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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 14.1903

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Bodenhausen, Eberhard von: Van de Velde und die Eisen-Konstruktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.6711#0269
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INNEN-DEKORATION.

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notwendig zur Schönheit, zum Kunst-Werk führen
müsse; dass z. B. eine ihren Zwecken restlos an-
gepasste Maschine, zu deren Aufbau das strikt nott
wendige Material, und dies in der strikt notwendigen,
durch Zweck und Material bedingten Linien-Führung,
verwendet worden ist, notwendig eine vollendete
Schönheit aufweisen müsse. Es scheint, dass das
so wichtige Prinzip des kleinsten Kraftmaßes zu
diesem Irrtum verleitet hat. Mit Bezug auf die
Bewegungen des menschlichen Körpers haben
schon Wilhelm und Eduard Weber in ihrer Schrift
über die Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge
im Jahre 1836 die Beobachtung gemacht, dass »die
Schönheit der Bewegungen eine notwendige Folge
der verhältnismässigen geringen Anstrengung bei
diesen Bewegungen ist«, dass also, wie es Vierordt
in einem Brief an Fechner zusammengefasst hat,
»das ästhetisch Schöne im ganzen auch das physio-
logisch Richtige ist; dass beide sich decken und
dass immer das den Eindruck des Schönen macht,
was mit dem Aufwand der möglichst geringen
Muskelkraft erreicht wird«. Die Verallgemeinerung
dieses für alle Ästhetik wichtigen Gesetzes führt
zu fehlerhaften Schlüssen, sobald die Fülle der
anderen im Sinne der Kunst-Gestaltung fördernden
oder hemmenden Momente ausser Betracht bleibt.
Die rein formalen Prinzipien, die in solchem Sinne
wirken und zur Gestaltung der »Schönheit«, wie
es dort heisst, führen, sind, wie die ganze Physio-
logie der Form kaum in ihren elementarsten Grund-
zügen auf ihre gesetzmäßige Grundlage gebracht.
Man denke nur an die Kontroversen über den
goldenen Schnitt, an die Unvollständigkeit der ge-
wonnenen Ergebnisse, die Unzuverlässigkeit bei dem
Versuch ihrer Anwendung. Daher wir wohl das
Ergebnis empirisch erkennen, nicht aber, oder doch
nur sehr unvollkommen, in seine gestaltenden Ele-
mente zerlegen können. Hier kommt es nur auf
die Erkenntnis an, dass eben eine Mehrheit solcher
Elemente zusammenwirken muss und dass in jenem
einseitigen Schluss die Möglichkeit eines solchen
Schönheits - Ergebnisses mit seiner Notwendigkeit
verwechselt wurde. Die gewaltige Brücke, die über
den Meeresarm des Firth of Förth führt, ist ganz
gewiss ein Wunder-Werk an zweckentsprechender,
materialerschöpfender Konstruktion und doch ist
die ganze Wirkung der Erscheinung eine unerfreu-
liche. Und neben einer Maschine, deren vollendet
rhythmischer Gang bei knappster, ausdruckvollster
Form uns als wahres Kunst-Werk anmutet, steht
eine andere Maschine, die bei gleicher ökonomischer
Verwendung der Mittel gleiches leistet und die
doch keinerlei ästhetische Wirkung auf uns aus-
übt. Die führenden Baumeister auf diesem neuen

Felde, die Ingenieure haben das längst erkannt.
— Auf der Düsseldorfer Ausstellung des ver-
gangenen Sommers hatte eine unserer grossen
Maschinen-Fabriken einen gewaltigen Luft-Kom-
pressor ausgestellt von einer geradezu erstaunlichen
Form-Vollendung. Auf eine Anfrage, inwieweit
hier ein zielbewusstes Schaffen zu solcher Schönheit
geführt habe, erwiderte das Werk: »Was die
Formen-Gebung mit Rücksicht auf. schönes Aus-
sehen anlangt, so ist es im modernen Gross-
Maschinenbau heute unerlässlich, dass diesem Ge-
sichtspunkt weitgehend Rechnung getragen wird.
Es gilt heute im Maschinenbau als Regel, dass die
Form möglichst einfach, die Linien-Führung mög-
lichst der Herstellung, den Kräfte-Wirkungen und
dem Verwendungs-Zweck angepasst sein soll und
dass eine künstlerische Wirkung nur durch die,
obigen Gesichts-Punkten angepasste Linien-Führung
erreicht werden kann«. Um eine bewusste Anpassung
also handelt es sich, nicht aber darum, die Form-
Vollendung allein aus jenen Gesichts-Punkten wie
von selbst entstehen zu lassen. Immer aber, und
das ist hier das Entscheidende, musste der auf Rein-
heit der Form zielende Wille des gestaltenden Archi-
tekten sich in den Dienst der im Material latent
enthaltenen Gestaltungs-Logik stellen. Er musste
dieser Logik eine, wenn auch nicht allein maß-
gebende, so doch ganz wesentlich gestaltbestimmende
Rolle zuweisen. Und so hat auch van de Velde
diese einem jeden Material innewohnende Logik
zu einem der entscheidenden Faktoren seiner Kunst-
Betätigung erhoben.

Hier ist der Berührungs-Punkt seiner Kunst
mit den mittelalterlichen Gewölbe-Stilen, für die in
der reinen Konstruktion eines ihrer treibenden
ästhetischen Momente lag. Und wenn dieses Moment
dann auch schon von Einsetzen des Übergangs-
Stiles an durch andere ästhetische Gestaltungs-
Faktoren mehr in den Hintergrund geschoben wurde,
so hat es doch seine bestimmende Bedeutung in
diesen Stilen nie verloren.

Jedes gegebene Material verwendet van de Velde
seiner spezifischen Natur entsprechend, jedes Material
sucht er zur äussersten Grenze seiner Ausdrucks-
Fähigkeit zu führen. So arbeitet er mit den für
jedes Material anders und neu gegebenen Daseins-
und Gestaltungs-Bedingungen, wie mit gegebenen
Zahlen-Reihen, deren rechnerische Verwertung die
gesuchte Summe und das gewollte Produkt ergibt.
Und wenn gesagt wurde, dass damit van de Velde
nur der Exponent eines ganz allgemein gefühlten
Bedürfnisses ist, so hat doch in seiner Kunst dieses
Bedürfnis eine ihrer edelsten Ausdrucks - Formen
gefunden. Van de Velde ist damit zu der ein-
 
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