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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 12.1901

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Van de Veldes Programm
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https://doi.org/10.11588/diglit.6714#0128
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Juni-Heft.

Illustr. kunstgevverbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 107.

keit und Ohnmacht
das Recht ab, sich
auf ruhmreiche,
klassische Vorbil-
der oder Vorläufer
zu berufen.

Das Konstruk-
tions - Prinzip im
Kunstgewerbe ist
nicht neu, es ist viel-
mehr der Stamm-
vater der Bau- und
der dekorativen
Kunst schon seit
dem Altertum; nur
ist es seit längerem
in die traurigste
Vergessenheit ge-
raten. Seine bele-
bende Kraft ist
verewigt in der

unvergänglichen
Schönheit u. stillen
Pracht klassischer
Denkmale, seine
heitere Klarheit
wird -daran zweifle
ich nicht - auch
über die beklem-
mende Verirrung

unserer Tage endlich den Sieg davontragen. — Es ist ja ein-
leuchtend, dass unser Geist und unsere Augen es als wohl-
thuende Ruhe empfinden müssen, wenn sie nicht mehr auf
gewaltsam erkünstelten, sondern auf natürlichen, naturgemässen
Gegenständen unserer täglichen Umgebung ruhen werden,
auf Form-Produkten, die so sind, wie sie sind, weil sie nicht
anders sein können. Darin wird für uns alle eine unaus-
sprechliche Erleichterung liegen, und während wir jetzt in
einer Welt von Tischen, Stühlen, Betten und Geräten leben,
die sich zumeist erst nach eingehender Prüfung als das heraus-
stellen, was sie sind, werden wir dann alle die verlorene
Zeit wieder gewinnen für uns selbst und für die Ziele, denen
es sich zu leben lohnt.

Es ist ja auch unmittelbar klar, dass eine Zierkunst, die
zu den naturgemässen konstruktiven Formen der gewerblichen
Objekte ergänzend hinzutritt — zu den Formen, welche auf
ihre schöne, nackte Zweckmässigkeit nicht minder stolz sein

Gebr. Wasserstradt, Möbelfabrik, Lübeck.

Speise-Zimmer ; Kamin-Partie.

Vergl. Text S. 102 u. 103.

Speise-Zimmer; Gesamt-Ansicht.

sollten als ein Weib auf seinen ungeschmückten Körper —
nicht lebendig wird, sobald sie sich nicht gleichzeitig dem
Zweck und der Gestalt der Objekte logisch angliedert. Jedes
Ornament, das diese Regel missachtet, bleibt tot, ohne Zu-
sammenhang mit dem geschmückten Gegenstand und ein blosser
Spielball der willkürlichsten, ja verwerflichsten Phantasie.

Die Zierkunst, wie ich sie mir denke, wird unser Schön-
heitsbedürfnis nicht anders befriedigen als durch die immanente
Form der Gegenstände selbst, nicht anders als etwa in der
Architektur dies heute schon durch den Aufbau nach Kon-
struktionsgesetzen geschieht. In der Zierkunst sind wir freilch
bisher an dieses Verfahren nicht gewöhnt, und dem ober-
flächlichen Beobachter mag es darum scheinen, als wollte ich
mit meinen Reformen neue Quellen der Aesthetik erschliessen.
Dies ist aber keineswegs der Fall, und ich könnte leicht
nachweisen, dass schon der griechische Steinschneider das-
selbe Bedürfnis nach lediglich organischen und konstruktiven
Verzierungen empfand und es zur Anwendung brachte, indem
er die Kante des Marmorblocks abmeisselte und ihn mit
einer Kanelure schmückte.

Neu ist an unserer Theorie nur, dass wir mit Bewusst-
sein aus ihren Grundsätzen schöpfen und erkennen, dass das
Ornament kein eigenes Leben für sich hat, sondern von dem
Gegenstande selbst, seinen Formen und Linien abhängt und
von ihnen den organischen richtigen Platz erhält.

Der naturalistischen Zierkunst früherer Jahre werden wir
also eine natürliche Zierkunst entgegenstellen, das heisst eine
solche, die in ihrem Wesen und in ihren Ausdrucksmitteln
den Zusammenhang mit den Gesetzen der Natur und der
Dinge nicht verleugnet. Ich habe schon an anderer Stelle
gesagt, dass das naturalistisch überladene Ornament der
früheren Zeit nur einen Verfall und ein Missverstehen einer
noch älteren, primitiven, und zwar allegorischen Zierkunst
darstellt. Die Blumen, die Tiere, die menschlichen Figuren,
welche von den Schmuck-Künstlern der Vergangenheit und
 
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