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Illustrierte Welt.

Morgentoilette.
(Bild S. 81.,
Der ^eßhaste deutsche Reichsbürqer hat häufig Gelegenheit,
die Bevölkerung der schönen Bergthäler im Norden Ungarns
in ihren wandernden Exemplaren kennen zu lernen, in den
Nastelbindern und Mausfallenhändlern, und ihre Tracht aus
filzähnlichem, ursprünglich weißem Wollenstoss bringt keine be-
sonders hohe Meinung über ihr Verhältnis zur Reinlichkeit
hervor. Daß nian damit den guten Leuten vielleicht doch etwas
unrecht thut, mag unser Bild, beweisen. Das strahlende Gesicht,
mit dem der ältere der beiden Slowakenknaben der Prozedur
entgegenblickt, und die Gemütsruhe, die sich in der Haltung des
jüngeren ausspricht, sind jedenfalls von Wasserscheu weit entfernt.

Die deutsche Expedition nach China.
Wilder S. 8l u. 97.)
Nicht zum erstenmal in seinem Leben tritt der zuni Ober-
befehlshaber der verbündeten Truppen in China ernannte Graf
Alfred Waldersee in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses;
er war thatjächlich der Nachfolger Moltkes und galt längere Zeit
als der voraussichtliche Erbe Bismarcks; die ihm nunmehr ge-
stellte welthistorische Aufgabe ist also durchaus seiner würdig.
Alfred Graf Waldersee ist am 8. April 1832 in Potsdam
geboren. Den Feldzug des Jahres 1866 in Böhmen machte er
als Generalstabsosfizier des Großen Hauptquartiers mit. Als
Major war er Militär-Attacho in Paris, in welcher Stellung
er im Jahre 1870 zum Oberstleutnant vorrückle. Im deutsch-
sranzösischen Kriege war er gleichfalls dem Großen Hauptquartier



Contre-Admiral Geißler,
Chef der 1. Panzerdivision in China.

zugeteilt; während des Feldzuges gegen die Loire-Armee fungierte
er als Generalstabschef der Armee-Abteilung des Großherzogs
von Mecklenburg. Im Jahre 1876 wurde Waldersee General-
major, 1881 General-Ouartiermeister im Großen Generalstab
und 1882 Generalleutnant. Nach dem Rücktritte Moltkes
<10. August 1888) wurde Graf Waldersee an dessen Stelle zum
Ches des Großen Gereralstabes und zuni General der Kavallerie
ernannt. Indes erfolgte bereits am 2. Februar 1801 seine
Enthebung von diesem Posten und seine Ernennung zum kom-
mandierenden General des IX. Armeecorps in Altona, in welcher
Eigenschaft er 1895 zum Generaloberst der Kavallerie vorrückte.
Am 28. März 1898 wurde Waldersee zum Generaldseld-
marjchall und zum General-Inspekteur der dritten Armee-
Inspektion in Hannover ernannt und ist daher im Mobilisierungs-
falle gleich den übrigen Armee-Inspekteuren (Prinz Albrecht von
Preußen, Prinz Georg von Sachsen, Prinz Leopold von Bayern
und Großherzog Friedrich von Baden) zum Armeckommandanten
in Aussicht genommen.
Graf Waldersee ist feit 14. April 1874 mit der Witwe des
Fürsten Noer, Marie Esther, der Tochter des Rentiers David
Lee in New Work, vermählt.
Tie Ausrüstung, die Generalfeldmarschall Graf von Waldersee
und die übrigen höheren deutschen Offiziere nach China mit-
nehmen, ist ein Muster von praktischer Einrichtung und Bequem-
lichkeit. Sie ist aus Dutzenden der verschiedensten Gebrauchs-
gegenstände zusammengestellt; alle aber sind klug ausgedacht und
so gearbeitet, daß sie im Handumdrehen zusammengepackt und
gefaltet werden können und einen sehr geringen Raum einnehmen.
Sie besteht aus einem geräumigen Zelt, einem eisernen Feldbett
niit Gestell für das Moskitonetz, einem großen Feldstuhl, der
ebenfalls mit einem Moskitonetz versehen werden kann, zusammen-
legbarem Waschgeschirr, Kochutensilien, Laterne, Eß- und Trink-
geräten und so weiter. Sehr interessant ist ein kleiner Filtrier-
apparat in Taschenformat, den man überallhin mitnchmen kann
und der in den Sümpfen Chinas sicherlich vorzügliche Dienste

leisten wird. Er ist aus Hartgummi hergestellt. Der Boden ist
siebartig durchlöchert. In dem Apparat befindet sich ein aus
künstlichem Wege hergestellter Stein, der in einen Saugapparat
eingelassen ist. Man braucht also den Apparat nur in das
Wasser zu senken und dann zu saugen, um stets bakterienfreies
Wasser zu erhalten. Sehr praktisch sind auch die Wickelgamaschen
aus einer Art Lodenstost, die sich in Südafrika sehr gut bewährt
haben. Zum Schutze gegen die Moskitos dient ein Kopfnetz,
das auf einem auf den Schultern ruhenden Gestell befestigt ist.
Der Befehlshaber der nach China gehenden Panzerschisse,
Contre-Admiral Geißler, war bisher Inspekteur der Marine-
Artillerie. Geboren am 20. Juni l848 zu Ahlen in Westfalen,
wurde er 1869 Leutnant zur See, 1883 Korvettenkapitän, 1890
Kapitän zur See und am 7. März 1899 Contre-Admiral.
Das vor uns abgebildete Linienschiff „Brandenburg", das
seit 1893 im Dienst steht, gehört zu den neuesten und stärksten
Schlachtschiffen der deutschen Flotte. Seine Länge beträgt
108 Meter, seine Breite 20, sein Tiefgang 7ffg Meter. Seine
Gürtelpanzerung ist 150 bis 400 Millimeter stark; seine höchste
Schnelligkeit 16 Seemeilen in der Stunde; sein Kohlenvorrat
ist bei 10 Meilen für 4500 Meilen ausreichend. Die gewöhn-
liche Besatzung von 568 Köpfen ist für die jetzige Ausfahrt auf
700 Köpfe vermehrt.

Die Ansetzung König Humberts.
(Bild S. 85.)
Die Beisetzung des ruchlos ermordeten ritterlichen Königs
Humbert von Italien fand am 9. August zu Rom statt. Der
Trauerzug ging vom Bahnhof durch die Via nationale über
die kiarra Veneria zur kiarra termini, wo die von uns wieder
gegebene photographische Aufnahme erfolgte; dann über den
(lorso Vittorio Lmmanuele zum Pantheon. Den ganzen Weg
entlang waren Mastbäume aujgerichtet, die mit Palmen und
Cypressen umgeben waren, von einem zum andern waren schwarze
Tücher aufgehängt. Der Sarg ruhte auf einer Lafette, die sechs
Pferde zogen; voraus ritt der General Avogadro di Quinta,
Flügeladjutant des verewigten Königs, dessen Schwert in der
Hand tragend; ihm voraus (auf unserm Bild nicht mehr sichtbar)
führte ein Stallmeister das mit einer schwarzen Schabracke ver-
hüllte Leibroß des Königs. Unmittelbar nach dem Trauerwagen
wurde auf einem Kissen die eiserne Krone getragen. An der
Spitze des Trauergefvlges schritt der nunmehrige König Viktor
Emanuel III. mit dem Herzog von Aosta, dem Grasen von
Turin und den andern italienischen und fremden Fürstlichkeiten.

Meter Flott.
Roman
von
AeliL von Stenglin.
(Fortsetzung.)
^^rotzdem Peter mit ziemlicher Geringschätzung
auf die Bestrebungen der Malwine Krümel-
bier und ihrer Gefolgschaft hinsah, hielt er
es doch für nützlich. Lene in die Sitzung zn
begleiten. Es kam darauf an, sich Frau Helferich
günstig zu stimmen, damit sie nicht mehr wie bisher
seinem Verkehr mit Lene allerhand Hindernisse in den
Weg lege. Peter hatte auch einige Gedichte mitgebracht
um sie im Kreise der Freundinnen vorzutragen. Ihr
Urteil zwar, das sagte er sich, konnte kaum einen
Wert für ihn besitzen.
Für jede der vier Frauen hatte Peter einige
passende Worte, dann wandte er sich an alle gemein-
sam und sagte mit einem zuvorkommenden Rundblick;
„Alle Kreise sind, wie ich sehe, hier vertreten. Die
Litteratur wird durch die verehrte Frau Präsidentin
verkörpert —"
„Oho, Präsidentin!" warf Frau Helferich da-
zwischen.
„Mir scheint, daß dieser Ehrentitel unsrer lieben
Freundin längst zukommt," bemerkte das Fräulein.
Die Dichterin machte eine ihr allumfassenden Ver-
neigungen und nahm so gewissermaßen von der neuen
Bezeichnung Besitz.
„— und der Hoskreis," fuhr Peter fort, „hier
durch das gnädige Fräulein —"
Fräulein von Segendorf neigte ihr Haupt, wie
wenn der französische Gesandte zu ihr gesagt hätte:
»VOU8 8(68 sämirable, inon enfant."
Dort der ehrenfeste Bürgerstand, verkörpert
durch die Witwe eines tüchtigen und thätigen Pro-
fessionisten, Frau Karoline Pappler, — und hier das
treue Beamtentum, gewissermaßen wiedergespiegelt in
der Person der Frau Anna Helferich, deren Gatte im
Dienste des Königs gelebt und gewirkt hat —"
Frau Helferich sagte über den Tisch hinüber zu
Frau Krümelbier: „Der versteht's, nich wahr, Frau?
So muß man reden können!"
Frau Krümelbier verteilte ihr breites Lachen
zwischen Frau Helferich und Peter und erwiderte:
„Die feine Bildung verleugnet sich so leicht nicht!"
Man nahm nun wieder Platz, Peter saß neben
dem „gnädigen Fräulein" und Lene neben Frau
Krümelbier.
Eine kleine Pause trat im Gespräch ein, und die
! Frauen beschäftigten sich in Gedanken mit dem jungen

Manne. Die Dichterin war ihm einstweilen wohl-
wollend gesonnen, kam aber noch nicht zum Schluß
mit ihrem Urteil. Es hing davon ab, wie er sich in
geistiger Hinsicht mit ihr verständigte, mit andern
Worten, ob er sie als Dichterin genügend zu feiern
bereit sein würde.
Fräulein von Segendorf war zwar durch das
„gnädige Fräulein" halb gewonnen, nahm sich aber
vor, dem Herrn bei der nächsten Gelegenheit wegen
seiner Gesinnung auf den Zahn zu fühlen und ihn
eine freundlich ermahnende Rede kosten zu lassen. Die
Pappler betrachtete den jungen Mann mit jenem Zucken
der Mundwinkel, das bei ihr bezeichnend für günstige
Stimmung war. Da saß er nun neben der Lene, er
blond, sie braun, und ziemlich nah waren sie auch
zusammengerückt. Wie das hübsch aussah. Und den
Mund hatte er auch auf dem rechten Fleck. So kritisch
sie veranlagt war, die Pappler, ein Liebespaar, das
zusammenpaßte, übte stets eine sehr anheimelnde Wir-
kung auf sie aus.
Weniger freundlich blickte Frau Helferich auf das
Paar. Wie sie sich da nebeneinander hingepflanzt
hatten, als ob sie schon zusammen gehörten! Einst-
weilen hatte sie doch noch das erste Anrecht, und so
leicht ließ sie sich das nicht entreißen!
Frau Krümelbier erhob sich, langsam und feierlich.
Ihre Züge waren ernst. „Ehe ich mich erlaube," be-
gann sie, „einige neue Dichtungen, die mich der Genius
in den letzten acht Tagen eingab, vorzutragen, möchte
ich einige'Worte sagen." Frau Malwine Krümelbier
verneigte sich wie eine Trapezkünstlerin, die sich eben
aufs Trapez geschwungen hat und nun das Publikum
nach der ersten Etappe ihrer Leistungen begrüßt. „Ich
möchte die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen —"
kleine Pause, um Zeit zu geben, die schöne Rede-
wendung zu bewundern —, „ohne einen verehrten
jüngeren Kollegen in diesem Kreise willkommen zu
heißen. Wir befinden uns hier in einem Verein," —
prüfender Rundblick, ob vielleicht jemand etwas gegen
diese Thatsache einzuwenden habe — „in einem Verein,
wie es wohl, wir dürfen uns schmeicheln — (neckisches
Wiegen des Hauptes) „nicht viele giebt. Eine Dichterin,
nicht aus eitler Laune, sondern unter unmittelbarer
Einwirkung von oben veranlaßt, sich der Poesie zu
widmen — wie ich dies in meinem gedruckten Hefte
Mein Traum von Poesie- auszusprechen mich erlaubt
habe, versammelt allwöchentlich nicht zu eitlen Freuden-
festen, sondern zu geistiger Gemeinschaft" — (in diesem
Augenblick bedauerte Frau Krümelbier, das Kaffee-
geschirr nicht bereits hinweggeräumt zu haben) „eine
Anzahl gleichgesinnter Frauen, liebwerte Freundinnen."
(Verneigung vor den drei Mitgliedern des Vereins,
Frau Karoline Pappler blickt starr, um nicht zu sagen,
gelangweilt, vor sich hin, Frau Anna Helferich ver-
zieht gerührt ihr Gesicht, und nur Fräulein Julia
von Segendorf besitzt so viel angeborenen Takt, die
Verneigung der Dichterin zustimmend — wenn auch
dem Augenblick entsprechend ernst — zu erwidern.)
„Wir haben unfern Verein,Wehmut' genannt. Wes-
halb haben wir dies gethan? Weil wir erkannt haben,
daß es das schönste Vorrecht des gesitteten Menschen
ist. das Dasein nicht mit eitler und lauter Freude,
sondern mit Wehmut zu genießen, und weil besonders
die Poesie ihre herrlichen Schwingen entfaltet, wenn
sie sich mit der Wehmut paart."
Da die Pappler es sich in diesem Augenblick heraus-
nahm, — wenn auch nicht ohne Vorhalten der Hand,
so doch vernehmlich — zu gähnen, so hielt die Dichterin
es wohl für das Beste, die einleitende Rede jetzt zu
beschließen.
„Nun beginnt der zweite, der poetische Teil." Sie
wandte sich zur Kommode und holte das dicke Heft.
„Hu, da haben Se aber wieder viel jedichtet!"
meinte die Helferich, mit gewisser Beängstigung auf
die Handschrift blickend.
Durch derartige Zwischenbemerkungen, welche die
Dichterin von der Helferich schon kannte, ließ sie sich
grundsätzlich nicht mehr aus der Fassung bringen.
Sie verbeugte sich jetzt nochmals vor der ganzen Ge-
sellschaft und sprach "sanft: „Einige Gedankensplitter
und Gedichte, vorgetragen von — Malwine Krümel-
bier."
Der Beifall setzte schon beim ersten Stücke ein,
und Peter machte unwillkürlich mit. Im weiteren
Verlause der Vorlesung wurde ihm erst klar, daß er
eigentlich eine große Unwahrheit begehe, wenn er hier
Beifall spende. Dennoch klatschte er nach jeder Dar-
bietung immer wieder. Kam er sich unwahr vor, in-
dem er dies that, so wäre er sich geradezu gemein
vorgekommen, wenn er es nicht gethan hätte. Nur
den Versuch, den fragwürdigen Genuß abzukürzen,
machte er mehrmals, indem er am Schluß verschiedener
Darbietungen in der Art seines Beifalls und seiner
Bemerkungen auszudrücken versuchte, daß er die Vor-
lesung für beendet halte. Doch er wurde alsbald
immer wieder belehrt, daß er sich geirrt habe. Frau
Malwine Krümelbier selbst war es, die schließlich
durch eine besonders tiefe Verneigung und ein alle
 
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