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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Carstanjen, ...: Muß das Schöne gefallen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0306
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2Q4

INNEN-DEKORATION.

J. HALLER—KARLSRUHE.

Preisgekrönter Park-HriDinen.

gegenüber? Dieses lässt sich nicht in die historische
Kette einreihen, es steht am Ende derselben; wir
besitzen dafür keinen Maßstab; wir sehen daneben
nur die Vergangenheit, der es nicht, oder nicht ganz
entspricht, und wir kennen den Weg noch nicht,
den die zukünftige Entwickelung gehen wird.
Hier hilft uns also die Kritik auf Grund unseres
historischen Wissens direkt nichts — im Gegenteil,
sie ist uns nur hinderlich; ein Jüngling mit frischen,
der Gegenwart geöffneten Sinnen, eine Frau mit
feinem frauenhaft instinktivem Urteil wird uns be-
schämen. Wir sind allein auf unseren Geschmack
angewiesen. Und nun lasst sehen, was aus ihm
geworden ist unter dem Einfluss der Historiker.

Wenn man behauptet, die Kenntnis der Ge-
schichte bilde den Geschmack, so ist das nur mit
einer Einschränkung richtig. Bildung ist nicht Be-
wältigung eines Wissens, Bildung ist das, was übrig
bleibt, wenn wir alles Erlernte vergessen haben.
Dann ist, nachdem die Blüten-Blätter verfallen, als
Frucht der verfeinerte Geschmack gewonnen, welcher
instinktartig urteilt. Ich will ein andermal über
den hohen Wert dieses instinktartigen Handelns
und Urteilens sprechen, welchem gleichmässig der
künstlerisch Schaffende und der ästhetisch Ge-
niessende zuzustreben haben. Hier gilt es nur
herauszuheben, dass, wenn dies das Resultat der
geschichtlichen Bildung ist, es begehrens- und lobens-
wert bleibt, dass es aber ein Fehler und eine Gefahr
bedeutete, wenn durch die kunsthistorische Lehre

und Erziehung dahin gewirkt würde, alle voll-
kommenen Werke der Kette des Schönen müssten
auch gefallen.

Gegenüber diesem Irrsatze, zu welchem augen-
scheinlich die Erziehung unserer Zeit hintreibt, wobei
es nicht darauf ankommt, ob er offen ausgesprochen
oder von jedem selbst als Konsequenz gezogen
wird, ist es gut, besonders stark zu betonen, dass
Schönheit und Gefallen nicht zusammentreffen
müssen, und dass selbst die hervorragendsten Werke
der Vergangenheit nicht zu unserer Geschmack-
Bildung beitragen, wenn wir sie wahllos hinnehmen,
sondern dass wir dann bei der Geschmacklosigkeit
enden. — Wir sind Deutsche, und das heisst, wir
lieben es, zu schwärmen. Ich kann mir einen sonst
ganz modernen Menschen denken, der es liebt, in
Feierstunden sich in eine Traum-Welt zu flüchten:
Die Tempel und Statuen der alten Griechen haben es
ihm angethan, und wenn er auch noch eine Orient-
Reise unternommen hat, ist er »ganz weg« davon;
Die griechischen Götter werden ihm lebendig; er
denkt sich im Chiton und Mantel in edler Haltung
auf der Akropolis stehend, den Blick hinausgewandt
auf den Piräus, wo unter dem Schutze Poseidons
die Schiffe ankommen, beladen mit Getreide aus
Klein-Asien und Purpur aus Tyros. — Dann aber
verblasst neben den heiteren Tempeln mit ihrem
Säulen-Schmucke, neben den weissen Statuen von
edlem Linienfluss und köstlicher Reine die heimatliche
Gotik, die herrliche Blüte germanischen Geistes, mit
 
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