mir das nicht an! Und
schau, ich kann das nicht glauben, daß wir allebeid'
um des einen willen leiden sollten zeitlebens — ich
mein', unser Herrgott giebt's, daß du auf das Dirndl
vergessen kannst!" Sie zog ihn, der etwas größer war
wie sie, zu sich herab, drückte rasch einen Kuß auf
seine Wange und verließ hieraus schnellen Schrittes
die Kammer.
Der Ferdl ließ sich auf die Truhe sinken und legte
das Kinn in die Handflächen der auf den Knieen auf-
gestützten Arme. Sein Gesicht, welches die Kerzen-
flamme beschien, hatte einen müden Ausdruck. Sein
Herz stritt keinen Kampf, es hatte ja nichts, wogegen
es ankämpfen konnte, es war kein schlimmer oder hart-
näckiger Wille zu besiegen und keine bösen Verhältnisse,
sondern es stand einfach die Gewalt eines Schicksals
vor ihm, gegen die es keinen Ansturm gab. Hatte
seine Mutter einst den Mann gelassen wegen seines
Verbrechens, so durste er ihr nicht zumuten, daß sie
dessen Kind nun als Tochter aufnehmen sollte.

12.

Der Schnee schmolz vor dem warmen Andringen
der Sonne in einer puren Schnelligkeit, und wäre er
nicht so tief gelegen, man hätte in ein bis zwei Tagen
fast nichts mehr gesehen davon. Aber es hatte in der
langen Winterszeit doch eine hübsche Menge der weißen
Flocken heruntergeschneit; stellenweise lagen ganze
Hügel von übereinandergewehtem Schnee. Auf dem
weißen Grunde bildeten sich nun schier überall große
und kleinere Vertiefungen, die dunkel oder schwärzlich

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von der weißen Umgebung sich abhoben; auf den
Wegen aber geriet man überall in eine glitscherige
Flüssigkeit.
Der Ferdl wanderte den glitscherigen Weg dahin
in seinen hohen Wadenstiefeln, deren glänzende Schwärze
immer mehr verschwand, da das schmutzige Schnee-
wasser oft hoch daran hinaufgischte. „Na, so ein
miserabler Weg!" brummte er ärgerlich. „Muß ihm
gerad' heut einsallen, dem Getreidehändler, daß er aus
der Stadt herauskommt!"
Der Ferdl mußte nämlich in den vom Kirchdorf
noch drei Stunden entfernten Marktflecken gehen, um
mit einem bekannten Getreidehändler, der ihnen Nach-
richt geschickt, er würde an diesem Tage mit der Bahn
in den betreffenden Markt fahren, wegen des auf dein
Buchenhof noch vorhandenen Getreides zu unterhandeln.
Es mußten aber auch noch andre zwingende Gründe
vorhanden sein, trotz des schlechten Weges nicht daheim
zu bleiben, denn um die Wegbiegung dort herüber
schlenderte langsam eine vierschrötige Mannsgestalt
daher. Der Ferdl schaute ein wenig verwundert auf
den Menschen. Verwahrlost, fast verwildert erschien
der ihm unbekannte Mann. Scheltend, fluchend über
den abscheulichen Weg blieb derselbe nun stehen, fuchtelte
mit beiden Händen zornig in der Luft herum und
ging dann wieder weiter. Den Ferdl bemerkte er erst,
da dieser ihm schon ganz nahe war. Mitten in einer
tiefen Schneewasserpsütze blieb er da stehen und rief
den jungen Burschen an: „He du, magst mir's
sagen, wie weit als ich noch hab" bis zum Buchenhof?
Ist schon so lang aus, daß ich den Weg einmal ge-
than hab", daß ich wirklich nicht mehr weiß, hab' ich
eine halbe Stund" oder nur noch ein kleines Oertl!"
„Ja, eine halbe Stund" hast schier noch. Aber was
willst auf dem Buchenhof, ha?"
„Was ich will, was ich —?" Mit einem kichernden
Lachen unterbrach sich der Mann, und ein häßliches
Grinsen verblieb in den Zügen, da er wieder fort-
fuhr: „Ei, was will ich! Ich hab' mit dem Buchen-
hofer was zu reden! Was Heimliches, was Besonders!
So was, was nicht einen jeden Neugierigen, wie du
einer bist, was angeht! Weißt es halt jetzt, du?"
Und da der Ferdl wortlos, mit unwilliger Miene
sich abwandte und seinen Weg fortsetzte, lachte ihm
der Mann sein kicherndes, spottvolles Lachen nach,
drehte sich hierauf um und wandte sich dann doch
wieder zu dem Davonschreitenden hin: „He du, leben
thut er doch noch, der Buchenhoser, der einstig' Berg-
meyr-Peter?" rief er.
„Da drüber fragst mich halt, wenn du zurückgehst!
Nachher erhältst eine Antwort," versetzte der Ferdl,
ohne sich umzusehen.
„Siehst es, siehst es, da hast es!" verspottete der
Mann jetzt sich selber. „Hätt'st nicht hingehaut, hätt'
er nicht zurückgepufft! Ah was — liegt nichts dran!
Bald ich dort steh' aus dem Buchenhos, nachher weiß
ich's eh" gleich, ob er noch lebt. Und wenn er schon
drunten liegt, nachher klopf" ich bei ihr an, ob sie
nicht die Wahrheit wissen will! Ei ja, und einen guten
Beweis hab' ich für die Wahrheit!" Und schmetternd
auflachend, klopfte der Mann mit einem Fingerknöchel
gegen seine Brust. Eiliger wie vordem ging er weiter.
Er erreichte bald den Buchenhof. Unter dem Hofthor
blieb er stehen und lugte hinein. Der Hofraum erschien
wie ausgestorben. Er wußte nicht, sollte er weiter
hineingeheu und nach Leuten forschen oder eine Weile
warten, ob nicht von selber jemand in den Hof trat.
Wenn der Buchenhofer noch am Leben war, brauchte
es vorderhand noch niemand zu wissen, was er mit
dem auszumachen hatte, bei dem trug es ihm wohl am
meisten ein.
Er wollte lieber ein wenig zuwarten. — Wenn es
nur nicht gar so grimmig kalt gewesen wäre! Die
Zähne begannen ihm gar bald zu klappern, und er
verwünschte es, daß sich so lange niemand sehen ließ.
Da erspähten seine ärgerlichen Blicke endlich eine stark
gebeugte Mannesgestalt, welche unter die Hosthür des
Hauses trat. War es möglich, daß dies der Buchen-
hofer war — der alte, gebeugte, grauhaarige Mann
dort? Und doch mußte er es sein; so verwittert und
faltig sein Gesicht geworden war, die Züge waren die des
einstigen Bergmeyr-Peter. Die Hände in den Hosen-
taschen versenkt, trat der Bauer langsam in den
Hofraum heraus und nahm die Richtung nach den
Ställen hin.
Da pfiff der unter dem Hofthor Stehende kurz und
scharf zwischen den Zähnen hindurch. „Buchenhofer!"
ries er dann.
Der Bauer hörte es, schaute nach dem Rufer und
ging dann mit seinem vorigen gemächlichen Schritt
auf diesen zu. Nichts in seinem Gesicht zeigte, daß
er den Besucher erkannte. Erst als er auf etwa fünf
Schritte herangekommen war und der Mann in ge-
dämpftem Ton: „Grüß dich Gott, Buchenhofer, nach
langer Zeit!" rief, während ein eigentümliches Grinsen
seinen Mund breit auseinanderzog, erst da schien er
denselben zu erkennen. Denn er taumelte schier zurück
und streckte beide Hände vor in jäh abwehrender Geste.
 
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